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Die Fünfte Schweiz will freien Personenverkehr

Die ASR-Delegierten geben in Lugano ein klares Votum für die Personenfreizügigkeit ab. Philipp Zinniker

Personenfreizügigkeit ist ein Wahlkampfthema. Mit 65 Ja gegen 3 Nein und 5 Enthaltungen hat der Auslandschweizerrat acht Wochen vor den Parlamentswahlen eine Petition verabschiedet, in der steht: "Die Personenfreizügigkeit ist keine Einbahnstrasse!"

Rund 420’000 Schweizerinnen und Schweizer leben in der Europäischen Union – 63’000 mehr als vor 10 Jahren. Die meisten Auslandschweizer betrachten die grenzüberschreitende internationale Mobilität von Personen und Arbeitskräften als eine unabdingbare Voraussetzung für den Wohlstand. Sie beziehen dies nicht allein auf die Wirtschaft, sondern auch auf Wissenschaft, Forschung und Kultur.

Mit seiner Resolution fordert der Auslandschweizerrat an seinem Kongress in Lugano die Parteien auf, sich «verantwortungsbewusst für die Erhaltung und Entwicklung der unverzichtbaren Errungenschaft Personenfreizügigkeit einzusetzen».

Gerade für die Schweiz ist laut dem Delegierten Ulrich Schwendimann aus Polen die Personenfreizügigkeit besonders bedeutsam: «Vergleiche ich die Schweiz mit Deutschland oder Frankreich, stelle ich fest, dass rund 10% der Schweizer im Ausland leben, aber nur 5% der Deutschen und 2% der Franzosen.»

Schwendimann warnt auch, dass besonders Kleinere und Mittlere Unternehmen (KMU) bei der Abschaffung der Personenfreizügigkeit schwer betroffen wären. In diesem Fall müssten viele KMUs auf eine Expansion ins Ausland verzichten. «Personenfreizügigkeit heisst, mit gleich langen Spiessen kämpfen können wie die Konkurrenten im Ausland.»

Kündigung

Diese Argumente gelten bei den Vertretern der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nicht viel. Sie verlangen auf ihrer Wahlplattform und mit einer Volksinitiative die Kündigung der Personenfreizügigkeit und eine anschliessende Neuverhandlung.

SVP-Kandidat John McGough aus Ungarn stört sich an der Kriminalität, die mit der Personenfreizügigkeit einhergehe. Und für Roman Rauper aus Japan, der an den kommenden Wahlen auch auf einer SVP-Liste antritt, wäre die grössere Bürokratie, die aus einer Kündigung der Personenfreizügigkeitsverträge erwachsen würde, «kein Problem. Es stört mich nicht, ein paar Formulare mehr auszufüllen, um zum Beispiel so eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.»

Karl Frei aus Mexiko versteht die Überfremdungsängste nicht: «Seit über 100 Jahren haben wir in der Schweiz einen Ausländeranteil von 18 bis 24%. Wir waren vorher ein Bauernstaat, ohne Handel oder Industrie. Sulzer, Rieter, etc. kamen alle aus dem Ausland.» Ohne Ausländer wäre die Schweiz für ihn ganz anders, aber nicht besser.

Zunehmend mehr politisches Gewicht

Die Auslandschweizer weisen weiter auf ihr zunehmendes politisches Gewicht hin. Rund 135’000 der fast 700’000 sind in Stimmregistern eingetragen. «Das ist keine Quantité negligeable», betont Jacques-Simon Eggly, Präsident der Auslandschweizer Organisation ASO. «Dies entspricht 2,5% der gesamten Stimmbürgerschaft des Landes.» Von 40 Wählenden lebt also eine oder einer im Ausland.

So erstaunt nicht, dass noch nie so viele Auslandschweizer Kandidaturen registriert wurden wie für die diesjährigen Parlamentswahlen: «Bis dato sind 13 Auslandschweizer Listen von vier verschiedenen Parteien mit insgesamt 79 Kandidierenden bekannt geworden», sagt Eggly. Dazu kommen fünf Einzelkandidaturen von Auslandschweizern auf Inlandslisten. Bloss: gewählt wurde bislang noch kein im Ausland lebender Schweizer.

Den Schweizer Parteien ist die zunehmende Bedeutung der Auslandschweizer bei Parlamentswahlen jedoch bewusst, wie die Debatte mit Vertretern der grossen Parteien am Ende der Ratssitzung zeigte.

Gesetz für die Auslandschweizer

Unumstritten war in Lugano die Parlamentarische Initiative des Tessiner Ständerats Filippo Lombardi, der mit 30 Mitunterzeichnenden die Schaffung eines Auslandschweizergesetzes verlangt.

Dieses Gesetz soll unter anderem folgenden Zwecken dienen: Entwicklung einer auslandschweizerischen Gesamtstrategie des Bundes, Definition der Rechte und Pflichten der Auslandschweizer oder der Förderung  der wachsenden internationalen Mobilität der Schweizerbürger – namentlich in der Aus- und Rückwanderung für die Ausbildung und die berufliche Entwicklung.

Die

Auslandschweizer-Organisation (ASO)

vertritt die Interessen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in der Schweiz. Die seit 1916 bestehende ASO wird von den Behörden als Sprachrohr der Fünften Schweiz anerkannt. 

Der Auslandschweizerrat (ASR)

wird oft als «Parlament der Fünften Schweiz» bezeichnet. Der ASR tritt zweimal jährlich in der Schweiz zu einer ganztägigen Sitzung zusammen, jeweils im Frühjahr sowie im Rahmen des alljährlich im Spätsommer stattfindenden Auslandschweizer-Kongresses.

Mit 695’101 im Ausland lebenden Schweizer Bürgerinnen und Bürgern (Stichtag: 31. Dezember 2010) wurde im letzten Jahr ein neuer Rekordwert erreicht (+1,5 Prozent). 538‘243 sind volljährig und verfügen somit über das Stimm- und Wahlrecht.

Um an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen zu können, müssen Auslandschweizer bei einer diplomatischen Vertretung ihres Landes gemeldet und in ein Stimmregister einer Schweizer Gemeinde eingetragen sein.

Immer mehr Auslandschweizer machen von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Ende 2010 waren 135’877 Personen eingetragen, was gegenüber 2009 einer Zunahme von 4,5 Prozent entspricht.

Lugano

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