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Die Zeitenwende klopft an, aber Bern bleibt Bern

Martin Pfister Bundesratswahl Frühjahrssessions
Der frisch gewählte Bundesrat Martin Pfister vor dem Schweizer Parlament. Keystone / Anthony Anex

Die Frühjahrssession, das war produktive, konstruktive Parlamentsarbeit. Angesichts des Knirschens im geopolitischen Gebälk mag diese Normalität fast gespenstisch erscheinen – aber sie ist eine Stärke. Analyse.

Das Parlament in Bern hat seinen eigenen Rhythmus, eigene Prioritäten. Wenn die US-Regierung im Weissen Haus die Geopolitik umkrempelt und Schockwellen durch Europa sendet, dann fragen sich auch unter der Schweizer Bundeshauskuppel viele Volks- und Kantonsvertreter: Was bedeutet es, wenn sich die USA von Europa abwenden?

Braucht die Schweiz jetzt stärkere Allianzen? Oder zieht sich das kleine Land besser etwas zusammen und wartet geduckt, bis der Sturm vorüber ist?

Ersatzwahl als Ersatzhandlung

In den Gängen des Bundeshauses rufen Politiker:innen auch in ruhigeren Phasen gerne laut nach raschen Taten. Doch alle wissen, dass die Schweizer Politik keine Instrumente für sofortige Veränderungen und Umbrüche kennt.

Denn in Bern geht jeder Vorstoss, ob gross oder klein, erst einmal in eine Kommission, und dann von der einen in die andere Parlamentskammer, und vielleicht noch einmal zur ersten zurück, und schliesslich zum Bundesrat, der eine Umsetzung ausarbeiten soll, die viele Monate später wieder ins Parlament kommt.

Auch deshalb wurde in dieser Frühjahrssession eine Ersatzwahl in den Bundesrat zur Ersatzhandlung für das, was die Schweizer Politik so schnell nicht zustande bringt.

Es ist das grosse Geschäft, die Wahl eines Mitglieds in den siebenköpfigen Bundesrat, es geht um den künftigen Verteidigungsminister. Sie kommt nach dem abrupten Rücktritt von Bundesrätin Viola Amherd fast so schnell wie ein Entscheid von Donald Trump, fällt zudem just in eine von Nervosität geprägte Sicherheitslage. So kristallisiert sich an den beiden Mitte-Kandidaten auch der ganze Handlungsbedarf einer Nation, die nach Orientierung sucht.

«Ein gutes Zeichen für die Demokratie»

Das Schaulaufen der beiden Bundesratsanwärter war ein Spektakel, ein Rennen, ein Drama. Die Wahl selbst verlief demgegegenüber geradezu unspektakulär, auch ohne Spielchen und Ränkespiele.

«Das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie, und wir konnten als Parlament unsere Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen», sagt Nationalratsvizepräsidentin Katja Christ. «In einer unberechenbaren Welt ist Stabilität ein Wert an sich», kommentiert die Neue Zürcher Zeitung.Externer Link

Martin Pifster Bundesratswahl Frühjahrssessions
Rummel in der Wandelhalle vor dem Nationalratssaal am Tag der Bundesratswahl. Keystone / Peter Klaunzer

Martin Pfister wird Bundesrat, ein bisher wenig bekannter Kantonspolitiker, Oberst der Armee, Historiker, der die Neutralität als flexibles Instrument betrachtet und mit der Nato kooperieren will, wie er noch am Tag seiner Wahl sagt. «Die Wahl unterstreicht, dass auch die neutrale Schweiz die Dringlichkeit spürt, ihre Verteidigung zu stärken», bemerkte die Financial TimesExterner Link.

Mehr Kollegialität in der Regierung

Die meisten Parlamentarier:innen trauen Pfister auch zu, wieder mehr Kollegialität in den Bundesrat zu bringen. Diese ist der Landesregierung in den Stürmen und Spardebatten der jüngeren Vergangenheit etwas abhanden gekommen. Indiskretionen und Machtspielchen waren Ausdruck davon.

Dann geht der Puls runter. Es ist Mittwochnachmittag, Mitte der dreiwöchigen Frühjahrssession. Der neue Bundesrat ist gewählt. Mit den Medien ist auch die Hektik aus dem Bundeshaus verschwunden. Die Sonne scheint durch die offenen Fenster des Parlamentsgebäudes, Frühlingsfrische erfüllt die Räume. Die wenigen Mitglieder des Ständerates und des Nationalrates, die nach der Wahl noch im Bundeshaus sind, arbeiten still an ihren Dossiers. Zeit für Konzentration.

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Auch kein Entscheid ist ein Entscheid

Arbeit in der Schweizer Politik ist oft bewusstes Liegenlassen – Nichteintreten im Fachjargon. Es bleibt immer etwas. Wie es war. Auch nach langem Hin und Her. In dieser Session gilt das für die Schweizer Landwirtschaft. Sie erhält ihre Subventionen wie bisher, auch wenn der Bund an vielen anderen Stellen spart.

Oder die Schweizer HotellerieExterner Link: Sie profitiert nach wie vor von tieferen Steuern. Eine vor 20 Jahren als Nothilfe eingeführte Subvention für die Hotellerie von jährlich 270 Millionen Franken geht also zum siebten Mal in die Verlängerung, auf unbestimmte Zeit, auch wenn der Bund jetzt spart.

