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Die Unterhändler hinter den Kulissen

Botschafter Michael Ambühl, Chef des Integrationsbüros EDA/EVD. Keystone

Prägende Ereignisse wie das Gipfeltreffen EU-Schweiz vom Mittwoch werden durch die Arbeit hochrangiger Staatsbeamter wie Michael Ambühl erst möglich gemacht.

Doch diese Unterhändler kommen selten in die Schlagzeilen. Als Diplomaten arbeiten sie hinter den Kulissen.

Die Schweiz kennt im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keine Hochschule, die sich ausschliesslich der Ausbildung von Diplomaten widmet. Dennoch verfügt sie über ausgezeichnete Unterhändler, wie sich im Fall der bilateralen Verhandlungen zwischen der Schweiz und und der Europäischen Union gezeigt hat.

«Es wird allgemein akzeptiert und respektiert, dass ein Land wie die Schweiz seine Interessen verteidigt», sagte der Chef des Integrationsbüros, Michael Ambühl, kürzlich am Radio de la Suisse Romande.

Das Integrationsbüro, das dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und dem Volkswirtschafts-Departement (EVD) untersteht, trägt für das Dossier «Europa» die Verantwortung.

«Es ist wichtig, kohärent zu bleiben und seine Positionen mit Fair-Play zu verteidigen», präzisiert der Architekt der Verträge mit der EU. Doch der wirkliche Erfolg werde sich erst dann einstellen, wenn das Parlament oder, im Falle eines Referendums, das Volk die Verträge absegne.

Strategie und Ausgleich

Auf diplomatischer Ebene hingegen kann man schon jetzt von Erfolg sprechen. Dieser unterstreiche die Qualität und die Kompetenz der helvetischen Unterhändler und ihres Chefs Michael Ambühl, sagt Pierre Dubois vom Institut universitaires des hautes études internationales in Genf.

Es sei Ambühl gewesen, der die Verhandlungsstrategie festgelegt habe. Doch es bleibe nicht bei dieser Rolle allein, so Dubois. «Der Verhandlungschef muss auch die Arbeit der Teams koordinieren und mit jedem seine Dossiers absprechen», unterstreicht Luzius Wasescha, Delegierter für Handelsverträge des Bundesrates.

«Der Chef muss ausserdem acht geben, dass sich Angebot und Nachfrage auf dem Verhandlungstisch einigermassen die Waage halten», sagt Wasescha. Schliesslich diene der Chef auch als Zwischenglied zwischen den politischen und den fachtechnischen Sphären, die das Verhandlungsmandat umschreiben.

Für diese Aufgabe benötigt man eine Reihe von Qualitäten, die man sich meist durch Erfahrung aneignet. «Unsere Diplomaten holen sich das Wesentliche ihrer Kompetenz als Unterhändler aus der Lebenserfahrung», sagt Pierre Dubois.

Erfahrung und Beobachtung

Franz Blankart erinnert sich: «Ich habe dieses Metier gelernt, als ich die Protokolle der Verhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz redigierte.» Das war 1972, als der erste Freihandelsvertrag abgeschlossen wurde.

Der ehemalige Staatssekretär war auch der Chefunterhändler bei den Verhandlungen um den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Er findet, man sollte in diesem Geschäft auch seine Beobachtungsgabe richtig einschätzen.

Worin ihm Cornelio Sommaruga beipflichtet – ebenfalls ein ehemaliger Staatssekretär. Sommaruga entwickelte seine Arbeitsmethode auf der Basis von drei Säulen: Seinen Verhandlungspartner kennen und mit ihm eine Vertrauensbasis schaffen, sein eigenes Dossier und dasjenige seines Gegenübers perfekt beherrschen sowie transparent in seinen Zielen sein und fest zu ihnen stehen.

Wie schon im alten China

Das heisse natürlich nicht, dass man die Schwächen seines Gegenübers nicht ausnützen solle. «Ein Unterhändler soll nicht geliebt, sondern geachtet werden», bringt es Franz Blankart auf den Punkt.

Und wie in jedem Strategiespiel muss der Unterhändler über ein breites Spektrum an Taktiken verfügen. Blankart zu einer dieser Taktiken: «Die alten Chinesen haben sie entdeckt, vor tausend Jahren schon. Sie besteht darin, sich einem an sich völlig akzeptablen Vorschlag erst einmal zu widersetzen, um ihm nachher im Sinne eines Kompromisses doch noch zuzustimmen – falls man dafür ein Entgegenkommen erhält.»

