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Die kleinen Mängel der Pensionskassen

Im Streit um die berufliche Vorsorge ziehen nicht alle am gleichen Strick. swissinfo.ch

Das System der beruflichen Vorsorge ist in der Schweiz prinzipiell gut, hält Sozialversicherungs-Experte Giuliano Bonoli fest. Doch drängten sich einige Verbesserungen auf. Man sollte sich ein Beispiel am niederländischen System nehmen.

Am 7. März wird in einer Referendums-Abstimmung über die Senkung des Mindestumwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge abgestimmt. Angesicht der heftigen Debatte um Renditen von Vorsorgeunternehmen (Pensionskassen) und Tabellen mit Lebenserwartungen dürften viele Stimmbürger orientierungslos sein.

Andererseits haben Lohnabhängige praktisch nie die Möglichkeit, bei ihrer beruflichen Vorsorge ein Wörtchen mitzureden. Und dies, obwohl sie per Gesetz verpflichtet sind, einen Teil ihres Lohns an die Vorsorgeinstitute zu bezahlen. Die jeweilige Pensionskasse wird vom Arbeitgeber ausgewählt.

Theoretisch müsste ein gemeinsamer Entscheid getroffen werden. «Die Wahl der Pensionskasse obliegt der Kommission für berufliche Vorsorge, welche in jedem Betrieb paritätisch bestückt ist», hält Giuliano Bonoli, Professor für Sozialpolitik am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung in Lausanne (Idheap), fest.

Doch Bonoli weiss, dass dies häufig Theorie ist. Gerade in kleinen Unternehmungen erfolgt der Entscheid bei der Wahl der Pensionskasse nicht paritätisch.

Schlechte Vorbilder

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen laut Bonoli, dass die individuelle Wahl einer Pensionskasse durch Lohnempfänger keine bessere Variante darstellt. Er erinnert insbesondere an die katastrophalen Folgen der Liberalisierungspolitik bei der beruflichen Vorsorge, die in den 1980er- Jahren in Grossbritannien von Margaret Thatcher vorangetrieben wurde.

Auch eine Verstaatlichung mit einer einzigen Pensionskasse stellt laut dem Experten keine ideale Alternative dar. Handelt es sich doch bei den Pensionskassen-Vermögen um gewaltige Summen (siehe Kasten). Zur Zeit übersteigen diese Vermögen das Bruttoinlandprodukt der Schweiz. «Im Falle eines staatlichen Monopols hätte man einen einzigen Player mit enormer Machtfülle», so Bonoli.

Diese Einheits-Pensionskasse könnte mit Leichtigkeit Dutzende von Milliarden von Franken verschieben. «Das könnte Konkurrenzprobleme auf dem Kapitalmarkt erzeugen», meint der Sozialversicherungsexperte.

Konzentration statt Revolution

Für Bonoli ist es nicht nötig, das Schweizer System der zwei Säulen (AHV, Pensionskasse) ganz umzugestalten: «Aber man könnte die 2. Säule verbessern.» Die extreme Zersplitterung des Systems mit etlichen Pensionskassen hält er für einen Schwachpunkt.

Ingesamt gibt es mehr als 2000 Pensionskassen. Einige dieser Kassen sind zu klein, um von den langfristigen Anlagen der Einlagen zu profitieren. Die grossen Pensionskassen können Phänomene wie die jüngste Finanzkrise aussitzen, weil sie bei einem Anziehen der Wirtschaft die Verluste wieder ausgleichen können.

Bonoli schlägt vor, dem Beispiel der Niederlande zu folgen. Dort ist die berufliche Vorsorge ähnlich organisiert wie in der Schweiz, aber mit autonomen Instituten der einzelnen Berufsbranchen. Bonoli: «Praktisch jeder Berufszweig hat eine eigene Pensionskasse, und praktisch alle Arbeitgeber sind dieser angeschlossen.»

