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Ein Anker in der Not für die Nacht

Der mobile Sozialdienst in Genf ist überall dort, wo man ihn braucht. ww.ge.ch/fao

Der mobile Dienst für soziale Notfälle in Genf ist nachts und am Wochenende im Einsatz, dann wenn die übrigen Sozialdienste geschlossen sind: Diese einzigartige Institution in der Schweiz wird mehr als rege genutzt.

Der mobile Dienst für soziale Notfälle (Unité mobile d’urgences sociales, UMUS) hat mit seinen jährlich rund 800 Einsätzen seit der Gründung vor vier Jahren gezeigt, wie wichtig er ist, sagten die Verantwortlichen bei ihrer ersten Bilanz vor den Medien.

Gemäss Pierre-François Unger, Vorsteher des Departements für Gesundheit und Wirtschaft im Kanton Genf, war UMUS das fehlende Glied in der Kette von Sozialdiensten in Genf.

UMUS, bestehend aus 13 Krankenpflegern und Sozialarbeitern, verfügt über ein jährliches Budget von rund 1 Mio. Franken und leistet nachts, an Wochenenden und Feiertagen soziale Notfalleinsätze. Dann also, wenn Hilfesuchende bei den übrigen Sozialdiensten vor verschlossenen Türen stehen.

Inspirieren liess sich UMUS vom einem französischen mobilen Sozialdienst (SAMU), der für Obdachlose medizinische Nothilfe leistet. UMUS unterscheidet sich jedoch insofern vom französischen Modell, als dieser nicht nur auf der Strasse, sondern auch häufig in Wohnungen Einsätze leistet.

Häusliche Gewalt und Verwahrlosung

«UMUS hat das Ausmass der häuslichen Gewalt zu Tage gebracht – eine Realität, die bisher häufig unterschätzt wurde und die alle sozialen Schichten betrifft», sagt Pierre-François Unger.

Bei solchen Familiendramen suchen die Menschen häufig bei UMUS Hilfe (22% der Einsätze). «Gewalt in der Ehe oder in der Familie kommt meistens abends vor», sagt der UMUS-Angestellte Rolando Lopez. «In gewissen Fällen lassen die Aggressoren die Gewalt, die sie während dem Tag selbst erlebt haben, am Abend an ihren Angehörigen aus.»

Die soziale Hilfsaktion in Genf zeigt noch eine andere Realität auf: die häusliche Verwahrlosung. Die «Clochards zu Hause», wie Unger sie nennt.

Diese Menschen sind um so fragiler, da sie versteckt und allein in den eigenen vier Wänden leben. Der mobile Dienst kümmert sich auch um ältere Leute, die etwa nachts in der Wohnung stürzen.

Auch immer mehr junge Menschen, die mit ihrer Familie gebrochen haben, wenden sich an den sozialen Nothilfedienst. Oder bei Notfällen, die mit psychischen Problemen oder Drogenkonsum im Zusammenhang stehen, leistet der Dienst ebenfalls Hilfe.

Alkohol und Schweigen

Bei Krisenfällen ist häufig Alkohol im Spiel. «Alkohol ist oft verantwortlich für Gewalt, für Stürze und für Verwahrlosung», sagt Rolando Lopez.

«Ich bin auch von den Kommunikationsproblemen bestürzt», so Lopez. Bei mehr als der Hälfte der sozialen Notfall-Interventionen geht es denn auch um Mediation. Die UMUS-Angestellten versuchen dabei den Personen dabei zu helfen, ihr Leiden in Worten auszudrücken.

Dank UMUS können in vielen Fällen soziale Bomben entschärft werden, wie Rolando Lopez betont. «Der mobile Dienst erlaubt es, in Krisensituationen schnell einzugreifen, bevor die Situation eskaliert.»

Man könne die Betroffenen an andere soziale Strukturen weiterleiten und ihnen Möglichkeiten bieten, die sie bisher nicht kannten.

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

Der mobile Dienst für soziale Notfälle (UMUS) wird normalerweise durch die Polizei oder die Spital-Notfallstation kontaktiert.

2007 ging es bei rund einem von vier Einsätzen um häusliche Gewalt oder um Verwahrlosung.

In einem von sechs Einsätzen handelte es sich um Stürze von älteren Personen oder um Menschen mit psychischen Problemen.

Sechs von zehn Interventionen betrafen Frauen, in 25% der Einsätze sind Kinder involviert.

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