«Die Rechte hat die fünfte Schweiz vergessen»
Nach ihrem Abstimmungs-Erfolg vom 26. September zieht die Schweizerische Volkspartei (SVP) nun einen parlamentarischen Vorstoss gegen das Doppelbürger-Recht aus der Schublade.
Jean-Paul Aeschlimann von der Auslandschweizer Organisation (ASO) erwartet heftigen Widerstand gegen diese Motion.
Die Debatte, welche die SVP mit ihrer Ankündigung, sie wolle die doppelte Staatsbürgerschaft verbieten, ausgelöst hat, sei bei den Landsleuten der Fünften Schweiz auf Unverständnis und Verblüffung gestossen, sagt ASO Vize-Präsident Jean-Paul Aeschlimann gegenüber swissinfo.
swissinfo: Die Drohung, die doppelte Staatsbürgerschaften zu verbieten, betrifft vor allem die Auslandschweizer, von denen rund 70% im Besitz zweier Staatsbürgerschaften sind.
Jean-Paul Aeschlimann: Das wäre natürlich ein grosser Rückschritt, wenn das so geschehen würde. Für die Länder, welche die doppelte Staatsbürgerschaft nicht kennen, denke ich, dass eine gewisse Anpassung auf längere Sicht gesehen unabdingbar ist. Selbst in Deutschland beginnt sich die Situation zu ändern.
Ich glaube, dass sich die SVP im Publikum irrt, denn sie beabsichtigt zweifellos, die doppelte Nationalität für in der Schweiz lebende Schweizer abzuschaffen. Sie vernachlässigt dabei aber die Auslandschweizer mit einer zweiten Staatsbürgerschaft.
Meiner Meinung nach ist das ein grosser Einschätzungsfehler. Wenn die SVP das Thema so polemisch angeht, wird sie eine sehr starke Reaktion bei den Betroffenen auslösen.
swissinfo: Andererseits hat ja die SVP die Auslandschweizer nicht vergessen. So hat sie bei den eidgenössischen Wahlen 2003 in einzeInen Kantonen eine Auslandschweizer-Liste präsentiert.
J.-P. A.: Deshalb denke ich, dass sie sich täuscht. Ihre Motion zielt klar auf die Schweizer im Inland. Die SVP hat offensichtlich das Gewicht vergessen, das 70% der Auslandschweizerinnen und –Schweizer ausmachen.
swissinfo: Was wäre die Strategie der ASO bei einer Volksabstimmung?
J.-P. A.: Der ASO-Kongress würde sich sehr deutlich und ohne jeglichen Zweifel äussern, dass die Massnahme unnötig sind und für die Auslandschweizer schikanös ist.
Wenn die SVP uns jetzt vernachlässigt (die Auslandschweizer sind fast so zahlreich, wie die Ausländer, die in der Schweiz leben), hat sie den falschen Eindruck, die Auslandschweizer seien Nostalgiker, die dazu neigten, die SVP zu wählen. Aber das würde sich als ein Schuss ins eigene Bein erweisen.
Oder wenn sie die Ergebnisse der Abstimmungen analysiert, stellt sie fest, wie zum Beispiel bei den Abstimmungen vom 26. September, dass die Auslandschweizer in allen Kantonen mit einer sehr starken Ja-Mehrheit (mehr als 70%) den zwei Einbürgerungsvorlagen zustimmten. Und dies auch in Kantonen, die der SVP relativ nahe stehen und als konservativ betrachtetn gelten, wie Appenzell oder Luzern.
Es zeigt sich, dass die Auslandschweizer nicht immer so stimmen, wie die SVP es wünscht. Und vielleicht zieht sie daraus den Schluss, dass man dafür die Auslandschweizer «bestrafen» sollte, indem man ihnen die schweizerische Nationalität wegnimmt.
swissinfo: Die Auslandschweizer stimmen mehrheitlich für eine Öffnung.
J.-P. A: Ja natürlich setzen sie sich dafür ein. Ich erinnere daran, dass die Abstimmung zum UNO-Beitritt dank den Auslandschweizer-Stimmen positiv ausging. Ohne sie hätte der Kanton Luzern eine Nein-Stimmen-Mehrheit gehabt. Aber er stimmte als 13. Kanton JA und hat so für das Ständemehr gesorgt.
swissinfo: Wie stark beschäftigen Sie die Absichten der SVP?
J.-P. A.: Nicht wirklich. Denn man wird gewiss eine Lösung finden, um jenen den Schweizer Pass zu erhalten, die ihn haben müssen. Das ist anders nicht möglich.
Das Schicksal der Bilateralen II mit Schengen, das Abkommen über die internationale Kriminalität, beschäftigt mich viel stärker. Und dort müssen die Parteien viel vorsichtiger sein. Es werden heftige Auseinandersetzungen stattfinden.
Zum heutigen Zeitpunkt kann man sagen, dass das Beispiel vom 26. September die Schweiz noch nicht allzu viel kostet, da das doppelte Nein das Ausland nicht allzu sehr überrascht hat. Würden nämlich in einem unserer Nachbarländer dieselben Fragen gestellt, wäre das Resultat wahrscheinlich ähnlich.
swissinfo-Interview: Isabelle Eichenberger
(Übertragen aus dem Französischen: Etienne Strebel)
Jean-Paul Aeschlimann ist seit 1973 Ausland-Schweizer.
Er hat für die australische Regierung gearbeitet und lebt seit über 30 Jahren an den verschiedensten Orten rund um den Globus.
Seit Anfang der 90er-Jahre wohnt der Schweizer Forscher in Montpellier, Frankreich.
Er war von 1984 bis 2002 Präsident der Ausland-Schweizer in Frankreich und ist Vizepräsident der Auslandschweizer Organisation (ASO) und Schweizer Konsul in Montpellier.
Rund 70% der 612’000 Auslandschweizer sind Doppelbürger.
90’000 von ihnen profitieren vom Abstimmungs- und Wahlrecht in der Schweiz.
Ungefähr 20% der Menschen in der Schweiz (7,3 Mio. Einwohner) sind Ausländer.
In der Schweiz leben knapp 9% Doppelbürger.
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