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Die Grünen wollen ihren Erfolg bestärken

Ueli Leuenberger hofft, dass der Erfolg seiner Partei anhält. Keystone

2003 bis 2007 konnten die Grünen auf nationaler Ebene mächtig zulegen. Sie erhielten bei den letzten Parlamentswahlen fast 10% der Stimmen. Doch für 2011 sind die Prognosen für die Grünen weniger günstig. Ein Gespräch mit deren Präsident Ueli Leuenberger.

swissinfo.ch: Welches sind die Prioritäten Ihrer Partei für die nächste Legislatur?

Ueli Leuenberger: Sie sind eng verbunden mit der Situation sowohl auf unserem Planeten als auch in der Schweiz. Die Klimafrage ist die wichtigste Frage, die sich der Menschheit stellt.

Der Ausstieg aus der Kernenergie ist ebenfalls sehr wichtig. Das neue Parlament wird über die Energiepolitik und die Zukunft der Atomenergie in der Schweiz entscheiden.

Schliesslich kennt man uns auch als eine Partei, die für eine offene Schweiz steht. Unsere dritte Priorität betrifft die Haltung gegenüber den Ausländern, die in der Schweiz leben, die Solidarität mit der Welt, die Stärkung der Zusammenarbeit und den Kampf für die Grundrechte wie auch den Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die sich ausbreiten.

swissinfo.ch: In welchen Bereichen muss die Schweiz ihre Ausgaben drosseln, und in welche muss sie mehr investieren?

U.L.: Investieren müsste sie bei den erneuerbaren Energien, darin liegt die Zukunft unseres Landes und auch der Arbeitsplätze. Investitionen in die Forschung würden die Energieeffizienz verbessern und den Schutz des Planeten fördern. Zu unserem Netz der sozialen Sicherheit müssen wir Sorge tragen, und Menschen dürfen nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

  

Sparen könnte man bei der Armee. Heute haben wir eine überproportionierte  Armee, die kaum noch ihren Auftrag kennt.

swissinfo.ch: Welchen Weg muss die Schweiz einschlagen für die zukünftigen Beziehungen mit der EU?

U.L.: Die Grünen sind ganz klar für Europa, auch wenn eine kleine Minderheit gegenüber der Europäischen Union kritisch eingestellt ist. Trotzdem haben auch wir unsere Vorbehalte. Unsere Fragen befassen sich vor allem mit der Landwirtschaftspolitik und der direkten Demokratie.

Für diese Probleme werden wir Lösungen finden, davon sind wir überzeugt. Wir müssen mit der Europäischen Union verhandeln, die uns klar zu verstehen gibt, dass der bilaterale Weg zu Ende ist.

swissinfo.ch: Muss die Schweiz auf Kernenergie verzichten und vielmehr auf erneuerbare Energien setzen?

U.L.: Wir müssen ganz klar auf die Kernenergie verzichten. Unsere Partei ist aus der Anti-AKW-Bewegung entstanden – unser Engagement ist eine Konstante geblieben. Die tragischen Ereignisse in Japan zeigen uns ganz klar auf, dass man auf die gefährlichste Technologie überhaupt verzichten muss.

Zudem gibt es ja noch das Problem mit dem nuklearen Abfall, der eine Hypothek von tausenden Jahren darstellt. Wer wird in 10’000 Jahren noch genau wissen, was in den gelagerten Fässern ist?

Um unsern Energiebedarf zu sichern, müssen wir die Situation gründlich überdenken. Vorstellbar wären effizientere Apparate in der Produktion und Fabrikation, zudem könnte man in der Schweiz 40% der Energie beim Heizen von Gebäuden einsparen.

swissinfo.ch: Wie stellen Sie sich den Auftrag und die Mittel der Armee von Morgen vor?

U.L.: Man muss alle Aufgaben der Armee überprüfen. Wir sind für eine Armee ohne Obligatorium, aber nicht für eine Berufsarmee. Wir plädieren weiterhin für eine freiwillige Milizarmee, aber eine kleinere. Wir sind überzeugt, dass es keine neuen Militärflugzeuge braucht.

Im Moment kann man das Budget für die vorhandenen Strukturen so belassen. Sobald wir wissen, in welche Richtung es geht, werden wir über ein neues Budget diskutieren.

swissinfo.ch: Welches ist die Position ihrer Partei zu Fragen der Einwanderung und Integration von Ausländern in der Schweiz?

U.L.: Die Einwanderung ist zur Zeit ein heikles Thema. In unserem Land nehmen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu. Wir wollen, dass sich die Ausländer gut integrieren, dazu gehört folglich eine erleichterte Einbürgerung.

