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Dieser Mann will den Staat Schweiz auf dem Smartphone

Zu seinen Waffen zählt auch Naivität: Daniel Gasteiger, Schweizer Civic-Tech-Pionier.
Zu seinen Waffen zählt auch Naivität: Daniel Gasteiger, Schweizer Civic-Tech-Pionier. Ester Unterfinger/swissinfo.ch

Er ist ehemaliger Investmentbanker und möchte nichts weniger als den Schweizer Staat digital umkrempeln: Civic-Tech-Pionier Daniel Gasteiger. Er sei naiv, sagt er von sich selber. Genau diese Naivität könnte ihm bei seiner Mission zugutekommen.

«Eine Journalistin eines Lokalradios hat mich soeben gefragt, wieso wir ausgerechnet mit dem kleinen Kanton Schaffhausen zusammenarbeiten», sagt Daniel Gasteiger. «Ganz einfach: Weil sie dort innovativ sind!»

Gasteiger interessiert sich für First Movers, wie Pioniere auf neudeutsch heissen. Er ist selbst einer. Soeben hat sein Blockchain-Startup Procivis Externer Linkbekanntgegeben, mit dem Kanton Schaffhausen eine digitale Identität für die Bürger aufzubauen.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

Auf nationaler Ebene wird dieses Mammutprojekt frühestens in vier Jahren spruchreif werden, ging doch gerade die Anhörung zur entsprechenden Vorlage, dem Gesetz zur E-IDExterner Link, zu Ende. «Die Schweiz muss hier jetzt endlich vorwärts machen, sonst sind wir bald abgehängt», ist Gasteiger überzeugt. 

Der Politik-Unternehmer möchte nichts weniger als den Staat Schweiz digital umkrempeln. Seine Vision: Behördenkontakte und alle öffentlichen Dienstleistungen sollen über das Smartphone abgewickelt werden können. Steuererklärungen, Einwohnerkontrolldienste und Stimmabgabe bei Urnengängen – eine E-ID-App soll die ganze Palette anbieten können. Gasteiger möchte mit Procivis eine Art iTunes des Staats etablieren.

Daniel Gasteiger will eine elektronische ID als App.
«iTunes des Staates Schweiz»: Daniel Gasteigers will eine App als Schnittstelle zwischen Bürger und Staat. Ester Unterfinger/swissinfo.ch

Föderalismus als ideales Terrain

Hier spricht kein ehemaliger Beamter oder typischer Technologieunternehmer. Gasteiger war bis vor Kurzem noch in einer ganz anderen Branche tätig: im Investmentbanking. Früher habe jeder auf der Bank arbeiten wollen, sagt er. Also entschloss er sich für eine Lehre bei der Grossbank Credit Suisse. Sein ehrgeiziges Ziel: Mit 40 in der Direktionsétage zu sitzen. Was ihm gelungen ist: Als Chief of Staff hatte er zuletzt das Büro von UBS-Verwaltungsratspräsidenten Axel Weber geleitet.

Es waren unter anderem auch private Schicksalsschläge in seinem Umfeld, die ihn zu einem Umdenken bewogen. Er wollte die Branche wechseln und selbständig werden. «Ich plane meine Karriere stets in Fünfjahres-Schritten. Das nächste Ziel war ein Startup in einer Wachstumsbranche.»

Gasteiger war dafür parat, doch es fehlte noch die zündende Geschäftsidee. Um sich inspirieren zu lassen, reiste er nach Bangkok an eine Startup-Konferenz. «Die jungen Leuten sprühten vor Ideen», erzählt er begeistert. Ein zweiter Trip nach Kalifornien durch das Silicon Valley habe ihm dann endgültig die Augen geöffnet. 

Nach Gesprächen mit der ehemaligen Innovationsleiterin vom Swisscom-Ableger in Palo Alto wurde ihm klar, dass die Blockchain-Technologie das nächste grosse Ding werden würde. Diese Verschlüsselungs- und Sicherheits-Technologie werde nicht nur die Bankenwelt fundamental verändern, so die Überzeugung des 44-Jährigen, sondern auch den Staat. «Die Schweiz funktioniert dezentral, genau wie die Blockchain, das passt bestens zusammen.»

Totschlagargument Sicherheit

Danach ging es schnell. 2015 gründete er «Nexussquared» – einen Inkubator für Startups, die sich mit dem Thema Blockchain auseinandersetzen. Dann verschlug es den Tech-Nomaden in das digitale Vorzeigeland: Estland. 

Nach einem Besuch in der Hauptstadt Tallinn war Gasteiger fasziniert, mit welcher Selbstverständlichkeit der kleine baltische Staat «digital first» vorlebt. Seither arbeitet er mit dem Leiter des berühmten e-residency-Programms Kaspar Korjus zusammen. Politik habe Gasteiger schon immer interessiert, er war sogar kurze Zeit Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei, die wirtschaftsliberal ausgerichtet ist.

