«Lebenswichtig»: Was unsere Leser:innen von einer Wehrpflicht für alle halten
Die öffentliche Meinung zum Ausweiten der Wehrpflicht auf Frauen in der Schweiz hat sich im letzten Jahrzehnt gewandelt. Das wiederspiegelt politische und gesellschaftliche Entwicklungen in einem Land, das bekannt ist für sein Festhalten am Status Quo.
Leser:innen von swissinfo.ch, die sich an der Debatte zur geschlechterneutralen Dienstpflicht beteiligten, unterstützen die Idee. Sie sind der Meinung, dass Frauen ebenfalls Militärdienst leisten oder einen zivilen Ersatzdienst leisten sollten. Einige jedoch glauben, dass erst andere Gleichberechtigungsthemen, etwa gleiche Löhne und mehr Unterstützung für die Kinderbetreuung, angegangen werden müssen. Die Mehrheit findet, die Zeit sei gekommen, dass Frauen ebenso wie Männer Dienst leisten müssen.
«Tolle Idee», sagt ein Nutzer. «Um wirklich gleich zu sein, sollten Frauen dieselben Job wie Männer machen.»
«Mit derselben Dienstverpflichtung können Frauen massiv zur Verteidigung der Schweiz beitragen», sagte jemand anders.
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Diese Positionen entsprechen der vorherrschenden Stimmung im Land. Gemäss einer UmfrageExterner Link des Zentrums für Sicherheitsstudien CSS der ETH Zürich von 2021 befürworten 67 % der Schweizer:innen die Dienstpflicht für alle Geschlechter.
Doch das war nicht immer so. Als das CSS 2011 erstmals diese Frage stellte, gab es keine eindeutige Mehrheit. Damals stimmten nur 52% zu, dass sowohl Frauen als auch Männer in irgendeiner Form (Armee oder ziviler Ersatzdienst) Dienst leisten sollten.
Zu dieser Zeit war die Wehrpflicht in Europa aus der Mode gekommen, und Länder wie Schweden, Deutschland und Serbien schafften die Wehrpflicht ab.
«Die traditionellen Wehrpflichtarmeen haben nach dem Ende des Kalten Krieges eindeutig an Bedeutung verloren», sagt Thomas Ferst, Projektleiter des CSS Security Survey. Als Teil eines Verteidigungsbündnisses sahen vor allem die NATO-Mitglieder keine Notwendigkeit, grosse stehende Heere zu unterhalten.
Auch in der Schweiz wurde über die Notwendigkeit der Wehrpflicht heftig diskutiert, befördert durch die Diskussion um die Volksinitiative zur Abschaffung der Wehrpflicht. An der Urne lehnten sie jedoch 73% der Abstimmenden ab. Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie, die ein Jahr später veröffentlicht wurde, bestätigte, dass es keinen Grund gab, den Ist-Zustand grundlegend zu ändern.
«Sicherheit ist auch weiblich»
Die Idee, Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, hat seither Auftrieb erhalten. Nachdem Norwegen 2015 als erstes europäisches Land eine geschlechtsneutrale Wehrpflicht eingeführt hat und einige Jahre später Schweden folgte, konzentriert sich die Debatte in der Schweiz zunehmend auf die Anpassung des bestehenden Systems, um mehr Menschen – auch Frauen – zum Dienst zu bewegen. Die Regierung prüft derzeit unter anderem eine geschlechtsneutrale Wehrpflicht als eine der Massnahmen, um das bestehende Modell zu reformieren.
Auch die öffentliche Meinung hat sich entwickelt. Bis 2021 stieg die Unterstützung für die Einberufung sowohl von Frauen als auch von Männern im Vergleich zu 2015 um 14 Prozentpunkte. Eine intensivere öffentliche Debatte über Genderthemen und Inklusion, die durch #metoo und den Frauenstreik 2019, bei dem Zehntausende Schweizer:innen für die Gleichstellung der Geschlechter mobilisierten, geprägt wurde, könnte laut Ferst mit diesem Meinungsumschwung zusammenhängen.
Der Militärexperte verweist auch auf Viola Amherd, die erste Verteidigungsministerin des Landes, seit 2019. Amherd hat ihren Wunsch nach mehr Frauen im Militär deutlich zum Ausdruck gebracht und möchte den Frauenanteil in der Armee bis 2030 von derzeit 1% auf 10% erhöhen. Ihr Ministerium hat sogar eine WerbekampagneExterner Link mit dem Slogan «Sicherheit ist auch weiblich» gestartet, um junge Frauen anzulocken.
Dadurch wird sich die Bevölkerung der Anwesenheit – oder Abwesenheit – von Frauen im Militär bewusster. Dieses Bewusstsein widerspiegle sich unweigerlich in Meinungsumfragen, sagt Ferst.
Das Pendel scheint auch im Allgemeinen wieder zugunsten der Wehrpflicht auszuschlagen. Litauen und die Ukraine haben die Wehrpflicht nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 wiedereingeführt. Frankreich erprobt den so genannten «Universaldienst» für junge Menschen. Der Krieg in der Ukraine hat zudem in mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, eine Debatte über die Vorteile der Wehrpflicht ausgelöst.
In der Schweiz würde eine Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen nicht ohne Volkabstimmung möglich. Wie die wohl ausgehen würde?
«Das Ergebnis wird wahrscheinlich stark vom gesellschaftlichen Wandel und dem politischen Diskurs abhängen», sagt Ferst. Auch die aktuelle internationale Sicherheitslage könnte eine Rolle spielen.
Vorhersagen sind jedoch schwierig, warnt der Militärexperte. Was die Meinungsumfrage von 2021 aufzeigt, ist, dass die Schweizer:innen der Option einer geschlechtsneutralen Wehrpflicht generell «offen und positiv» gegenüberstehen, so Ferst. Und dieses Stimmungsbild festigt sich seit Beginn des Kriegs in der Ukraine: Eine aktuelle NachbefragungExterner Link zeigte 65% Zustimmung zur allgemeinen Wehrpflicht, die höchste Zustimmung bis jetzt.
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