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«Das Referenzland Schweiz ist ein zweischneidiges Schwert»

Hadzhi Toshko Yordanov, Bulgariens "Rockstar" der Demokratie. Slavi’s Show

Am 6. November 2016 können die Bulgarinnen und Bulgaren erstmals landesweit an der Urne über drei Volksinitiativen befinden. Die Volksabstimmung ist auch die Frucht einer jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit der Schweiz. 

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

Moderne Architektur sieht anders aus. Grau und schwer steht er da in Bulgariens Hauptstadt Sofia, der massive Bau. Gleich daneben thront der noch viel gigantischere Kulturpalast, das grösste Konferenz- und Kongresszentrum Südosteuropas. Dieses war 1981 auf Initiative von Ludmilla Schiwkow errichtet worden, der Tochter des kommunistischen Langzeit-Diktators Todor Schiwkow.

Der Geist der Herrschaft Schiwkows ist bis heute zu spüren, gerade in den ewig langen und unglaublich düsteren Korridoren, durch die ich an diesem regnerischen Herbsttag irre: Ich bin auf der Suche nach einem Mann mit dem Namen Hadzhi Toshko Yordanov.

Plötzlich geht eine schwere Holztüre auf und ein kleiner, rundlicher Mann mit langen Haaren tritt in den Gang: «Willkommen bei der Slavi’s ShowExterner Link«, sagt der Endvierziger und bittet mich in sein Büro. «Von hier aus haben wir im letzten Jahr die grösste Unterschriftensammlung in der bulgarischen Geschichte koordiniert», beginnt Yordanov, dessen Auftritt dem eines Rockstars ähnelt, das Gespräch.

Innerhalb von wenigen Monaten gelang es Yordanov und seinem Team der «Slavi’s Show», mehr als 700’000 Unterschriften für sechs Reformanliegen zu sammeln. Mit der bulgarischen Variante einer «Late Night Show», die seit der Jahrtausendwende zu aktuellen Themen informiert und unterhält, erreichen die Macherinnen und Macher ein Millionenpublikum. Täglich.

«Wir setzen uns für ein demokratischeres und weniger korruptes Land ein», sagt Yordanov, der im Tagesgeschäft zu den Produzenten von Bulgariens erfolgreichster TV-Show gehört.

Wie in der Schweiz, aber in Sofia, Bulgarien: Unterschriftensammlung für eine der Volksinitiativen, die am 6. November landesweit zur Abstimmung stehen. slavi’s show

Am 6. November nun, parallel zur Neuwahl des Staatspräsidenten, stehen in der Urnenabstimmung drei Vorlagen an: Es sind dies Initiativen zur Einführung des Mehrheitswahlrechtes, der Verankerung der Stimmpflicht sowie zur Reform der ParteienfinanzierungExterner Link.

Historischer Schritt

Neben mir in Yordanovs geräumigem Büro sitzt auch Slaveia Hristova und nickt still vor sich hin. Die Direktorin des Sofioter Think Tanks «BalkanAssistExterner Link» macht sich seit Jahrzehnten für demokratische Strukturen stark, wie sie die gut sieben Millionen Einwohner des südosteuropäischen Landes nun vor dem historischen Urnengang nutzen können.

«Es sind unsere ersten drei Volksinitiativen, die jetzt zur Abstimmung kommen», sagt die Mittfünfzigerin. Ganz glücklich wirkt sie darob aber nicht. «Wir sind noch lange nicht da, wo ich eigentlich hin möchte», sagt Hristova. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der politischen Wende hatte sie in den 1990er-Jahren ein Stipendium für Nachdiplomstudien in der Schweiz erhalten. In der Schweiz hatte sie geprägt, «wie eine Gesellschaft funktionieren kann, wenn sich nicht alle ständig misstrauen».

Erst Kanton Bern, dann Schweiz als Partner

Vor allem faszinierte Hristova bei ihren Aufenthalten in der Schweiz vor bald zwanzig Jahren die Nutzung der direktdemokratischen Volksrechte. «Eine echte Innovation», wie sie noch heute betont. Seither gehört die Mutter einer 18 Jahre alten Tochter zu den Promotoren einer engen Zusammenarbeit mit Schweizer Stellen zum Thema direkte Demokratie. Zunächst war es der Kanton Bern, der bulgarische Partner im Rahmen von Gemeindepartnerschaften bei der Demokratieentwicklung unterstützte.

