Ein neuer Tunnel allein reicht nicht
Der neue Gotthard-Basistunnel wird wenig für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene bewirken. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Vereins Alpeninitiative. Im Verkehrsministerium teilt man diese Schlussfolgerung und verweist auf die Alpentransitbörse.
«Für die Verlagerung von möglichst viel alpenquerendem Güterschwerverkehr von der Strasse auf die Schiene baut die Schweiz die Neat – die neuen Eisenbahn-Alpentransversalen», schreibt das Verkehrministerium (UVEK) prominent auf seiner Homepage. Neat-Kernstück ist der neue Gotthard-Basistunnel.
Die Schweiz hat das zu erreichende Ziel von maximal 650’000 alpenquerenden Lastwagenfahrten sogar in der Verfassung festgeschrieben. Es soll zwei Jahre nach der für Ende 2017 geplanten Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels erreicht werden. Noch brummen zirka 1,3 Millionen Camions jährlich durch die Schweiz.
Der Verein Alpeninitiative zweifelt allerdings, dass sich das Halbierungsziel allein durch den Bau der Neat erreichen lässt. Und er beruft sich auf eine Studie des Verkehrsplanungsbüros Metron in Brugg, die der Verein selber in Auftrag gegeben und dieser Tage publiziert hat.
Schiene legt wenig zu
Demnach ist die Verlagerungswirkung des Basistunnels durch den Gotthard nur marginal. Der Marktanteil der Schiene werde von heute 62 auf höchstens 64,5 Prozent steigen. Der Anteil der Strasse falle damit von heute 38 auf 35,5 Prozent.
Unter der Annahme, dass das gesamte Güterverkehrsaufkommen bis 2019 auf 60 Millionen Nettotonnen ansteige, müsste der Marktanteil der Strasse jedoch auf rund 15 Prozent absinken, um das anvisierte Ziel von 650’000 alpenquerenden LKW-Fahrten durch die Schweiz zu erfüllen.
Der geringe Effekt des Gotthard-Tunnels wird vor allem mit fehlenden Preisanreizen für die Spediteure begründet. Die Ersparnis von 82,5 Minuten Fahrzeit und 32 Kilometern Wegdistanz erhöhe zwar die Produktivität, wirke sich aber nicht massgeblich auf die Kosten aus.
Alpeninitiative fordert Alptransitbörse
Je länger die Transportstrecke sei, umso weniger falle die Ersparnis ins Gewicht. Auf einer Kurzstrecke – beispielsweise Mailand-Basel – könne noch von einer Kostenreduktion von 6,5 Prozent ausgegangen werden. Für die Strecke Rotterdam-Mailand seien es nur noch 2,8 Prozent.
Die Ergebnisse der Studie haben die Alpeninitiative aufgeschreckt. Und gefordert wird die Einführung weiterer Druckmassnahmen, um die Spediteure zu einem Umsatteln vom Strassentransport auf die umweltfreundliche Schiene zu bewegen.
«Wenn die Neat nicht zu einer Investitionsruine werden soll, so tut der Bundesrat gut daran, jetzt mit der Alpentransitbörse vorwärts zu machen», fordert Alf Arnold, Geschäftsführer der Alpeninitiative.
Voraussetzungen schaffen
Im Verkehrsministerium UVEK rennt die Alpeninitiative mit ihrer Forderung offene Türen ein. «Wir haben immer gesagt, dass es flankierende Massnahmen braucht, um das Verlagerungsziel zu erreichen», sagt UVEK-Sprecher Daniel Bach. Eine neue Infrastruktur alleine löse das Problem nicht.
Aus diesem Grund prüft das UVEK die Einführung einer Alpentransitbörse, und Umweltminister Moritz Leuenberger wirbt bei seinen europäischen Kollegen für die Idee. Diese Börse, bei der die Strassen-Transitrechte durch die Alpen versteigert würden, könnte nur mit dem Segen der Europäischen Union (EU) installiert werden.
Der neue Gotthard-Basistunnel ist für das UVEK auf alle Fälle keine Fehlinvestition. «Er ist die Bedingung, um die Verlagerung möglich zu machen», so Bach.
Transporteure erzürnt
Ganz anders sieht dies der Nutzfahrzeugverband Astag. Die Lobbyorganisation der Schweizer Transport-Branche spricht von einem «Neat-Milliardenloch», das keine Verlagerung garantiere.
Laut Astag führt die bisherige Verlagerungspolitik auf der ganzen Linie in die Sackgasse und hinterlässt zudem einen riesigen Schuldenberg.
Der Verband erachtet deshalb eine grundlegende Neuorientierung der Verkehrspolitik als dringend notwendig. Die Idee einer Alpentransitbörse hält Astag für unrealistisch und sieht darin eine weitere «Zwangsmassnahme» zulasten des Strassentransports.
Gerhard Lob, swissinfo.ch
Die Schweiz investiert über 20 Milliarden Franken in den Bau der Neuen Alpentransversalen (Neat). Das Projekt der Flachbahn durch die Alpen für den Personen- und Güterverkehr wird auch Alptransit genannt.
Während der neue Lötschberg-Basistunnel (34 km) bereits in Betrieb ist, wird auf der Gotthard-Linie noch gebaut. Ende 2017 soll der neue Gotthard-Basistunnel (57 km) und einige Jahre später der Ceneri-Basistunnel zwischen Bellinzona und Lugano (15,4 km) bereit sein.
Nicht gelöst ist der Ausbau der Zufahrtsrampen, beispielsweise der Verbindung zwischen Lugano und der Landesgrenze zu Italien. Für die Realisierung allfälliger Projekte stehen zur Zeit keine finanziellen Mittel bereit.
In keinem anderen europäischen Land werden vergleichsweise mehr Güter auf der Bahn transportiert als in der Schweiz.
Bei insgesamt rasch steigenden Volumina (in Nettotonnen) ist der Marktanteil der Bahn gegenüber der Strasse jedoch zurückgegangen: Von 81% (1990) beim gesamten Güterverkehr auf 64% im Jahr 2007. Heute dürfte er bei 62% liegen
Trotz Markverlusten gegenüber der Strasse ist seit 2000 die Menge der im alpenquerenden Schienengüterverkehr durch die Schweiz transportierten Waren um 23% gestiegen. Dies ist deutlich mehr als auf den benachbarten Achsen Mont Cenis und Brenner zusammen.
Die Zahl der alpenquerenden Lastwagen ging zwischen 2000 und 2006 zurück. Seither steigt die Zahl wieder an und erreicht knapp 1,3 Mio. Fahrten pro Jahr.
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