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Die Schweiz erweist Rugova die letzte Ehre

Totenwache am Sarg Ibrahim Rugovas, der letzten Samstag einem Krebsleiden erlag. Keystone

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey nimmt am Donnerstag mit Vertretern anderer Länder an der Trauerfeier für Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova teil.

Die Schweiz hat enge Verbindungen zum Kosovo, denn jeder zehnte Kosovo-Albaner lebt in der Schweiz.

Zum Auftakt der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Kosovo-Präsidenten Ibrahim Rugova haben sich am Donnerstag in Pristina die engsten Verwandten und politischen Freunde von dem 61-Jährigen verabschiedet.

Zehntausende hatten bis zum späten Vorabend dem im Parlament aufgebahrten Rugova die letzte Ehre erwiesen.

Zahlreiche ausländische Minister und Politiker nehmen an der Beerdigung teil. Die Schweiz ist durch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey vertreten.

Zuversichtlich über Zukunft

Nach einem Gespräch Calmy-Reys mit ihrer österreichischen Amtskollegin Ursula Plassnik am Montag in Wien hatte sich die Bundesrätin vor der Presse zuversichtlich gezeigt, dass die Gespräche über den Status des Kosovo auch nach Rugovas Tod weiter gehen. Sie unterstrich, die Status-Frage müsse “relativ schnell” geklärt werden, “weil die Situation vor Ort nicht sehr stabil ist”.

Ausserdem bekräftigte die Schweizer Aussenministerin nochmals, dass sie eine formelle Unabhängigkeit des Kosovo begrüsse. Gleichzeitig betonte sie, eine endgültige Lösung müsse “durch Diskussionen zwischen den Parteien” entstehen.

Symbolfigur weg

Mit Rugova ist eine Symbolfigur verloren gegangen. Ihm hätte man am ehesten zugetraut, unumgängliche Kompromisse bei der Status-Frage seinen Landsleuten gegenüber zu rechtfertigen. Für diese Rolle fällt er nun aus.

Der grüne Nationalrat Ueli Leuenberger, Gründer und bis 2002 Leiter der Albanischen Volksuniversität in Genf (UPA), erwartet verhältnismässig heftige Machtkämpfe innerhalb Rugovas Demokratischer Liga von Kosovo (LDK), der stärksten Partei, sowie mit den anderen politischen Kräften der Kosovo-Albaner.

Dabei werde der Chef der zweitgrössten Partei, der Demokratischen Partei Kosovos (PDK), Hashim Thaci, eine besondere Rolle spielen, so Leuenberger gegenüber swissinfo. Thaci hatte in Zürich studiert und zusammen mit einflussreichen Familien im Kosovo die Befreiungsarmee UCK gegründet.

Hoffnung auf Status-Verhandlungen

Kosovo-Experte Leuenberger hofft auf erfolgreiche Status-Verhandlungen und spricht sich für die Unabhängigkeit Kosovos aus, allerdings mit klar definierten Garantien für die Rechte der serbischen und anderer Minderheiten. “Alles andere, insbesondere eine Teilung des Kosovo, würde zum Krieg führen.”

Befürchtungen über eine mögliche Destabilisierung im Kosovo kann das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) nachvollziehen. “Es ist klar, Herr Rugova hätte eine entscheidende Rolle bei den Status-Verhandlungen gespielt”, sagt EDA-Sprecher Jean-Philippe Jeannerat gegenüber swissinfo. “Jetzt ist die Situation schwieriger. Aber man sollte nicht allzu pessimistisch sein.” Alle Seiten seien sich bewusst, dass man ohne allzu grosse Verzögerung zu einer nachhaltigen Lösung kommen sollte.

Kosovo-Diaspora: Trauer, aber dennoch Optimismus

Politische und kulturelle Organisationen und Verbände der in der Schweiz lebenden Kosovo-Albaner bedauern den Tod Rugovas. “Sein Tod hat mich persönlich und uns alle tief getroffen”, sagt der Journalist Hevzi Kryeziu gegenüber swissinfo. “Nicht nur Kosovo, sondern der ganze Balkan hat einen Mann des Friedens verloren.”

Kryeziu befürchtet für die Aera nach Rugova weder Unruhen noch Anarchie. “Denn heute funktionieren Verwaltung und Institutionen im Kosovo sehr gut.” Auch ein Machtgerangel und die Nachfolge Rugovas schliesst er aus, weil heute jeder Politiker wisse, dass ein politisches Amt nicht ein Privileg, sondern eine Frage der Verantwortung für das Land sei. Im übrigen hofft Kryeziu, “dass die Schweiz ihr Engagement für die Unabhängigkeit des Kosovo weiterführt”.

Frieden und Freiheit

Vertreter der Albanischen Lehrer- und Elternverbände in der Schweiz erhoffen sich “eine friedliche Entwicklung in Richtung Freiheit und Unabhängigkeit des Kosovo”. Dies sei für das Image und die Integration der Diaspora in der Schweiz sehr wichtig.

Shefget Cakolli vom Albanischen Kulturverein in Winterthur meint zwar, es sei weit und breit kein Nachfolger von der politischen Statur Rugovas in Sicht. Dennoch glaubt er an eine friedliche Entwicklung. “Es gibt nur eine kleine Minderheit unter uns, die jeglichen Dialog ablehnt. Aber die grosse Mehrheit will Frieden und Freiheit”, so Cakolli.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

90er-Jahre: Die Albaner werden in kürzester Zeit die zweitgrösste ausländische Volksgruppe in der Schweiz.

1998 leben etwa 160’000 Kosovo-Albaner in der Schweiz.

Heute leben rund 200’000 Kosovo-Albaner in der Schweiz, was etwa 10% der Bevölkerung Kosovos entspricht.

In Deutschland sind es etwa 400’000, doch proportional zur Landesgrösse leben in der Schweiz weitaus am meisten Kosovo-Albaner.

Die Schweiz beteiligt sich mit einem Swisscoy-Kontingent in Suva Reka an der Mission der Vereinten Nationen. Die serbische Provinz Kosovo steht heute unter UNO-Protektorat.

Ibrahim Rugova (61) setzte sich bereits nach der Aufkündigung der Provinz-Autonomie 1989 durch den damaligen serbischen Machthaber Slobodan Milosevic für einen passiven Widerstand gegen die Herrschaft der Führung in Belgrad ein.

Der studierte Literaturwissenschafter schuf einen Parallelstaat mit eigenen Institutionen, Schulen und Spitälern.

Während der Zeit der Balkan-Kriege verlor er seinen Einfluss an Gruppen, welche die Unabhängigkeit des Kosovo mit Gewalt gewinnen wollten. Der “Gandhi des Balkans” geriet ins politische Abseits.

Nach Kriegsende im Juni 1999 gelang Rugova ein Comeback: Er wurde zweimal Übergangs-Präsident der Region. Zudem führte er weiterhin die grösste Partei, die Demokratischer Liga von Kosovo (LDK), die regelmässig die Wahlen gewann.

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