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«Dieses Bauwerk ist kein Flop»

Filippo Lombardi: Voller Einsatz für die Alpentransversale. Keystone

Der Hauptdurchschlag im Gotthard-Basistunnel am 15.Oktober gibt Gelegenheit, über dieses epochale Bauwerk im Herzen der Schweiz nachzudenken. Ständerat Filippo Lombardi, Vizepräsident der Neat-Aufsichtskommission, spricht über die Stärken und die ungelösten Probleme des Projekts Alptransit.

swissinfo.ch: Bei einer Tagung in Rom haben Sie gesagt, dass mit dem Gotthard-Basistunnel eine Formel-1-Bahn für Züge im Herzen der Schweiz gebaut wird, aber das Risiko besteht, dass die Zufahrtswege Maultierpfade bleiben. Wie gross ist dieses Risiko?

Filippo Lombardi: Kurzfristig stellt sich das Problem nicht, weil nicht am Tag der Inbetriebnahme des Tunnels gleich doppelt so viele Züge über diese Achse fahren. Die Zahl der Züge wird langsam steigen, wenn sich die Gewohnheiten der Reisenden ändern, aber auch neue intermodale Verladeterminals in Italien und Deutschland gebaut werden, um Güter auf Züge umzuladen.

swissinfo.ch: Welches Problem besteht also?

F.L.: Wenn man nicht jetzt schon die Zukunft der Bahn plant, wird es um 2030 Flaschenhälse auf den Zulaufstrecken im Norden und im Süden geben – in Deutschland, Italien, aber auch in der Schweiz. Die Kapazitätsengpässe im Süden betreffen insbesondere die Strecke von Bodio bis Cadenazzo, das heisst zwischen dem neuen Gotthard-Südportal und der Verzweigung der Gleise Richtung Luino. Über diesen Ast am Langensee wird heute bereits ein Drittel des Güterverkehrs abgewickelt. Auf der alten Strecke bei Bellinzona laufen Regionalverkehr, Langstreckenverkehr und Güterverkehr zusammen. Das wird Probleme geben.

swissinfo.ch: Und kurzfristig?

F.L.: Es gibt ein unmittelbares Problem, das sich mit der Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels (2019) zeigen wird. Die Basistunnels sind auf eine Eckhöhe von vier Metern ausgerichtet, was den Transit von Doppelstock-Personenzügen und Güterzügen mit Sattelauflegern erlaubt. Dieses Profil fehlt auf den Zulaufstrecken mit Hunderten von kleinen Tunnels und Brücken. Ihr Profil müsste auf 4 Meter ausgeweitet werden.

swissinfo.ch: Warum hat man an dieses wichtige Problem nicht gedacht?

F.L.: Dieses Problem ist erst in den letzten Jahren aufgetaucht. Als man die Neat vor 20 Jahren plante, konnte man weder die Entwicklung mit den Doppelstockzügen noch die rasant steigende Verwendung von Sattelschleppern im Strassentransportgewerbe voraussehen. In den letzten Jahren war diese Entwicklung deutlich zu sehen und trotzdem wird das Problem ignoriert. Das kritisiere ich. Für das Bundesamt für Verkehr stellt es im Projekt Bahn 2030 unverständlicherweise eine zweite Priorität dar. Dabei sind die Kosten für den Ausbau des Profils auf der Strecke Basel-Chiasso relativ tief, nämlich 600 Millionen Franken.

swissinfo.ch: Die Italiener beteuerten bei der erwähnten Tagung in Rom, dass sie gewillt sind, die Zufahrtslinien auszubauen, um Engpässe zu vermeiden. Doch für viele Projekte ist noch kein Geld gesprochen.

F.L.: Das stimmt, aber auch in der Schweiz haben wir noch keinen Rappen bereit gestellt, weder für den gerade erwähnten nötigen Ausbau der Tunnelprofile auf den Zulaufstrecken auf 4 Meter, noch für die Umfahrung Bellinzona, noch für den Neat-Anschluss Süd, das heisst die Verbindung zwischen Lugano und der Landesgrenze bei Chiasso. Auch die Schweizer Regierung und das Parlament müssen etwas tun.

swissinfo.ch: Italien hat zugesichert, die Linie am linken Lago-Maggiore-Ufer – via Luino nach Bellinzona – für den Güterverkehr ausbauen zu wollen. Wie verlässlich beurteilen sie diese Zusicherung?

