Die Wahlen 2011 und das E-Voting
Die elektronische Teilnahme an den eidgenössischen Wahlen ist eine zentrale Forderung der Auslandschweizer. Im Oktober 2011 wird das E-Voting noch nicht weit verbreitet sein, in einigen Kantonen kann es aber zu Tests kommen. Die Landesregierung entscheidet im Juni.
Seit Jahren schon können Schweizerinnen und Schweizer im Ausland per Post an Abstimmungen und Wahlen in ihrer Heimat teilnehmen.
Doch viele hoffen, dass sie bald einmal auch direkt per Computer an Schweizer Urnengängen mitmachen können.
Seit mehreren Jahren bereits haben die verschiedenen Gruppen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer wie auch die Auslandschweizer-Organisation (ASO) an ihren Treffen das Thema «E-Voting» ganz weit oben auf die Traktandenliste gesetzt.
Verspätete Post
Ein Anliegen, das angesichts der schleppenden Postdienste in vielen Ländern gerechtfertigt scheint, denn dies hindert zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer im Ausland, ihre Wahl- und Stimmrechte wahrzunehmen.
«Bei uns wird die Post manchmal mit Monaten Verspätung geliefert», erzählt Pierino Lardi, ein Schweizer in Venezuela. «Es ist daher wahrscheinlich, dass wir unser Material erst erhalten, wenn das Wahlergebnis in der Schweiz schon längst bekannt ist.»
Laut ASO-Direktor Rudolf Wyder ist dieses Problem bei eidgenössischen Wahlen noch akuter, da die Frist zur Einreichung des Wahlmaterials noch knapper ist als bei Abstimmungen.
«Und es wird noch komplizierter, wenn ein zweiter Wahlgang nötig ist, der drei Wochen nach dem ersten Wahlgang stattfindet», sagt er. «Die Zeit reicht dann nicht, das Material zu verschicken und es innerhalb der Frist wieder zu erhalten. Dies ist eine Behinderung der Stimm- und Wahlrechte der Auslandschweizer, die mit der elektronischen Stimmabgabe behoben werden könnte.»
Wyder ist auch überzeugt, dass die generelle Einführung des E-Votings die Teilnahme der Auslandgemeinde bei nationalen Urnengängen erhöhen würde. «Bereits heute nimmt einer von vier Auslandschweizern teil. Die Einführung der elektronischen Stimmabgabe dürfte diese Beteiligung noch erhöhen. Um wie viel, kann ich aber nicht einschätzen.»
Und der ASO-Direktor kommt zum Schluss: «Je früher die Möglichkeit zur elektronischen Abstimmung kommt, desto besser.»
Schon zahlreiche Versuche
Die Forderungen der ASO sind aber nicht folgenlos geblieben. Die Eidgenossenschaft sammelt seit einigen Jahren Erfahrungen auf dem Gebiet, und drei Pilotkantone (Zürich, Neuenburg und Genf) haben gegen 20 Versuche in grossem Umfang durchgeführt.
Mehrere weitere Kantone haben sich dem Experiment angeschlossen, indem sie das System von Zürich oder Genf angenommen haben. Das Modell des Kantons Neuenburg hingegen wurde nie kopiert. Dessen EDV-System ist nicht einzig auf die elektronische Stimmabgabe ausgerichtet, sondern bietet einen Service namens «virtueller Schalter», der es erlaubt, elektronisch die Steuererklärung einzureichen oder auf offizielle Dokumente zuzugreifen.
Jedenfalls ging das Experiment 2008 nach ersten erfolgreichen Versuchen in den Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf in eine neue Phase. So haben bei den letzten eidgenössischen Abstimmungen vom 13. Februar zwölf Kantone «erfolgreich» Tests durchgeführt, wie die Bundeskanzlei erklärte. Zudem präzisierte sie: «Die Vote électronique-Versuche haben die Anforderungen des Bundes vollständig erfüllt.»