UNRWA-Gelder fliessen weiter

Ebenfalls unangetastet bleibt der im Vorjahr halbierte Schweizer Beitrag an die Finanzierung des UNO-Palästinenserhilfswerks UNRWA. Die umstrittene UNO-Organisation unter langjähriger Schweizer Führung ist seit Jahren ein Thema im Schweizer Parlament. Zuletzt wollte der Nationalrat die Finanzierung sogar ganz einstellenExterner Link.

UNRWA Ständerat
In der UNRWA-Frage tief gespaltene Parteikollegen: Die SP-Ständeräte Carlo Sommaruga (l.) und Daniel Jositsch. Keystone / Alessandro Della Valle

Dem ist der Ständerat nicht gefolgt. Eine symbolische Abkehr der Schweiz von der UNRWA ist damit ausgeblieben. Man muss der Schweiz zugute halten: Abgesehen von Israel hat wohl kein anderes Land so intensiv über die UNRWA diskutiert. Ein Ergebnis der langen Diskussionen ist die Forderung, dass sich der Bundesrat um eine Nachfolgelösung kümmern soll.

Den sicheren Weg gewählt

Nach wie vor bestehen bleibt auch eine kleine Diskriminierung von Schweizerinnen und SchweizernExterner Link, auch dies nach vielen Diskussionen und mehrfachem Hin und Her zwischen den Parlamentskammern. Gegenüber Bürgerinnen und Bürgern aus EU- und EFTA-Staaten sind Schweizerinnen und Schweizer schlechter gestellt, wenn sie Familienangehörige aus sogenannten Drittstaaten haben und diese in die Schweiz nachziehen wollen, beispielsweise Grosseltern aus Sri Lanka oder Brasilien.

Die Diskriminierung betrifft potenziell auch rückkehrende Auslandschweizerinnen. Eine Anpassung des Gesetzes war deshalb ein Anliegen der Auslandschweizer-Organisation ASO. Das Parlament hat jedoch den Weg gewählt, der ihm sicherer erschien: Nichts ändern, dann gibt es auch keine Überraschungen mit einer allfälligen unkontrollierten Zuwanderung.

«Lex China» überlebt diese Session

Schliesslich sind es die vielen kleinen Schritte, die den eigentlichen Kern der Arbeit in den beiden Kammern ausmachen. Dazu gehört in dieser Frühjahrssession der Entscheid, dass Mord und sexueller Missbrauch von Jugendlichen nicht mehr verjähren Externer Linksollen. So will es der Ständerat, der Nationalrat wird die Vorlagen als nächster behandeln.

Ein kleiner Entscheid ist auch zur 13. AHV-Rente gefallen. Sie soll erstmals im Dezember 2026 ausbezahlt werden. Der grosse Schritt steht noch bevor. Denn die Finanzierung dieser Zusatzrente ist noch nicht geklärt.

Ungelöst ist auch die Frage, wie die Schweiz damit umgehen will, wenn sich andere Staaten in Schweizer Unternehmen einkaufen wollen. Eine «Lex China» zur Kontrolle solcher InvestitionenExterner Link liegt seit Jahren auf dem Tisch. Nun hat der Ständerat beschlossen, dass er zumindest darüber diskutieren will.

Verschärfungen im Asylbereich

Auch in dieser Session gab es wieder eine Sondersession zum Thema Asyl, auf Antrag der SVP. Das ist ihr Kernthema, es treibt aber zunehmend auch die anderen bürgerlichen Parteien um. Philipp Burkhardt, Leiter der SRF-Bundeshausredaktion, beobachtet beim Parlament ein «Umdenken in Richtung weitere Verschärfungen».

Externer Inhalt

Tatsächlich addieren sich in diesem Bereich die vielen kleinen Schritte allmählich zu einer lesbaren Handlung. National- und Ständerat haben unter anderem beschlossen, die Bewegungsfreiheit von kriminellen Asylsuchenden einzuschränken und diese von Asylverfahren auszuschliessen. Vergeblich hatte Justizminister Beat Jans davor gewarnt, dass das Bundesgericht die Beschlüsse annullieren könnte. Auch sollen die Grenzen intensiver kontrolliert und illegale Aufenthalte systematischer erfasst werden.

Parlament verschärft Bankenregeln

Substanziell und gründlich fiel schliesslich die Aufarbeitung um das Ende der Credit-Suisse aus. Eine parlamentarische Untersuchungskommission hatte minutiös untersucht und einen präzisen Katalog von verschärften Regulierungen für systemrelevante Banken vorgeschlagen. Das Parlament verabschiedete das Paket und sendete es zur Ausarbeitung an den Bundesrat. Das Lobbying der Banken dagegen blieb ohne Erfolg.

Die verschärften Regeln könnten sich auf die Bankbeziehungen von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern auswirken:

Mehr

Bleiben die grossen Linien der Weltpolitik. Schnell beschlossen ist wie gesagt nichts – und ohnehin ist Aussenpolitik die Domäne des Bundesrats.  So blieb dem Nationalrat nur ein Mittel, eine unverbindliche ErklärungExterner Link, verabschiedet mit 115 zu 66. Sie besagt, dass «ein regelbasiertes und souveränes Europa» notwendig sei für Frieden und Sicherheit. Die Schweiz solle «im Rahmen ihrer neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen» dazu beitragen.

Editiert von Samuel Jaberg

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