Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Die Lage für deutsche Steuerbetrüger wird ernster

Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verwendung von Steuer-CDs für rechtens erklärt hat, verschärft die Bundesregierung die Bedingungen für eine straffreie Selbstanzeige von Steuerhinterziehern. Mehr als 26'000 Steuerhinterzieher haben sich bislang selbst angezeigt.

Die deutsche Bundesregierung hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf beschlossen, der schärfere Regelungen für die straffreie Selbstanzeige von Steuerhinterziehern vorsieht.

Mit diesem Gesetzentwurf will die Regierung verhindern, dass die Selbstanzeige von Steuerbetrügern im Rahmen einer «Hinterziehungsstrategie» missbraucht wird.

Es falle auf, «dass sich die Anzeigen häufig ausschliesslich auf das durch Medienveröffentlichungen bekannt gewordene Herkunftsland der Datenträger sowie die dort genannten Geldinstitute beschränken», heisst es in dem Gesetzentwurf von Finanzminister Schäuble (CDU).

Weniger Bedenkzeit

Laut Gesetzentwurf müssen Steuerhinterzieher bei einer Selbstanzeige in Zukunft sämtliche Konten offenlegen, auf denen sie Schwarzgeld deponiert haben, um Straffreiheit zu erlangen. Bislang bezog sich eine Selbstanzeige nur auf ein bestimmtes Konto.

Drohte einem Steuersünder beispielsweise ein Ermittlungsverfahren wegen unversteuerter Gelder auf einem Schweizer Bankkonto, genügte es, den Finanzbehörden dieses Konto offenzulegen. Konten in Liechtenstein konnte der Steuersünder weiterhin verschweigen. Das geht nun nicht mehr.

Die zweite Neuregelung im Gesetzentwurf bezieht sich auf den Zeitpunkt, bis zu dem eine straffreie Selbstanzeige möglich ist. Bisher konnten Steuersünder ein drohendes Ermittlungsverfahren noch solange abwenden, bis ein Steuerfahnder bei ihnen vor der Tür stand. Nun ist eine straffreie Selbstanzeige nur noch bis zu dem Zeitpunkt möglich, an dem der Prüfungsbescheid des Finanzamts im Briefkasten ist.

Kritik der Opposition

Die Opposition und die deutsche Steuergewerkschaft kritisierten den Gesetzentwurf unter anderem deshalb, weil er keine Strafzahlungen für Steuerhinterzieher vorsieht. Bei einer Selbstanzeige muss ein Steuersünder nur die Steuern sowie 6% Verzugszinsen nachzahlen.

Über die Bedingungen der straffreien Selbstanzeige wird in Deutschland diskutiert, seit die Zahl der Selbstanzeigen nach dem Ankauf mehrerer Steuerdaten-CDs stark angestiegen ist. Kritiker argumentieren, dank der Möglichkeit der Selbstanzeige könnten Steuersünder das Risiko der Steuerhinterziehung relativ gut kalkulieren. 

Deutschlandweit mehr als 26’000 Selbstanzeigen

Wie eine aktuelle Umfrage von swissinfo.ch bei den Finanzbehörden der deutschen Bundesländer ergeben hat, haben sich deutschlandweit seit Anfang 2010 mehr als 26’000 Steuerhinterzieher selbst angezeigt, um eine Strafanzeige zu verhindern.

Die meisten Selbstanzeigen gingen in den grossen Bundesländern Baden-Württemberg (7342), Nordrhein-Westfalen (5158) und Bayern (3870) ein. Einen starken Anstieg der Selbstanzeigen verzeichnen auch Hessen mit 3286 und Rheinland-Pfalz mit 2557.

Es folgen die Länder Niedersachsen (1026), Berlin (837), Hamburg (666), das Saarland (588), Schleswig-Holstein (584) und Bremen (287).

In allen neuen Bundesländern liegt die Anzahl der Selbstanzeigen unter 100. In Sachsen liegt sie bei 79, in Brandenburg bei 55, in Thüringen bei 44, in Sachsen-Anhalt bei 24 und in Mecklenburg-Vorpommern bei 15. 

