Ein Nein, das niemanden überrascht
Dass die Einheitskrankenkasse scheitern würde, war abzusehen. Überraschend ist höchstens, dass das Nein so überaus massiv ausfiel - und dass selbst in der lateinischen Schweiz eine Mehrheit Nein sagte.
Trotzdem ist der Unterschied zwischen deutscher und West- sowie Südschweiz augenfällig. Für das Stimmvolk war offensichtlich zu unklar, wie sich die Initiative auf das Portemonnaie auswirken würde.
Mit dem wuchtigen Nein zur Einheitskrankenkasse vom Sonntag ist es seit 1974 bereits das siebte Mal, dass eine Volksinitiative zum Gesundheitssystem abgelehnt wurde. Und immer war die Ablehnung recht hoch.
Der einleuchtendste Grund für die Ablehnung dürfte wohl im zweiten Teil der Volksinitiative «für eine soziale Einheitskrankenkasse» zu finden sein.
Die Initiative wollte neben der Schaffung einer Einheitskrankenkasse auch noch gleich das Prämiensystem ändern. Statt der bisherigen Kopfprämie sollte eine einkommens- und vermögensabhängige Prämie erhoben werden.
Zu unklar
Dies scheint einer grossen Mehrheit des Stimmvolks aber zu unsicher gewesen zu sein. Nachdem es die Initianten vorerst verpasst hatten, mit Beispielen von Beginn weg Klarheit zu schaffen, waren bald verschiedenste Rechenmodelle im Umlauf. Der daraus resultierende Zahlensalat dürfte viele Versicherte erheblich verunsichert haben.
Die Prämienbelastung ist zwar für viele Familien ein Problem. Doch die angebotene Einheitskrankenkasse vermochte viele dennoch nicht zu überzeugen. Die einkommensabhängige Prämienberechnung, von den Gegnern als versteckte Reichtumssteuer bezeichnet, stiess offenbar sogar bei einkommensschwachen Stimmbürgern uns Stimmbürgerinnen auf Skepsis.
Schliesslich konnte die Frage, was konkret für die einzelnen Versicherten herausschaut, wer mehr und wer weniger zahlt, im Abstimmungskampf nicht klar beantwortet werden. Die Angst, vom Regen in die Traufe zu kommen, liess manche wohl eher Nein stimmen.
Die Initiative ist wohl auch an ihrer sehr offenen Formulierung gescheitert. Die Ausgestaltung wäre nämlich dem Parlament überlassen worden. Und die Katze im Sack mochte die grosse Mehrheit der Stimmenden nicht kaufen.
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Volksinitiative
Höhere Prämien
Der Grund für den Unterschied von fast 20% mehr Zustimmung in den lateinischen Landesteilen im Vergleich mit der deutschsprachigen Schweiz ist einerseits sicher auf die deutlich höhere Prämienbelastung in der West- und Südschweiz zurück zuführen, andererseits aber auch auf ein etwas anderes Staatsverständnis.
Die Prämien sind in der lateinischen Schweiz höher, weil dort eher zum Arzt gegangen wird, als in der deutschsprachigen Schweiz.
Auch herrscht laut Politologen in der Westschweiz eine höhere Staatsgläubigkeit. Zentralistischen Ideen wird eher eine Chance gegeben als in der Deutschschweiz.
Doch auch in der Westschweiz war die Zustimmung in einigen Kantonen weniger hoch, als im Vorfeld angenommen. Dies dürfte mit der heutigen Prämienbelastung zusammenhängen. Kantone, in denen die Prämien eher tiefer angesetzt sind, sagten bei der Abstimmung viel klarer Nein zum Systemwechsel.
Kein Barometer für Wahlen
Eine bittere Niederlage ist das Resultat für die Sozialdemokratische Partei (SP), die sich nach anfänglichem Zögern schliesslich von den links-grünen Initiantinnen und Initianten vor den Karren spannen liess.
Das Resultat aber als Omen für die im Herbst anstehenden Nationalratswahlen zu werten, wäre wohl falsch. So hatten die Linken im letzten Wahljahr 2003 bei Abstimmungen mehrere massive Niederlagen hinnehmen müssen. Doch auf die Wahlen blieb dies damals ohne Einfluss.
swissinfo, Christian Raaflaub
Nein-Stimmen: 71,2%
Kantone: 24 Nein, 2 Ja
Höchste Ablehung: Appenzell Innerrhoden mit 91,7% Nein
Grösste Zustimmung: Jura mit 57,7% Ja
Stimmbeteiligung: 45,5%
Die Volksinitiative «für eine soziale Einheitskrankenkasse» wurde im Dezember 2004 mit 111’154 gültigen Unterschriften eingereicht.
Für die Grundversicherung sollte statt rund 90 Kassen nur noch eine nationale Krankenkasse, die Einheitskasse, verantwortlich sein.
Die Prämien sollten entsprechend dem Einkommen und Vermögen der versicherten Person bemessen werden, nicht wie heute pro Kopf.
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