Ein rechteres Europa näher an der Schweiz
Nach der Europawahl vom Sonntag dominieren die Mitte-Rechts-Parteien das nächste Parlament. Das sei ein gutes Zeichen für Bern angesichts des Steuerstreits mit Brüssel, meint René Schwok vom Genfer Institut für Europastudien im Interview mit swissinfo.ch.
Die europäischen Zeitungen vom Montag halten fest, dass die Rechte, ob an der Macht oder in der Opposition, gestärkt aus den Europa-Wahlen hervorgegangen ist.
Sie betonten auch, dass die Linke es nicht geschafft hatte, einen Nutzen aus der Wirtschaftskrise zu ziehen.
Eine Feststellung, die René Schwok vom Europa-Institut der Universität Genf teilt.
swissinfo.ch: Ein wenig wie bei den letzten Wahlen in der Schweiz sind die rechten Parteien und die Grünen die grossen Gewinner der Wahlen ins Europaparlament.
René Schwok: Tatsächlich sind diese Wahlen ein Sieg für das rechte Zentrum, ein Schub für die Grünen und eine Schlappe für die Sozialdemokraten. Auch die extreme Rechte konnte etwas zulegen.
Auf europäischem Niveau hat das rechte Zentrum sogar noch besser abgeschnitten, als die nackten Zahlen zeigen. Denn das neue Parlament hat weniger Abgeordnete als bei den letzten Wahlen, und die britischen Konservativen haben kürzlich die Europäische Volkspartei (EVP) verlassen.
Das politisch rechte Lager hat in den letzten Monaten eine etatistische Interventionspolitik gefahren und damit einen Teil des Programms der Sozialdemokraten übernommen. Eine Tendenz, die auch in der Schweiz zu beobachten ist.
swissinfo.ch: Die Linke hat ihre Niederlage eingestanden. Wie ist diese bei den heute von Tag zu Tag steigenden Arbeitslosenzahlen zu erklären?
R.S.: Mit einigen wenigen Ausnahmen wie in Griechenland wurde die Linke in Europa praktisch platt gewalzt. Das ist zu einem grossen Teil darauf zurückzuführen, dass das rechte Zentrum einen Teil seines Programms übernommen hat, wie ich schon erklärt habe.
Des weiteren stehen die Sozialisten nicht mehr für einen fantasievollen Diskurs der Hoffnung und der Öffnung. Diesen Part haben heute mehrheitlich die Grünen übernommen. Eine Verschiebung, die besonders in Frankreich gut zu beobachten ist.
swissinfo.ch: Ist das Thema Umwelt die Zukunft der Linken in der Schweiz und in Europa?
R.S.: Eines ist klar: In Europa setzt sich die Wählerschaft der Sozialisten und Sozialdemokraten immer mehr aus Funktionären, gut Ausgebildeten und Menschen mit mittleren Einkommen zusammen.
Die europäischen Sozialisten müssen diese Veränderungen wahrnehmen und neue Themen vorschlagen. Sonst wandern ihre Wähler zu den Grünen ab.
Seit Jahren sagen Beobachter, die Zukunft gehöre den Grünen. Doch auch diese sind Hochs und Tiefs unterworfen und haben grosse Probleme bei Führungs-Fragen. Haben sie eine gute Führungsfigur wie etwa Daniel Cohn-Bendit, können sie sehr gute Resultate erreichen.
swissinfo.ch: Diese Wahlen haben auch der extremen Rechten Schub verliehen. Findet das neue Parlament noch zu Konsens-Lösungen?
R.S.: Die Parteien der extremen Rechten, die in einigen Ländern ausgezeichnete Erfolge verbuchen konnten, haben ein grosses strukturelles Defizit.
Weil sie sehr nationalistisch orientiert sind, haben sie Mühe, sich auf europäischem Niveau zu organisieren und zusammen zu arbeiten. Ihr Einfluss wird daher vermutlich eher schwach sein.
De facto wird das europäische Parlament weiterhin den grösstmöglichen Konsens suchen, wie das auch in der Schweiz der Fall ist.
Auch zu bedenken ist, dass sich einige liberale Parteien der Europäischen Volkspartei angeschlossen haben, was dieser politischen Formation noch mehr Kraft verleihen wird.
Ein anderes wichtiges Resultat für die Europäische Union (EU) ist das schlechte Abschneiden der Partei Libertas in Irland. Dies ermöglicht die Annahme des Vertrages von Lissabon bei einem möglichen nächsten Referendum auf der grünen Insel – und damit die Inkraftsetzung in der gesamten EU. Ein wichtiger Punkt für die Zukunft der Union.
Im Gegenzug aber scheint sich in Grossbritannien ein Erfolg für die europaskeptischen Konservativen bei den nächsten Wahlen abzuzeichnen. Dies wiederum würde einen negativen Einfluss ausüben, besonders auf den Ministerrat der EU.
swissinfo.ch: Ist das Wahlergebnis positiv für die Schweiz und deren Beziehungen zur EU?
R.S.: Die Stärkung von Mitte-Rechts könnte den Druck auf die Schweiz im Steuerdossier leicht verringern. Die Linke ist in diesem Bereich per Definition strenger als die Rechte.
Die Wahlresultate in Deutschland sind für die Schweiz auch wichtig. Der Sieg der Christdemokraten und der Liberalen legt eine mögliche Koalition dieser beiden Parteien nahe auf Kosten der Sozialdemokraten, die geschwächt aus diesen Wahlen hervorgehen. Gerade die SPD war extrem aggressiv gegen die Schweiz wegen deren Bankgeheimnis.
Allerdings muss man sehen, dass der Druck auf die Schweiz von den Ministern der EU-Staaten, der EU-Kommission oder dem EU-Ministerrat kam, und viel weniger vom Europaparlament.
Schliesslich sollten diese Wahlen die Wiederwahl von Manuel Barroso an die Spitze der EU-Kommission erleichtern. Und der ehemalige portugiesische Regierungschef kann als ein Freund der Schweiz bezeichnet werden. Er hat übrigens am Europa-Institut und an der Fakultät für politische Wissenschaften an der Universität Genf studiert. Er kennt die schweizerische Realität also gut.
Frédéric Burnand, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub und Gaby Ochsenbein)
Provisorische Ergebnisse:
Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) kam laut provisorischen Ergebnissen auf 263 von ingesamt 736 Sitzen im Europa-Parlament.
Die Liberalen erreichten 80 Sitze, die Sozialdemokraten – zweitstärkste Kraft im Parlament – errangen 163, und die Grünen kamen auf 52 Mandate.
Die Wahlbeteiligung erreichte einen neuen Tiefstand: Lediglich 43% der isgesamt 375 Millionen Stimmberechtigten in Europa gingen an die Urnen. (2004: 45,4%).
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