Für seine Mission braucht es Geduld und Mut. Und eine gehörige Portion Naivität. Denn wer die digitalen Entwicklungen in der Schweiz mitverfolgt, kennt die Stolpersteine. 

Die Liste gescheiterter Projekt ist lang: Bei eGovernment schneidet die Schweiz in Ländervergleichen regelmässig schlecht ab, das Projekt suisseID ist nie richtig in die Gänge gekommen und e-collecting, die digitale Unterschrift unter Initiativen und Referenden, hat die Schweizer Regierung soeben auf Eis gelegt. Erst vor Kurzem wurde das Projekt vote éléctronique zur Einführung des e-Voting-SystemsExterner Link reanimiert. Der Bund hatte 2015 die Reissleine gezogen, auch aus Sicherheitsgründen.

Kein Träumer: Daniel Gasteiger hat seine Vision für die Schweiz bereits umgesetzt - in Estland.
Daniel Gasteiger: Vom Investmentbanker zum Pionier in Sachen Civic Tech. Ester Unterfinger/swissinfo.ch

Beim Stichwort Sicherheit wird Gasteiger emotional: «Wenn Leute aus der Verwaltung und Hochschule mit dem Totschlagargument kommen, etwas sei nicht sicher genug, dann hätte man auch Online Banking nie eingeführt!» Das sei Angstmacherei, und die macht ihn wütend. Zuerst einmal ausprobieren und dann weiterschauen, lautet seine Devise. Es fehle in der Schweiz nicht an talentierten Köpfen, aber an politischen Willen und Verständnis.

Gasteiger gibt unverblümt zu, dass er naiv und unvoreingenommen an die Sache herangegangen sei. Er habe sich zuerst in die Materie einlesen müssen. Der Unternehmer redet ruhig, aber auch sehr schnell. Das hohe Tempo ist seinen südländischen Wurzeln zuzuschreiben. Er bringe Schweizer Qualitätsbewusstsein und das italienische Temperament zusammen, sagt er von sich selber.

Noch unbekannt in Bundesbern

Doch um die Digitalisierung der Schweizer Demokratie voranzutreiben, braucht es mehr als Macherqualitäten und interkulturelle Kompetenzen. Zum Beispiel auch eine gute politische Vernetzung. In Bundesbern gilt er immer noch als Newcomer. Viele Nationalräte, die in den Kommissionen Einsitz haben, haben seinen Namen zwar schon gehört. Doch die wenigsten wissen über Gasteigers Ambitionen Bescheid.

Und man benötigt einen langen Atem. Denn die Mühlen der Schweizerischen Gesetzgebung mahlen bekanntlich langsam. Verschiedene Fronten machen gegen die digitale Transformation des Staates mobil.

Aber solange mag der ehemalige Investmentbanker nicht auf die Schweiz warten. Gasteiger liebäugelt bereits mit der UNO. Ihm schwebt mit Procivis eine Art digitale Reputationsscore vor, die beispielsweise papierlosen Flüchtlingen den Nachweis ihrer Staatsbürgerschaft ermögliche. Könne eine Person ihre Identität dank verschiedenen Profilen in sozialen Netzwerken nachweisen, brauche es auch bald keinen Staat zur Beglaubigung dafür.

Gasteiger – ein libertärer Anarchist? Was zunächst nach einer Dystopie, einer pessimistischen Vision klingt, relativiert er im Verlauf des Gesprächs. Dieses Szenario gelte für korrupte Staaten. Dank Blockchain-Lösungen könnten Grundbucheinträge weder gefälscht noch manipuliert werden. Ihm geht es primär darum, die Bürger vor Missbräuchen seitens anderer oder des Staates zu schützen. 

Er räumt ein, dass eine solche Notwendigkeit hierzulande kaum gegeben ist. «In der Schweiz haben wir ein hohes Vertrauen in den Staat, weil er gut funktioniert.» Zu Gasteigers Leidwesen funktioniert das Schweizer Staatswesen wahrscheinlich zu gut, um daran so schnell etwas ändern zu müssen.

Die Autorin

Adrienne Fichter leitete die Social Media-Redaktion der NZZ und arbeitet heute als freie Netz-Journalistin.

Für #DearDemocracy von swissinfo.ch beschäftigt sie sich mit digitaler direkter Demokratie, also Einfluss und Auswirkungen der digitalen Technologie auf deren System und Abläufe.

Im Vordergrund stehen der Einfluss von Social Media auf Wahlen und Abstimmungen; digitale Bürgerbeteiligung; eGovernment; Civic Tech und Open Data.

In Zeiten von virulenten Fake News, Bots und exzessiver Twitter-Politik Donald Trumps wird die politische Auseinandersetzung mit der Digitalisierung immer wichtiger.

Wir beleuchten bei #DearDemocracy die Trends, Chancen, Gefahren und politischen Antworten darauf.


Die Autorin auf Twitter: @adfichter Externer Link



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