Mehrere 100 Millionen Euro

Nicht alle Bundesländer machten indes Angaben darüber, mit wie viel Mehreinnahmen sie durch nachträglich gezahlte Steuern rechnen, da die Prüfung der Fälle vielfach noch nicht abgeschlossen ist.

Allein in Baden-Württemberg liegt das nachzuversteuernde Einkommen jedoch bei 1,3 Milliarden Euro. Die baden-württembergischen Finanzbehörden rechnen demnach mit Mehreinnahmen von bis zu 400 Millionen Euro. Ähnlich ist es in Hessen, wo Steuerhinterzieher rund 1 Milliarde Euro Einkünfte nachversteuern und damit 324 Millionen Euro Steuern nachbezahlen müssen.

Die Behörden in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen rechnen jeweils mit knapp 100 Millionen Euro, die sie im Zusammenhang mit dem Ankauf von Steuerdaten-CDs zusätzlich einnehmen.

Laut der Deutschen Presseagentur dpa sollen mehr als 100’000 Deutsche allein in der Schweiz bis zu 30 Milliarden Euro am Fiskus vorbei angelegt haben. 

Verwendung der Steuerdaten ist rechtens

Für die deutschen Finanzbehörden hat sich der Ankauf von Steuer-CDs gelohnt.

Seit dem Ankauf der ersten Steuerdaten-CD im Frühjahr 2008 mit Daten der Liechtensteiner Bank LGT hatten deutsche Politiker jedoch darüber gestritten, ob illegal beschaffte Daten für Ermittlungen gegen Steuerbetrüger genutzt werden dürfen.

Ende November hat das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVG) nun entschieden, dass die Verwendung der Daten aus Steuer-CDs rechtens ist.

Vertreter der Regierungskoalition betonen dabei weiterhin, der Handel mit Daten-CDs dürfe kein Geschäftsmodell werden. Im Zusammenhang mit dem Urteil des BVG sagte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Volker Wissing gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: «Abkommen über den Informationsaustausch und über die Lösung von Altfällen müssen dem Handel mit Daten den Boden entziehen.» Mit der Schweiz stehe ein solches Abkommen kurz vor dem Abschluss.

Anders sehen das die Grünen. «Das Urteil muss eine klare Handlungsanweisung an die deutsche Bundesregierung sein – sie sollte in den Verhandlungen mit der Schweiz nicht zusichern, in Zukunft auf den Kauf von Steuer-CDs zu verzichten. Sie gibt damit ein zulässiges und offenbar wirksames Instrument zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung aus der Hand», sagte der finanzpolitische Sprecher der Grünen, Gerhard Schick gegenüber swissinfo.ch.

Anfang 2010: Eine CD mit Daten von rund 1500 Kunden von Credit Suisse taucht auf. Nordrhein-Westfalen und der Bund kaufen die CD für 2,5 Millionen Euro. Sie führt zu einer Flut von Selbstanzeigen und rund 1000 Ermittlungsverfahren. 

Frühjahr 2010: Auch Bayern, Hessen und Baden-Württemberg liegen Angebote über Steuer-CDs vor. Bayern und Hessen kaufen die Daten nicht, da sie sie als nicht seriös einstufen. Baden-Württemberg lehnt den Ankauf wegen rechtlicher Bedenken ab.

Juni: Der Bund und Niedersachsen kaufen die CD, die Baden-Württemberg angeboten worden war, für 185’000 Euro. Sie enthält Angaben zu rund 20’000 Steuersündern in der Schweiz

Juli: Fahnder durchsuchen bundesweit 13 Filialen und Repräsentanzen von Credit Suisse.  Schleswig-Holstein werden Daten der Liechtensteiner Landesbank LBB angeboten, die das Land jedoch nicht ankauft.

August: Baden-Württemberg lehnt erneut ein Angebot über eine Steuer-CD ab. Angeblich sollte sie Schweizer Kontendaten von 250 deutschen Unternehmen enthalten.

Zwei weitere CDs mit Steuerdaten aus der Schweiz kauft indes Nordrhein-Westfalen (Juli und Oktober). Dabei geht es unter anderem um 220 Kunden der Bank Julius Bär.

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft