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Die Schweiz unterschreibt die Bilateralen

Bundespräsident Joseph Deiss (rechts) und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey bei der Unterzeichnung der Bilateralen II mit der EU in Brüssel. Keystone

Die Schweiz und die EU haben am Dienstag in Luxemburg die Bilateralen Verträge II und das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit den neuen EU-Staaten unterzeichnet.

Damit kann die Ratifizierung der Verträge beginnen. Es bleibt die Frage, ob es eine dritte Runde geben wird.

Für die Schweiz nahmen Bundespräsident Joseph Deiss und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey an der Zeremonie teil. Die EU vertraten der niederländische Minister Piet Hein Donner und Jonathan Faull, Generaldirektor in der Brüsseler Behörde.

Die Unterzeichnung fand mehr als fünf Monate nach der politischen Einigung statt. Die Vertragstexte sind nun definitiv. Jetzt beginnt die Ratifizierungsphase.

Steht eine weitere Runde an?

Kommt es zu Bilateralen III oder – anders gefragt – welche Form werden die Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und der Europäischen Union (EU) annehmen?

Die Schweiz jedenfalls schliesst eine weitere Runde nicht aus. «Zwischen Nachbarn kann man nie aufhören zu verhandeln», hatte Bundesrat Pascal Couchepin kürzlich scherzhaft erklärt.

EU-Beitritt vergessen

René Schwok, Politologie-Professor an der Universität Genf, teilt diese Meinung. «Diese Verträge verstärken den bilateralen Weg. Sie erlauben es Bern, die Beitritts-Verhandlungen zu vertagen, ohne dabei marginalisiert zu werden.»

Ausserdem würde eine starke Lobby geschaffen, nämlich jene der Bankiers. «Diese sind gegen Beitritts-Verhandlungen, weil so das Bank-Geheimnis wieder in Frage gestellt würde, welches mit dem Zinsbesteuerungs-Abkommen gerettet wurde.»

«Es ist klar, dass die Schweiz auf dem bilateralen Weg bleiben wird», ist sich Jean Russotto sicher. Er ist Präsident des Komitees «Schweiz – Europäische Union» der Schweizerischen Handelskammer in Belgien.

«Man muss den Weg zum Beitritt vergessen, auch wenn Bern gerne wiederholt, dass der Beitritt das strategische Ziel bleibt.»

Die Bilateralen II hätten eine Dynamik und würden weiterwachsen. «Man muss sie anpassen und ergänzen.» Ausserdem, ruft der Anwalt in Erinnerung, blieben «unerforschte» Gebiete übrig, beispielsweise die Liberalisierung des Strommarktes.

Bern schnürt gerne Pakete

Auf der Schweizer Seite ist ohne Zweifel der Wille vorhanden, nach dem zweiten Paket der Bilateralen neue Verhandlungen aufzunehmen.

Die Aufteilung in Pakete erlaubt es der Schweiz, mehrere Verhandlungen gleichzeitig zu führen. Und ein Spiel zu spielen, das sich mit «du gibst mir das, ich geb dir das» umschreiben liesse.

In Brüssel sieht man das allerdings anders. «Die wirkliche Frage ist die Antwort aus Brüssel», sagt Russotto.

Die EU-Kommission hat nie einen Hehl aus ihrer Vorliebe für Beitrittsverhandlungen an Stelle von bilateralen Verhandlungen gemacht. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die gewachsene EU mit neu 25 Mitgliedsländern von dieser Strategie abweichen sollte.

Im Gegenteil: Dem Sonderfall Schweiz – der weiterhin massgeschneiderte Lösungen fordert – könnte verstärkte Opposition erwachsen. «Wir sind keine Antragsteller», sagt ein hoher EU-Vertreter, «ich sehe kein Thema, für welches neue Verhandlungen eingeleitet werden könnten.»

Wie auch immer. In Brüssel bleibt man im Moment ausweichend. Die bilateralen Beziehungen befänden sich in einer «Phase der Konsolidisierung», heisst es.

Jedenfalls stehen die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU in den nächsten Monaten nicht hoch oben auf der Prioritäten-Liste Brüssels – dort gibt es dringendere Probleme.

Das Referendum droht

Die Unterschrift am Dienstag beschliesst die zweite Runde der Bilateralen Verträge, deren Verhandlung am 17. Juni 2002 begonnen hatte. Sie umfassen drei Haupt-Dossiers: das Zinsbesteuerungs-Abkommen sowie die Abkommen zu Schengen und Dublin.

Die andern sechs Abkommen erlauben es der Schweiz, an verschiedenen EU-Programmen mitzumachen. Ein zehntes Dossier, jenes der Liberalisierung der Dienstleistungen, wurde zurückgezogen.

Jetzt kann die Ratifizierung also beginnen. Allerdings drohen hier ein oder gar zwei Referenden.

Anwalt Russotto verhehlt denn auch nicht seine Skepsis. «Der bilaterale Weg hat zur Folge, dass wir weiterhin das Recht der europäischen Gemeinschaft übernehmen müssen, ohne dazu etwas sagen zu können.»

swissinfo, Barbara Speziali, Luxemburg
(Übertragung aus dem Französischen: Philippe Kropf)

Mit der Unterschrift unter die Bilateralen II beginnt deren Ratifizierung.
Das Schweizer Parlament wird am 17. Dezember darüber befinden.
Die Rechte will das Referendum gegen Schengen und Dublin ergreifen, vielleicht auch gegen die Ausweitung des Personenfreizügigkeits-Abkommens auf die neuen EU-Staaten.
Das Volk könnte im Juni oder September 2005 an der Urne entscheiden.
Auf der EU-Seite muss nur das Abkommen zur Betrugs-Bekämpfung von allen 25 EU-Ländern ratifiziert werden.

Das Abkommen zur Zinsbesteuerung verpflichtet die Schweiz, auf den Konten von EU-Bürgern eine Quellensteuer zu erheben.

Mit dem Abkommen zur Betrugsbekämpfung kämpft die Schweiz zusammen mit der EU gegen den Schmuggel.

Der Beitritt der Schweiz zu den Abkommen von Schengen (Kooperation von Polizei und Justiz) und Dublin (Asyl) wird feste Grenzkontrollen aufheben.

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