Wir kämpfen gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung von Ausländern, die bei uns leben und arbeiten. Bei der Asylpolitik muss die Schweiz gegenüber der Welt ihre Verantwortung wahrnehmen.

In die Schweiz kommen verhältnismässig wenig Flüchtlinge, verglichen mit den südlichen Ländern, wo Hunderttausende auf der Flucht vor diktatorischen Regimes oder vor Umweltkatastrophen Schutz suchen.

swissinfo.ch: Was schlägt ihre Partei vor, um die Politik des Bundes gegenüber der Fünften Schweiz zu verbessern?

U.L.: Die Fünfte Schweiz ist sehr wichtig. Mit neuen Mitteln der Kommunikation ist es viel einfacher geworden, den Kontakt zu ihr aufrechtzuerhalten.

Doch ist die Vertretung der Auslandschweizer heute ungenügend. Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, damit ihre Stimme gehört wird, beispielsweise mit Vertretern der Auslandschweizer im Parlament oder mit der Schaffung eines Rates, der eng mit den Auslandschweizern verbunden ist und ihre Interessen bei den Landesbehörden vertreten kann.

Auch die konsularischen Dienste sind verbesserungswürdig. Es gibt eine Reihe von Ländern, in denen die Auslandschweizer auf administrativer Ebene grosse Schwierigkeiten haben – eine Folge der Budgetkürzungen, die dem Aussendepartement nicht mehr erlauben, Mittel und Personal zur Verfügung zu stellen.

swissinfo.ch: In Umfragen werden den Grünen bei den nächsten Parlamentswahlen zum Teil Verluste vorausgesagt. Macht sich bei ihrer Partei nach einer Wachstumsphase nun eine gewisse Stagnation bemerkbar?

U.L.: Unsere Partei hat die nachhaltige Entwicklung keineswegs aus den Augen verloren, auch wenn wir vor vier Jahren einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht haben und die Nationalratssitze von 13 auf 20 erhöht haben und zum ersten Mal zwei Ständeratssitze erringen konnten.

Abgesehen von einigen Ausnahmen ist es uns gelungen, bei kantonalen Wahlen und in den grossen Städten zuzulegen. Ich bin sicher, dass wir die Bevölkerung überzeugen und ihr Vertrauen gewinnen können, auch wenn wir nur wenig finanzielle Mittel haben.

Entstehung: In der Schweiz entstand die erste Sektion der Grünen 1971 im Kanton Neuenburg, um ein Autobahnprojekt zu bekämpfen.

1979 sassen die Grünen erstmals im Schweizer Parlament.

1983 schlossen sich mehrere Gruppen zur Föderation der Grünen Parteien der Schweiz zusammen. Die Partei erhielt ihren offiziellen Namen  “Grüne – Grüne Partei der Schweiz” erst im September 1993.

 
Programm: Wie der Name schon sagt, setzt sich die Grüne Partei der Schweiz hauptsächlich für den Umweltschutz und eine nachhaltige Entwicklung ein. Sie wünscht sich eine grünere Wirtschaft. “Konsequenter Umweltschutz – nachhaltige Wirtschaft –  engagierte Sozialpolitik – weltweite Gerechtigkeit” war die Devise der Partei bei den letzten National- und Ständeratswahlen.
Walresultate: 2007 erreichten die Grünen ihr bestes Resultat seit ihrer Gründung und erhielten fast 10% der Stimmen (9,6%). Heute haben sie 22 Nationalratssitze und zwei Ständeratssitze.

Auf nationaler Ebene stehen sie als Partei an fünfter Stelle, in der Landesregierung sind sie jedoch nicht vertreten.

Ueli Leuenberger wurde 1952 im Kanton Bern geboren. Nachdem er mehrere Berufe ausgeübt hat (Hotelpage, Koch), schliesst er eine Ausbildung als Sozialarbeiter ab.

Er übernimmt verschiedene Stellen mit Verantwortung imSozialbereich. 1996 gründet er in Genf die Albanische Volksuniversität, die er bis 2002 leitet, bis 2010 arbeitet er als Lehrer am Berufsbildungszentrum für gesundheitlich-soziale Berufe in Genf.


1988 tritt er der Grünen Partei Schweiz bei. Nach einer Tätigkeit in der Legislative und in der Exekutive der Stadt Genf wird er 2001 ins Kantonsparlament gewählt. Im Nationalrat sitzt er seit dem 1. Juni 2003.

Im Frühling 2008 wird er zum Parteipräsidenten gewählt, nachdem er bereits seit 2004 das Vize-Präsidium innehatte. Sein Mandat als Präsident wurde im Mai 2010 für zwei weitere Jahre erneuert.

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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