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Die Krise mit Libyen spitzt sich zu

Demonstranten mit Bildern von Muammar und Hannibal Gadhafi vor der Schweizer Botschaft in Tripolis. AFP

Libyen macht wegen der Affäre um die vorübergehende Festnahme von Hannibal Gadhafi weiter Druck auf die Schweiz. Die beiden Schweizer "Gefangenen" wurden offiziell angeklagt und in provisorische Untersuchungshaft gesetzt.

Die Lage der zwei Schweizer in Libyen hat sich am Donnerstag verschärft. Sie wurden aus dem Polizeigewahrsam in ein Untersuchungsgefängnis in Tripolis gebracht. Dort müssen sie eine kleine Zelle mit 20 anderen Gefangenen teilen.

Ihre Lage sei «unannehmbar und stark Besorgnis erregend»; die hygienischen Zustände in der Zelle beklagenswert, sagte Jean-Philippe Jeannerat, der Sprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Donnerstagabend vor den Medien in Bern.

«Es hat oberste Priorität, Mittel zu finden, um ihre Situation rasch zu verbessern und sobald als möglich zu ihrer Freilassung zu kommen», sagte der Sprecher weiter.

Die beiden Männer würden behandelt, wie in Libyen illegale Immigranten behandelt würden. Die provisorische Untersuchungshaft könne 20 Tage dauern. Die beiden Schweizer waren am vergangenen Samstag verhaftet worden.

Noch am Mittwoch hatte Jeannerat die Hoffnung geäussert, dass sie am Donnerstag oder Freitag frei kommen könnten. Denn sie waren lediglich wegen «administrativer Probleme» in einer Polizeistation festgehalten worden. Dieser Gewahrsam dauert nach libyschem Recht maximal sechs Tage.

«Wir sind in ständigem Kontakt mit den anderen Schweizern in Libyen», betonte Jeannerat gegenüber swissinfo.

«Auf dem Weg zu einer Krise»

Gefragt, ob angesichts der Verschärfung der Lage der Schweizer und Drohungen eines Ölboykotts der Schweiz durch Libyen die Beziehungen zwischen beiden Ländern nun in einer «Krise» seien, sagte Jeannerat: «Wir sind auf dem Weg zu einer Krise».

Am Mittwoch hatte das EDA das Wort Krise noch vermeiden wollen und stattdessen von einer «ernsten Lage» gesprochen.

Entschuldigungsforderungen zur Kenntnis genommen

Weiterhin hätten verschiedene Schweizer Unternehmen in Tripolis Schwierigkeiten vor Ort, seien geschlossen worden und erwarteten zusätzliche administrative und juristische Schwierigkeiten in der nächsten Zukunft.

«Die Flüge wurden reduziert. Es ist im Prinzip für Schweizer Staatsangehörige nicht mehr möglich, ein Visum zu bekommen», sagte Jeannerat.

«Unser Kenntnis nach wurden Entschuldigungsforderungen, insbesondere bei Kundgebungen vor der Botschaft und unserem Botschafter, direkt überreicht. Das Aussenministerium hat davon Kenntnis genommen.»

Kein Engpass beim Erdöl

Zum möglichen Ölboykott Libyens gegen die Schweiz sagte Eric Scheidegger, der Vize-Direktor des Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), man könne einen solchen Boykott «nicht formell bestätigen». Die Schweiz sei nicht offiziell über einen Lieferstopp informiert worden.

«Der Schweizer Erölmarkt ist breit diversifiziert und deshalb kann man aus heutigen Gesichtspunkten mit gutem Gewissen davon ausgehen, dass selbst bei einem Lieferboykott von Rohöl aus Libyen der Schweizer Produktions- and Raffineriemarkt sich auch anderweitig eindecken kann», sagte Scheidegger weiter.

swissinfo und Agenturen

Die Erdöl-Vereinigung hat gelassen auf den Lieferstopp für Rohöl aus Libyen reagiert. Es seien keine langen Schlangen vor Schweizer Tankstellen zu erwarten.

Getroffen werde vor allem die Schweizerische Tamoil, die sich «ironischerweise» in libyschem Besitz befinde, sagte Rolf Hartl, Geschäftsführer der Erdöl-Vereinigung. Das libysche Rohöl werde in der Raffinerie in Collombey im Kanton Wallis verarbeitet, die der Tamoil gehört.

Libyen ist der wichtigste Lieferant für Rohöl in die Schweiz: rund die Hälfte der Rohölimporte stammen aus dem nordafrikanischen Staat. Bei den Endprodukten wie Heizöl, Benzin, Diesel oder Kerosin macht der Anteil Libyens noch einen Fünftel aus.

Hannibal Gadhafi, Sohn des libyschen Staatschefs Muammar Gadhafi, und seine Ehefrau waren vergangene Woche im Genfer Luxushotel «President Wilson» verhaftet worden.

Zwei Bedienstete, ein Marokkaner und eine Tunesierin, verklagten das Paar wegen einfacher Körperverletzung, Drohung und Nötigung. Sie werfen den Gadhafis vor, sie geschlagen, beleidigt und härtesten Arbeitsbedingungen unterworfen zu haben.

Die beiden waren am vergangenen Donnerstag gegen Kaution freigelassen worden.

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