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Die Wende – nur ein psychologischer Impuls

"Flirt" - der neue SBB-Pendlerzug: Produziert von der Schweizer Firma Stadler in Berlin. Keystone

Deutschland und die Schweiz sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Deshalb interessieren die deutschen Wahlen auch die Schweizer Wirtschaft.

Dem möglichen Machtwechsel nach dem 18. September begegnen Schweizer Experten allerdings lediglich mit verhaltenem Optimismus.

«Aus einer liberalen Perspektive sind diese Wahlen nicht gerade ein Hoffnungsträger», sagt der freisinnige Silvio Borner, Professor für Wirtschafts-Wissenschaften an der Universität Basel, gegenüber swissinfo. «Merkel und Schröder haben sich bis jetzt gescheut, wirkliche Reformen auf den Tisch zu legen.»

Ein Machtwechsel wäre laut Borner «wirtschaftspolitisch eher von Vorteil, vor allem dann, wenn noch die FDP als Partnerin dazu käme». Aber auch der FDP traut er nicht allzu viel zu. «Sie ist auch nicht mehr so konsequent wie sie einst war. Im Bereich der Freiheitsrechte sind die Grünen eher liberaler als die Liberalen.»

Der linke Druck aus dem Osten

Der CDU attestiert er – wie den Schweizer Christdemokraten – «eine recht interventionistische und protektionistische Haltung, wenn es um ihre eigenen Sonderinteressen geht».

Dennoch beurteilt Borner einen Wechsel in Deutschland grundsätzlich positiv. «Der Kanzler kommt von Seiten der Linken (Lafontaine und Gysi) zunehmend unter Druck. Auch wenn Sozialdemokarten im Prinzip eher Reformen durchsetzen können, ist diese Regierung verbraucht und sie hat sich aussenpolitisch mit ihrem Antiamerikanismus an die Wand gefahren.»

Wenn die Theorie stimmt, dass die Aktienmärkte die Entwicklung der Wirtschaft vorwegnehmen, dann steht die deutsche Wirtschaft vor einem Aufschwung. Der Dax ist auf einem Höhenflug, seit Kanzler Schröder Neuwahlen angekündet hat.

Silvio Borner schliesst nicht aus, «dass die Kapitalmärkte von einer neuen, besseren Regierung ausgehen», aber «die deutsche Wirtschaft hat trotz den widrigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen einen gewissen Strukturwandel recht erfolgreich bewältigt».

Langfristig eine Vertrauensfrage

Auch nach einem Regierungswechsel werde Deutschland seine Probleme nicht kurzfristig lösen können, betont der Direktor der Handelskammer Deutschland-Schweiz, Ralf Bopp, im Gespräch mit swissinfo: «Die Probleme der deutschen Gesellschaft und der Wirtschaft sind über Jahrzehnte gewachsen.»

Längerfristig müsse die neue Regierung das Vertrauen der Wähler wieder zurückgewinnen. Dazu brauche es eine Kontinuität bei den Reformen. «Kurzfristig gehe ich davon aus, dass ein Wechsel der Wirtschaft rein psychologisch positive Impulse verleihen wird.»

Die Schweiz – darin sind sich die Experten einig – ist in hohem Mass von Deutschland abhängig. Deutschland ist der wichtigste Aussenhandelspartner der Schweiz. 20% der Exporte gehen nach Deutschland, die Schweiz bezieht einen Drittel der Importe aus dem nördlichen Nachbarland. Allein das süddeutsche Baden-Württemberg erreicht als Aussenhandelspartner dasselbe Volumen wie die USA.

Zentral ist Deutschland vor allem für die Schweizer Maschinen-, Metall- Chemie- und Pharmaindustrie, aber auch für den Tourismus. Jede dritte Hotel-Logiernacht von Ausländern geht auf das Konto deutscher Touristen.

Schweiz muss Probleme selber lösen

Trotzdem: Ein allfälliger Aufschwung in Deutschland zieht nicht automatisch einen Aufschwung in der Schweiz nach sich. «Wenn die Schweizer Hotellerie mehr deutsche Gäste haben will, dann muss sie kundenfreundlicher und konkurrenzfähiger werden», fasst Christoph Kollreuter die Situation anhand eines einfachen Beispiels zusammen.

Von einem Regierungswechsel erwartet der Leiter der Konjunktur-Forschungsstelle Basel keine entscheidende Belebung der deutschen Wirtschaft: «Ich bin nicht sehr optimistisch, wenn ich mir das Programm der CDU ansehe», und fügt an: «Die deutschen Wahlen sind kein Faktor für das Schweizer Wachstum, darauf darf man nicht hoffen.»

Ähnlich argumentiert auch der Chefökonom des Staatsekretariats für Wirtschaft (seco), Aymo Brunetti: «Wir können unsere Probleme nicht auf Deutschland abschieben.»

swissinfo, Andreas Keiser

Gerhard Schröder ist seit 1998 Bundeskanzler.

Im Mai hat er entschieden, Neuwahlen durchzuführen.

Rot-grün hatte auch in Nordrhein-Westfalen die Mehrheit verloren.

Danach haben CDU und CSU Angela Merkel als Kanzlerkandidatin nominiert.

Am 18. September wählen die deutschen Wählerinnen und Wähler den neuen Bundestag (Parlament).

Die Wähleranteile entscheiden, wer Kanzler oder Kanzlerin wird.

Fünf Parteien beteiligen sich an der Wahl: SP, Grüne, CDU/CSU, FDP und die neu gegründete Linkspartei von Oscar Lafontaine.

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