F.L.: Diese Linie existiert, ist aber veraltet, eingleisig und sehr störungsanfällig. Bei Unwettern ist sie regelmässig unterbrochen. Ein Lifting ist daher wirklich nötig. Der Minister sagte, «wir werden etwas machen“. Aber er nannte kein Datum: Das ist Anlass zur Sorge.

swissinfo.ch: Doch das Bundesamt für Verkehr hat bereits zwei mögliche Varianten für die Strecke Lugano- Chiasso eruiert.

F.L.: Das stimmt, aber keines der neuen milliardenschweren Projekte ist im Infrastrukturprogramm Bahn 2030 enthalten. Für deren Verwirklichung steht kein Franken zur Verfügung. Und man weiss nicht einmal, in welchem Rahmen man dieses Finanzierungsproblem angehen soll.

swissinfo.ch: Anlässlich des Hauptdurchschlags wird kein europäischer Verkehrsminister anwesend sind. Irritiert Sie diese Abwesenheit?

F.L.: Ich kann diese Abwesenheit nicht bewerten. Aber Tatsache ist: Wir haben dieses Jahrhundertbauwerk alleine gebaut, ohne die Nachbarländer miteinzubeziehen. Und nur wenn ein Staat Geld einschiesst, fühlt er sich als Teilhaber eines Projekts. Andererseits muss man bedenken: Wenn wir die Planung mit anderen Staaten gemacht hätten, wären wir Gefahr gelaufen, ewig zu diskutieren und nie zu bauen. Und möglicherweise hätte die EU unsere Alpentransversale nicht in den Korridor 24 Rotterdam-Genua aufgenommen.

swissinfo.ch: Ist denn die Alpentransversale am Ende ein Milliarden schwerer Flop?

F.L.: Nein. Denn der Personenverkehr wird auf alle Fälle enorm profitieren. Denken wir nur an den Zeitgewinn auf der Strecke Mailand-Zürich, der den Zug gegenüber dem Flugzeug konkurrenzfähig macht. In den Verbindungen zwischen dem Tessin und Mailand kann die Bahn sicherlich auch Boden gegenüber dem Auto gut machen. Im Güterverkehr laufen wir hingegen Gefahr, nicht das ganze Potential dieses Jahrhundertbauwerks ausschöpfen zu können. Deshalb müssen wir uns weiter dafür einsetzen.

Der Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) -Politiker Filippo Lombardi (54) ist seit 1999 Ständerat des Kantons Tessin.

Beruflich ist er Verwaltungsratsdelegierter der Privatsender TeleTicino und Radio 3iii. Er ist unter anderem Vizepräsident der Neat-Aufsichtskommission, welche die parlamentarische Oberaufsicht über die Verwirklichung der Neuen Alpentransversale (NEAT) wahrnimmt.

Die Kommission besteht aus 12 Mitgliedern aus National- und Ständerat.

Das Schweizer Volk hiess im Jahr 1992 mit 63,3% Ja-Stimmen den Bau einer Neuen Alpentransversalen (Neat) gut.

Die so genannte Netzvariante besteht aus den beiden Basistunnels am Gotthard und Lötschberg und den jeweiligen Zufahrtsrampen.

Der Lötschberg-Basistunnel verbindet die Kantone Bern und Wallis, ist 34,6 km lang und wurde am 15. Juni 2007 eröffnet.

Ab Dezember 2017, eventuell sogar ein Jahr früher, wird der Gotthard-Basistunnel in Betreib gehen. Mit 57 Kilometern wird er der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Der Hauptdurchschlag in der Oströhre erfolgt am 15.Oktober 2010. Der Hauptdurchschlag in der Weströhre folgt im Frühjahr 2011.

Die Neat wird als Flachbahn durch die Alpen durch den 15,4 km langen Monte-Ceneri-Basistunnel (zwei Röhren) vervollständigt. Seine Inbetriebnahme ist für 2019 vorgesehen.

Die Kosten für die gesamte Neat könnten – inklusive Teuerung, Mehrwertsteuer und Zinsen auf Baukredite – 24 Mrd. Fr. erreichen. Sie wird finanziert durch die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA (65%), Mineralölsteuer (25%) und Mehrwertsteuer (10%).

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