Die Linke knabbert an der 30-Prozent-Hürde
Die Linke geht die Erneuerungswahlen 2011 verjüngt und mit neuem Kampfgeist an. Doch – wie in ganz Europa – ist das gesellschaftliche Klima für die Sozialdemokraten eher ungünstig. Sie müssen im linken Spektrum zudem mit den Grünen um Wähleranteile ringen.
In der Eidgenossenschaft hat es die Linke – im Unterschied zu anderen europäischen Ländern – nie geschafft, viel mehr als 30 Prozent Wähleranteile zu erreichen. Dies gilt auch für Zeiten wirtschaftlicher oder sozialer Krisen.
Historisch teilte sich die Sozialdemokratische Partei (SP) die Wähleranteile der Linken mit den Kommunisten. Seit rund 30 Jahren teilen sich SP und Grüne die Stimmen. Aber der Gesamtwähleranteil hat sich nicht verändert. Bei den Parlamentswahlen von 2007 erreichte die Linke 30 Prozent: SP 19,5 Prozent und Grüne 9,6 Prozent. Gerade noch 0,7 Prozent verblieben den ehemaligen Kommunisten.
Die Wähleranteile von SP und Grünen oszillieren wie die Wirtschaft. Läuft die Wirtschaft gut, können die Grünen Anteile gut machen und die Sozialdemokraten verlieren an Zuspruch. Sobald die Wirtschaft stottert und die Arbeitslosigkeit wächst, müssen die Grünen Einbussen verkraften. Es ist fast ein natürliches Phänomen, denn beide Parteien zielen auf dieselbe Wählergruppe.
Urbane Wählerbasis
«Es handelt sich um zwei Parteien, bei denen die Wählerschaft in Hinblick auf Wertmassstäbe, Ausbildung und soziale Situation sehr ähnlich ist. Es handelt sich nicht um die Reichsten der Gesellschaft, aber doch um besser gestellte wie Lehrer, Beamte oder Personen aus Sozialberufen.
Es ist eine Wählerschaft, die überwiegend in den urbanen Zentren lebt“, sagt der Politologe Michael Hermann. Nicht zufällig hätten die Exekutiven der grossen Städte allesamt links-grüne Regierungen.
«Die Sozialdemokraten können auch auf etwas Unterstützung aus den einkommensschwächeren Schichten zählen, auch wenn die SP längst keine Arbeiterpartei mehr ist. Die Grünen geniessen etwas mehr Zuspruch bei den Frauen. Doch es handelt sich um Nuancen. Dies erklärt auch, warum es zwischen diesen beiden Parteien viele Wechselwähler gibt“, hält Hermann fest.
Auch wenn eine Reihe von Wählerinnen und Wählern zwischen SP und Grünen wechseln, vermag die Linke in der Schweiz gesamthaft nicht zu wachsen. Während die Sozialdemokraten in vielen Nachbarländern (teils zusammen mit den Grünen) zumindest über einige Jahre auf eine Mehrheit der Wählerstimmen kamen, erreicht die helvetische Linke die Wählerschaft der Mitte nicht.
Politischer Idealismus
«In den anderen Ländern waren die Sozialdemokraten oft lange in der Opposition. Dabei profitierten sie von der Unzufriedenheit der Wähler über diejenigen Parteien, die jeweils an der Macht waren. In der Schweiz hingegen ist die SP schon seit über einem halben Jahrhundert in die Regierung eingebunden.
Es besteht für die SP Schweiz daher weniger Motivation, in ihrer Politik Konzessionen einzuräumen, so wie es sozialdemokratische Parteien in anderen Ländern gemacht haben. Denken wir nur an den so genannten Dritten Weg von Tony Blair in Grossbritannien“, sagt Michael Hermann.