Dann eröffnete die staatliche Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Sofia ein Büro und investierte in den Informationsaustausch zwischen Organisationen und Behörden in der Schweiz und Bulgarien. «In jenen Jahren arbeiteten wir in Bulgarien intensiv an der Einführung direktdemokratischer Volksrechte in den Gemeinden und auf nationaler Ebene», erinnert sich Slaveia Hristova.

Nach dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 zog sich die DEZA aus Bulgarien zurück. Stattdessen beteiligte sich nun Hristova und ihr umfassendes Netzwerk von Demokratiefachleuten an Projekten, die aus der sogenannten «Kohäsionsmilliarde» der Schweiz finanziert wurden.

Früchte der Aufbau-Arbeit

Diese ist ein Solidaritätsbeitrag, zu dem das Schweizer Volk 2006 in einer Volksabstimmung Ja gesagt hatte. Der Solidaritätsbeitrag ermöglichte bis vor rund zwei Jahren die Fortführung zahlreicher Kooperationsprojekte, an dem sich unter anderem das in Aarau angesiedelte «Zentrum für Demokratie» (ZDA)Externer Link beteiligte.

Auch in Polen förderte die Schweiz den Aufbau demokratischer Strukturen. Zu den wichtigsten Themen dieser Zusammenarbeit gehörte die direkte Demokratie in den Gemeinden wie auch die Nutzung von E-Voting und die Behördeninformation («Abstimmungsbüchlein», das allen Stimmbürgern vor jeder Abstimmung zugeschickt wird).

Nach vielen Jahren des Wirkens im Hintergrund schafften Mitglieder von Hristovas Demokratie-Netzwerk in manchen Gemeinden den Sprung ins Amt des Bürgermeisters oder konnten ins nationale Parlament oder gar in die Regierung einziehen.

Die Resultate all dieser grenzüberschreitenden Anstrengungen zur Stärkung der (direkten) Demokratie lassen sich durchaus sehen: Bulgarien verfügt heute über eines der fortschrittlicheren Gesetze über die politischen Rechte. In der jüngst veröffentlichten Weltrangliste der Volksrechte gehört das Land gar zur zweithöchsten Gruppe, der auch Staaten wie Kanada, Deutschland und Finnland angehören.

«Ohne die Zusammenarbeit mit der Schweiz hätten wir das nicht geschafft», sagt Slaveia Hristova. Trotzdem fungiert das Referenzland in den Alpen in ihrer Wahrnehmung «als ein zweischneidiges Schwert».

Dies nicht wegen der Schweiz an sich, sondern wegen der sehr unterschiedlichen historischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, ist doch Bulgarien bis heute eines der ärmsten und korruptesten Länder der EU geblieben. «Darunter und auch am Wissen, wie weit die Schweiz im Vergleich gekommen ist, leide ich», sagt Slaveia Hristova.

Undemokratischer Trick mit dem Quorum

Tatsächlich ziehen sich die Schatten der langen kommunistischen Herrschaft in Bulgarien bis zum anstehenden Urnengang vom 6. November 2016 hin: Denn das geltende Gesetz zur kombinierten Durchführung von Präsidentenwahl und den Abstimmungen über die Initiativen stellt das Wahlgeheimnis offen in Frage. Im Wahllokal erhalten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Liste mit den Kandidierenden für das Präsidentenamt automatisch in die Hand gedrückt. Den Zettel für die Abstimmungen müssen sie dagegen speziell verlangen. Wer das tut, outet sich also automatisch als Reformanhänger.

Das mag in der «anonymen» Millionenmetropole Sofia noch angehen. Aber in kleineren Gemeinden des traditionsbewussten Landes dominieren oft noch Lokalkönige. Und die sehen es nicht gerne, wenn ihnen nun Bürger mit ihrer Stimmabgabe an der Urne «dreinreden».

Was ebenso schlimm wiegt: Die drei Sachabstimmungen sind nur gültig, wenn sich mindestens 50% der Stimmberechtigten daran beteiligen. Folge dieser Hürde: Eine Nichtteilnahme wird als «Nein» gezählt. Modernes Abstimmen sieht anders aus.

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