Auf die Bremse getreten…
Unter diesen Bedingungen könnte man eigentlich davon ausgehen, dass alles bereit sein könnte für einen gross angelegten Versuch anlässlich der eidgenössischen Wahlen im Oktober. Doch weit gefehlt: Zwei der Pilotkantone, Zürich und Genf, haben angekündigt, im Oktober keine neuen Tests durchführen zu wollen.
Genf steht vor rechtlichen Problemen: Dem Kanton fehlt eine genügende legale Basis. Zwar soll das Problem demnächst gelöst werden, doch es ist klar, dass es nicht für die nationalen Wahlen reichen wird. Sie sind eine zu wichtige politische Veranstaltung, um durch Rekurse gestört zu werden.
In Zürich wird der Unterbruch der Tests mit zu hohen Kosten begründet, aber auch mit technischen Problemen. Auch Neuenburg, das keine technischen Probleme verzeichnet, erklärte, es sei aus technischen Gründen zu früh für einen Versuch mit den eidgenössischen Wahlen.
«Bei einer Abstimmung reicht es, einfach mit Ja oder Nein zu antworten», erklärt Séverine Despland, Kanzleichefin des Kantons Neuenburg. «Eine Wahl aber, bei der verschiedene Möglichkeiten bestehen wie Panaschieren, Kumulieren oder Streichen, ist technisch viel komplizierter.»
…aber trotzdem nicht zu stoppen
Trotz all diesen Rückschlägen wird die Geschichte des E-Voting weitergeschrieben werden. «Unser Ziel ist es, 2012 Tests mit elektronischen Wahlen auf kommunaler Ebene durchzuführen», sagt Despland. «Die Eidgenossenschaft fordert zunächst Versuche auf lokaler Ebene, bevor elektronisch auf Bundesebene gewählt werden wird.»
Auf Seiten der Bundeskanzlei betont man, dass die Versuche fortgesetzt werden sollen. Das Ziel ist, dass eine Handvoll Kantone erstmals bei den Wahlen vom Oktober 2011 versuchsweise eine elektronische Stimmabgabe ermöglicht. Man arbeite intensiv daran. Der Bundesrat will sich im Juni über den Zulassungs-Antrag für diese Kantone äussern.
Die Bundeskanzlei verfolgt somit die Umsetzung der Regierungsstrategie betreffend E-Voting, die 2007 vom Parlament genehmigt worden war. «Wir sind zufrieden, so auf ein echtes Bedürfnis der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland antworten zu können», heisst es.
2000: Der Bundesrat erteilt der Bundeskanzlei den Auftrag, die Machbarkeit der elektronischen Stimmabgabe zu prüfen.
2001: Der erste Bericht zum E-Voting kommt zum Schluss, dass zur Klärung der Machbarkeit praktische Versuche nötig sind.
2002: Das Parlament erlässt die gesetzlichen Grundlagen, damit in interessierten Kantonen Versuche durchgeführt werden können.
2003: Erster Versuch im Kanton Genf.
2005: Neuenburg und Zürich führen erste Versuche durch. Die ersten drei Pilotkantone nutzen unterschiedliche Informatik-Systeme.
2006: Der Bundesrat beschliesst die Einführung des E-Voting in Etappen.
2007: Das Parlament stimmt dieser Strategie zu.
2009: Basel-Stadt und Genf unterzeichnen eine Vereinbarung, wonach Basel das Genfer E-Voting-System nutzen kann. Die Kantone Graubünden, St. Gallen, Schaffhausen, Aargau, Thurgau, Solothurn und Freiburg schliessen einen ähnlichen Vertrag mit Zürich ab.
2010: Bern als Kanton mit den meisten Gemeinden der Schweiz schliesst einen Vertrag mit Genf zur Nutzung dessen E-Voting-Systems ab. Es folgt der Kanton Luzern.
13. Februar 2011: Rund 175’000 Stimmende in den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Freiburg, Graubünden, Luzern, Neuenburg, Schaffhausen, Solothurn, St. Gallen, Thurgau und Zürich können elektronisch abstimmen.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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