Sowohl die SP als auch die Grünen haben in den letzten Jahren alle Versuche abgeblockt, eine etwas liberalere, mitteorientierte Politik zu verfolgen. De facto eint die beiden Parteien ein gewisser Idealismus ihrer Leader. In der Wirtschaftspolitik setzen sie sich regelmässig für die unteren Einkommensschichten ein und vernachlässigen die Interessen ihrer eigenen Wählerschaft, die aus den höheren Einkommensschichten stammt.
Neues Präsidium
Bei den Eidgenössischen Wahlen von 2007 brach die SP um 4 Prozent ein. Und in den letzten drei Jahren hat sie praktisch bei allen kantonalen Urnengängen Wähleranteile verloren. Das allgemeine politisch-gesellschaftliche Klima ist zudem in Hinblick auf die nationalen Wahlen von 2011 nicht gerade günstig für die Sozialdemokraten.
Die Wirtschaft zieht wieder an und die Arbeitslosigkeit sinkt. Damit herrscht wenig Sensibilität für die Themen der Linken. Dies zeigt sich in ganz Europa. Die Linke vermochte nicht einmal, in Bezug auf die Wähleranteile von der Finanz- und Bankenkrise zu profitieren, die durch neoliberale Kreise ausgelöst wurde.
«Wir haben unsere Mannschaft verstärkt und unsere Führung verjüngt“, zeigt sich SP-Parteipräsident Christian Levrat gleichwohl optimistisch. «Wir haben zudem den Schwerpunkt unserer Arbeit wieder auf die grundsätzlichen ökonomischen und sozialen Fragen gerichtet, während wir zuvor zu viele Themen gleichzeitig angepackt haben.“
Grüne und Grünliberale
Die Grünen gingen bei den Wahlen von 2007 als Gewinner hervor. Sie konnten auch bei den meisten kantonalen Urnengängen zulegen. Doch gemäss Hermann muss die grüne Partei mit zwei Handicaps in die nächsten Wahlen ziehen: «Die Grünen stehen erstmals auf nationaler Ebene im Wettkampf mit den Grünliberalen. Und die Frage des Klimawandels scheint heute im Vergleich zu 2007 weniger wichtig zu sein.“
Die Grüne Partei der Schweiz will in ihrer Wahlkampagne gleichwohl auf die Klimaproblematik eingehen, aber auch auf die Verkehrspolitik und die grüne Revolution in der Wirtschaft. Die Grünen wollen mindestens 2 bis 3 Prozentpunkte zusätzlich erreichen. Das soll den Anspruch der Partei auf einen Sitz in der Landesregierung stärken.
«In den 1950er Jahren hat man der SP Platz in der Regierung eingeräumt, um der steigenden Bedeutung der Arbeiter – und Gewerkschaftsbewegung gerecht zu werden. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, auch die Grünen in die Regierungsverantwortung einzubinden, denn die Klima- und Energieprobleme sind prioritäre Themen für die Zukunft“, hält Grünen-Präsident Ueli Leuenberger fest.
Von 1931 bis 1983 war die Sozialdemokratische Partei die stärkste politische Kraft der Schweiz. Heute steht sie an zweiter Stelle nach der Schweizerischen Volkspartei SVP.
Bei den eidgenössischen Wahlen von 2007 erreichte sie 19,5% Wählerstimmenanteil (-3,8%).
Die Sozialdemokraten verfügen über 51 Sitze im Parlament – 42 im Nationalrat und 9 im Ständerat. In der Landesregierung (Bundesrat) verfügt die SP über zwei von sieben Sitzen.
Die SP hat in den letzten drei Jahren in 15 von 16 kantonalen Urnengängen, an denen sie teilnahm, Wähleranteile verloren.
Gemäss Wähleranteilen steht die Grüne Partei der Schweiz an fünfter Stelle. Sie ist die grösste Nicht-Regierungspartei der Schweiz.
Bei den letzten Parlamentswahlen erreichte sie 9,6 Prozent Wähleranteil (+2%).
Die Grünen sind im Schweizer Parlament mit 24 Mitgliedern vertreten, davon 22 National- und 2 Ständeräte.
(Übertragen aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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