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Eher in Richtung Ja zum freien Personenverkehr

Alltag an den Schweizer Universitäten: Professoren aus Deutschland. Keystone

Laut der ersten repräsentativen Umfrage zur Abstimmung vom 8. Februar haben die Befürworter einen Vorsprung. Die Argumente dafür und dagegen polarisieren stark. Es gibt weder ein dominierendes Hauptargument dafür, noch eines dagegen.

Ende Dezember waren 49% der Befragten für die Weiterführung und die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit mit der EU, 40% waren dagegen und 11% hatten sich noch nicht entschieden.

«Das Resultat ist eine Momentaufnahme und keine Prognose.» Es weise jedoch «eher in Richtung eines Ja am 8. Februar», sagt Studienleiter Claude Longchamp vom Institut gfs.bern. Dieses führte die Umfrage im Auftrag der SRG SSR idée suisse durch.

Auffallend ist die weitgehende Kongruenz mit der vergleichbaren Umfrage zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder im September 2005.

Damals sprachen sich ebenfalls 49% für ein Ja aus. Das Lager der Gegner war um 4 Prozentpunkte kleiner, dasjenige der Unentschlossenen entsprechend grösser. An der Urne resultierte damals ein Ja-Stimmen-Anteil von 56%.

Dass es in der «Entscheidungsfindung bis zum Abstimmungstag zu einer analogen Entwicklung» komme, sei jedoch nicht sicher, sagt Longchamp. Doch das Konfliktmuster wiederhole sich.

Als «Novum für Schweizer Verhältnisse» bezeichnet er den Umstand, dass der Ja-Anteil bei der Mittelschicht heute markant kleiner ausfällt als 2005. «Bisher hat sich diese Schicht immer für eine Öffnung gegenüber Europa ausgesprochen. Diesmal tut sie dies zögerlich bis ablehnend.»

Die Mittelschicht reagiere damit auf die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, der seit Einführung der Personenfreizügigkeit durch qualifizierte Arbeitskräfte aus den Nachbarländern unter Druck geraten sei.

Ähnlich hohe Zustimmung zu Argumenten

Bei früheren Abstimmungen zur Europapolitik der Schweiz habe es jeweils Schlüsselargumente dafür und dagegen gegeben, hält Longchamp fest. «Dieses Mal gibt es auf beiden Seiten kein schlagendes Argument. Das ist neu. Die Argumente sind zudem stark polarisierend.»

Das heisst: Die Haupt-Argumente beider Seiten erreichen ähnlich hohe Zustimmungen. 55% der Befragten lassen sich vom Argument überzeugen, die Schweiz brauche die Personenfreizügigkeit. Sie habe Arbeitsplätze geschaffen und die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft verbessert.

Dem steht gegenüber, dass 50% befürchten, dass mehr ausländische Arbeitskräfte kommen würden und sich für Schweizer der Druck auf dem Arbeitsmarkt erhöhen könnte.

Paketlösung, ein populäres Argument

Ebenfalls 50% der Befragten sind damit einverstanden, dass die Arbeitnehmenden dank den flankierenden Massnahmen vor Lohndumping geschützt seien.

49% gehen davon aus, dass die Kriminalität zunehmen wird und 51% glauben, dass der Schweiz bei einem Nein grosse Nachteile erwachsen würden, weil damit die gesamten Bilateralen Abkommen hinfällig würden.

55% sind mit den Gegnern einverstanden und halten die Paketlösung für «zutiefst undemokratisch». – Doch Longchamp relativiert: «Das ist zwar ein populäres Argument, aber für viele kein Grund, Nein zu sagen.»

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Tessin hat genug von Europa

Der Graben zwischen Befürwortern und Gegnern folgt exakt den Parteilinien. Die Wählerinnen und Wähler der Regierungsparteien sind mehrheitlich für ein Ja. Auf der linken Seite und auch bei den Christdemokraten hat die Zustimmung etwas abgenommen, was Longchamp auf die aktuelle Wirtschaftslage zurückführt.

Gleichzeitig hat die Opposition im rechten Spektrum abgenommen. Dennoch seien die Wähler der Schweizerischen Volkspartei gefolgt, die «nach einem Slalom ins Nein-Lager gewechselt hat», so Longchamp.

Wie bei allen Fragen zum Verhältnis Schweiz-Europa ist die Zustimmung in der Westschweiz mit 61% grösser als in der Deutschschweiz, wo sich 47% dafür aussprachen.

Nicht aus seiner Reihe tanzt auch der Grenz- und Tourismuskanton Tessin, der bisher alle Europa-Abstimmungen abgelehnt hat: 69% wollen laut der Umfrage Nein stimmen zur Personenfreizügigkeit. Das Nein an der Urne hält Longchamp für sicher: «Man hat genug im Tessin von diesem Europa.»

swissinfo, Andreas Keiser

49% Ja, davon 29% bestimmt Ja und 20% eher Ja

40% Nein, davon 22% bestimmt Nein und 18% eher Nein

11% Unschlüssige

48% der Befragten wollen an die Urne gehen

Für die 1. Umfrage zur Abstimmung vom 8. Februar 2009 hat das Institut gfs.bern 1201 Stimmberechtigte aus der ganzen Schweiz befragt.

Die telefonischen, sprachregional gewichteten Befragungen fanden zwischen dem 22. Dezember 2008 und dem 4. Januar 2009 statt.

Freier Personenverkehr oder Personenfreizügigkeit ist eine der vier Grundfreiheiten, auf denen die Europäische Union (EU) aufgebaut ist (neben Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit sowie freiem Kapital- und Zahlungsverkehr).

Personenfreizügigkeit ist das Recht, in die Schweiz oder ein EU-Land einzureisen, dort Arbeit zu suchen, wohnen und arbeiten zu dürfen. Sie unterliegt gewissen Regulierungen und Beschränkungen.

Die Schweiz hat 1999 mit der Unterzeichnung des ersten Pakets der Bilateralen Verträge mit der EU dieses Prinzip angenommen, das eine schrittweise Öffnung des Arbeitsmarktes vorsieht.

Im Mai 2000 sagten 67,2% des Stimmvolks Ja zu diesem Abkommen, im September 2005 begrüssten 56% die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die zehn Länder, die seit 2004 neue EU-Mitglieder sind.

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