Dieses System habe einige Vorteile. Dank ihrer Grösse könnten die Vorsorge-Institutionen auch eine Phase der Unterdeckung problemlos überbrücken. Da viele Stellenwechsel innerhalb einer Branche erfolgten, entfielen auch die Kosten für den Wechsel der Vorsorgeinstitute, die in der Schweiz keineswegs vernachlässigbar seien.

Initiative der Arbeitgeber

Die Initiative für einen entsprechenden Systemwechsel müsste von den Arbeitgebern ausgehen. Das geltende Gesetz müsste nicht einmal geändert werden, weil es den Zusammenschluss von Pensionskassen erlaubt. In der französischen Schweiz hat man beispielsweise bereits ein gemeinsames Vorsorgeinstitut für die Bauwirtschaft geschaffen.

Laut Bonoli wäre dieses System «die beste Variante für die Schweiz». Es brächte Verbesserungen für die Versicherten, ohne das System zu revolutionieren.

Tatsächlich bieten die autonomen Pensionskassen grosser Unternehmungen, seien diese öffentlich oder privat, bessere Bedingungen als die Pensionskassen, die von Banken und Versicherungen geführt werden. Letztere haben höhere Kosten, die sich auch auf die Berechnung des Umwandlungssatzes auswirken.

Die autonomen Pensionskassen haben geringere Kosten, weil sie es sich erlauben können, die Deckung für eine gewisse Zeit unter 100 Prozent zu lassen. Sie müssen kein Geld für Werbung oder Dividenden ausgeben.

Daher gibt es in der laufenden Debatte private Pensionskassen – beispielsweise von Nestlé und Novartis – die sich gegen eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6,4 Prozent aussprechen.

Sonia Fenazzi, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) erreichten Ende 2008 die versicherungs-technischen Vorsorgekapitalien den Wert von 567,6 Mrd. Franken.

Zugenommen hat 2008 die Zahl der in der beruflichen Vorsorge Versicherten: Sie stieg um 3% auf 3,65 Millionen.

Das BFS erklärt den Zuwachs damit, dass die Realwirtschaft 2008 von der Finanztkrise noch weitgehend verschont geblieben sei.

Die Beiträge und Einlagen der Sozialpartner wuchsen im Vergleich zum Vorjahr leicht auf etwas über 44 Mrd. Franken an.

Die Zahl der Rentenbezüger stieg im Berichtsjahr um 2,8% auf 931’000 weiter an.

Das ausbezahlte Rentenvolumen dehnte sich um fast 4% auf 22,7 Mrd. Franken aus.

Die berufliche Vorsorge ist für alle Lohnempfänger in der Schweiz mit einem Bruttolohn von mindestens 20’520 Franken pro Jahr obligatorisch. Die Obergrenze der obligatorischen Versicherung liegt bei 82’080 Franken.

Die so genannte 2. Säule (Pensionskasse) funktioniert auf der Grundlage der Kapitalisierung der Einlagen. Die Lohnabzüge – mindestens die Hälfte trägt der Arbeitgeber bei – werden einem individuelle Konto des Versicherten gut geschrieben.

Das Guthaben wird aufsummiert und mit einem Zinssatz verzinst, der zur Zeit per Gesetz mindestens 2% betragen muss.

Zum Zeitpunkt der Pensionierung wird auf Grund des akkumulierten Kapitals die Rente errechnet. Der minimale Umwandlungssatz, mit dem die Jahresrente ermittelt wird, liegt zur Zeit bei 7% (Männer) und 6,95% (Frauen).

Regierung und Parlaments-Mehrheit haben mittlerweile eine weitere Reduktion des Umwandlungssatzes beschlossen. Er soll auf 6,4% im Jahr 2016 sinken.

Gegen diesen Entscheid wurde unter dem Stichwort «Rentenklau» erfolgreich von Gewerkschaftsseite das Referendum ergriffen.

Über die Vorlage wird am 7.März abgestimmt.

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