Das Ganze sei so einfach wie effizient, meint der ehemalige Diplomat. «Doch es funktioniert nur dann, wenn man sich die nicht-professionelle Presse vom Leib halten kann.»

Ständige Weiterbildung im Fach Verhandeln

Wie jedoch kann die Schweiz diese aufsummierten Erfahrungen in die laufende Verhandlungs-Diplomatie einbringen und gleichzeitig an den Nachwuchs weitergeben?

Die «Lehrlinge in Sachen Diplomatie» beginnen mit einem Jahr Stage, wenn sie beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) anfangen: Drei Monate in Bern, den Rest auf einer Botschaft im Ausland.

«Die Einführung in die Verhandlungs-Technik dauert eine Woche in Brüssel», sagt Sabine Ulmann, Personal- und Ausbildungsverantwortliche des EDA. «Ausserdem werden die Diplomaten ständig weitergebildet, je nach den Aufgaben, die sie betreuen.»

Ein weiteres Kompetenzzentrum in Sachen internationales Verhandeln liegt im Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), das zusammen mit dem EDA für das Integrationsbüro zuständig.

Laut Wasescha «belegt der Nachwuchs Kurse in Verhandlungstechnik – in theoretischen und praktischen Seminaren».

«Sobald sich ein neues Verhandlungs-Thema abzeichnet, bilden wir Teams aus Leuten aus den entsprechenden Ministerien. Diese müssen diese Kurse besuchen, um ihre neue Aufgabe besser zu erledigen.»

Die historische Rolle der Wirtschaft

Um solche Dossiers besser zu durchleuchten, bedient sich das seco seiner zahlreichen Beziehungen zur Wirtschaft. «Alle Unternehmen, die im Ausland arbeiten, tragen uns wertvolle Informationen über die Länder zu, denen wir uns dann am Verhandlungstisch gegenübersehen», sagt Luzius Wasescha.

In dieser Kenntnis der Terrains, so Wasescha, «liegt einer unserer grössten Trümpfe».

Keine völlig neue Formel, wie der Historiker Hans-Ulrich Jost weiss: «Bis in die vierziger Jahre hat der Bundesrat Privatpersonen wie zum Beispiel Industrielle oder Bankiers beauftragt, die Interessen der Schweiz auf dem internationalen Parkett zu wahren.»

Für Jost, spezialisiert in neuerer Schweizer Geschichte, hat sich rund um die Verhandlungspolitik in Bern seit dieser Zeit gar nicht so viel verändert. «Man sollte die Verhandlungs-Strategien und –Absichten der Schweizer Unterhändler nicht überschätzen. Oft geht es einfach darum, die Interessen jener Unternehmen zu verteidigen, die im Ausland stark engagiert sind.»

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Aus dem Französischen von Alexander Künzle)

Woher kommen die Unterhändler und Wirtschafts-Diplomaten in der Schweiz, wenn es keine entsprechende Schule im Land hat?

Der Erfolg bei der Bilateralen II geht auf harte Verhandlungs-Arbeit hinter den Kulissen zurück.

Das «Europa»-Dossier des Bundes liegt beim Integrationsbüro. Im Fall der Bilateralen II hat Integrationsbüro-Chef Michael Ambühl die Verhandlungsstrategie festgelegt.

Hinter der Konzeption liegt viel Erfahrung früherer Diplomaten und Staatssekretäre, die durch Aus- und ständiger Weiterbildung an den Nachwuchs weitergegeben wird.

Kurse gibts in Brüssel, vom Departement für äussere Angelegenheiten (EDA), und beim Staatssekretariat für Wirtschaft (seco).

Tauchen neue Verhandlungs-Themen am politischen Horizont auf, werden Kompetenz-Teams aus den entsprechenden Ministerien gebildet.

Die Wirtschaft gilt als wichtiger Informationsbeschaffer für die Diplomatie.

Früher waren es gar Privatpersonen aus der Wirtschaft, die vom Bund mit der Wahrung der Landesinteressen auf dem internationalen Parkett beauftragt worden waren.

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