«Die Rückkehr in die Schweiz ist mehr als eine Reise»
Die Rückkehr in die Schweiz soll erleichtert, und die Rechte der Italienschweizer müssen verteidigt werden. Dies waren zwei zentrale Forderungen beim 72. Kongress des Dachverbands der Schweizer Vereinigungen in Italien in San Remo.
«In diesen wirtschaftlichen Krisenzeiten und wegen der zusätzlichen Probleme auf Grund der italienischen Steueramnestie entscheiden sich viele Schweizer Bürger, nach Hause zurückzukehren; in der Überzeugung, das gleiche Land anzutreffen, das sie vor einigen Jahren verlassen haben», meint Irène Beutler-Fauguel, Präsidentin des Dachverbands der Schweizer Vereinigungen in Italien.
Doch die Rückkehr in die Schweiz sei meistens schwieriger als erwartet. «Häufig treten bürokratische und steuerliche Schwierigkeiten oder Versicherungsprobleme auf, aber auch ein nicht vorhergesehener Kulturschock, der zum Albtraum werden kann», fügt die Präsidentin an.
Um solche Fälle zu vermeiden, hat der Dachverband seinen jüngsten Kongress diesem Thema gewidmet und einen praktischen Leitfaden für Schweizer erarbeitet, die Italien verlassen und in ihre Heimat zurückkehren wollen.
«Eine Rückkehr ist weit mehr als eine Reise», betont Ex-Botschafter Jean-François Lichtenstern, Chef des Auslandschweizerdienstes im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). «Es handelt sich um einen Re-Integrationsprozess, der gut vorbereitet sein will, mit Hilfe von Freunden, Familienangehörigen und offiziellen Stellen.»
Botschafter der Schweiz
In San Remo hat man folglich ein klares Zeichen zur Unterstützung von Heimkehrern gesetzt. Gleichzeitig wurde ein Appell an die Italienschweizer lanciert, sich je einzeln als Botschafter der Schweiz zu verhalten.
Laut Jacques-Simon Eggly, Präsident der Auslandschweizer-Organisation (ASO), «hat diese Gemeinschaft die schwierige Aufgabe, in Italien verständlich zu machen, dass die Schweiz nicht einfach ein Land ist, in dem die Banken nicht deklarierte Gelder verwalten, sondern vor allem eine Nation, die fundamentale Werte wie Demokratie, Kompromissfindung, Bürgernähe und natürlich den Frieden ihr eigen nennt».
Der Kongress fand nur wenige Tage nach dem Treffen von Bundespräsidentin Doris Leuthard mit dem italienischen Premierminister Silvio Berlusconi statt. «Nach dem schwierigen Beziehungen im Vorjahr ermöglicht das neue Klima des Dialogs unserer Landsleuten, den Italienern zu erklären, was wirklich in der Schweiz geschieht», meinte Eggly.
Und Eggly weiter: «Die Schweizer Regierung müsste ihre Stimme lauter erheben, um unser Land vor ungerechtfertigen Attacken von Seiten der Nachbarländer zu schützen.» Auch eine Verlängerung der Amtsdauer der Präsidentschaft sei nötig, um sich im Ausland mehr Gehör zu verschaffen.
Aus für Konsulat in Genua
Abgesehen vom angekratzten Image der Schweiz im Ausland kamen beim Kongress noch viele weitere Themen zu Sprache: Die Zukunft der Schweizer Schulen im Ausland, die allgemeine Einführung der elektronischen Stimmabgabe, die Einsparungen bei der Schweizer Revue und die Schliessung des Konsulats von Genua im Jahr 2011.
Mit dem Abbau der diplomatischen Vertretungen geht für die Auslandschweizer das Problem einher, sich gültige Ausweispapiere zu verschaffen. Die Hürden, um einen Identitätsausweis oder Pass zu erhalten, werden immer höher.
Dass auch betagte Personen weite Reisen antreten müssen, um persönlich auf dem Konsulat zu erscheinen, wird als Zumutung empfunden. Genannt wurde der Fall einer 84-Jährigen aus Apulien, die gezwungen war, in Rom ihren Antrag zur Erneuerung der ID-Karte zu stellen. «Eine unhaltbare Situation», schimpfte Irène Beutler-Faugel.
Überalterte Vereine
Der Kongress von San Remo bot schliesslich Irène Beutler-Faugel Gelegenheit, eine Bilanz ihres ersten Präsidentschafts-Jahres zu ziehen. Es sei nicht leicht gewesen, die Nachfolge des Energiebündels Roberto Engeler anzutreten. Doch die Kontakte mit den diversen Vereinen hätten geholfen, die Bedürfnisse und Erwartungen der Italienschweizer kennen zu lerrnen.
Dabei hat sich herausgestellt, dass vor allem die Abwesenheit junger Leute den Schweizervereinen Probleme bereitet. «Die Vereine altern genauso wie ihrer Führungspersonen, und der Dialog zwischen den Generationen ist nicht immer leicht», meint Irène Beutler-Faugel.
Graziano Poretti, Präsident der Sektion Riviera di Ponente, sieht dies genau so: «Wenn ich einen Appell an die Schweizer Regierung und das Parlament richten dürfte, würde ich sagen: Denkt verstärkt an die jungen Leute!» Den Vereinen fehlen vor allem Personen aus den jüngeren und mittleren Altersschichten.
Um das Ziel einer stärken Präsenz dieser Altersgruppen zu erreichen, hat diese Sektion konkrete Schritte eingeleitet und einen Ausschuss mit 20- bis 40-Jährigen gebildet. Um die Kommunikation zu stärken, sollen künftig auch neue Formen wie Facebook miteinbezogen werden.
Stefania Summermatter, San Remo (Italien), swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Das Nachbarland Italien ist seit Jahren der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz, wobei Italien regelmässig einen Handelsbilanz-Überschuss erzielt (2009: 2,1 Mrd. Franken).
Italien ist der drittwichtigste Exportmarkt für die Schweiz und das zweitwichtigste Herkunftsland unserer Importe.
Als achtgrösster Investor schafft die Schweiz mit Direktinvestitionen von 22 Mrd. Franken 78’000 Arbeitsplätze in Italien. Umgekehrt werden aufgrund der 6 Mrd. Franken italienischer Direktinvestitionen 13’000 Personen in der Schweiz beschäftigt.
Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Italien ist in mehreren Verträgen geregelt, etwa dem Vertrag zur Kooperation der Polizeibehörden (2000), zur Rechtshilfe (2003) oder zur wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit (2006).
Im Grenzgebiet zwischen dem Kanton Tessin und den Provinzen Como, Varese sowie Verbania-Cusio-Ossola existiert seit 1995 die grenzüberschreitende Arbeitsgemeinschaft Regio Insubrica.
(Quelle: EDA)
Die Auslanditaliener bilden die grösste Gemeinschaft an Ausländern in der Schweiz. Über 500’000 in der Schweiz niedergelassene Personen besitzen das italienische Bürgerrecht (inklusive Doppelbürger).
Die italienische Gemeinschaft in der Schweiz steht weltweit an vierter Stelle, nach denjenigen von Frankreich, Deutschland und den USA.
Ende 2009 waren 48’638 Schweizer Bürger in den drei konsularischen Vertretungen der Schweiz in Italien gemeldet. Zwei Drittel der Auslandschweizer in Italien lebt in Norditalien.
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