«Ein richtiger Romand spricht zu Hause französisch»
Soll der Nachfolger von Bundesrat Couchepin ein waschechter Lateiner sein, oder kann er auch zweisprachig mit deutscher Muttersprache sein? Die Frage beschäftigt die Politik der mehrsprachigen Schweiz. Die lateinischen Minderheiten befürchten eine Allemannisierung.
«Es ist sehr wichtig, dass die verschiedenen politischen und kulturellen Empfindsamkeiten auf allen Stufen unseres Staates vertreten sind», sagt Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.
«Die Verwaltung ist daran, sich zu allemannisieren. Die verschiedenen Sprachgruppen ergänzen sich. Alle müssen vertreten sein. Wir Romands steuern sofort auf die Synthese zu und regeln die Details nachher. Die Deutschschweizer haben die Tendenz, zuerst alle Details bis auf das letzte Komma zu regeln und erst nachher die Synthese zu suchen», so Calmy-Rey.
Der frankophone Pascal Couchepin sagte nach der Ankündigung seines Rücktritts, es wäre «untragbar», ein «Skandal», wenn ein Deutschschweizer sein Nachfolger würde.
Die Aussagen der beiden Magistraten bringen die Befindlichkeit weiter Kreise in der lateinischen Schweiz auf den Punkt, obschon bei Couchepin auch parteipolitische Interessen im Spiel sind; denn in den vergangenen Jahren sind die ungeschriebenen Gesetze für Bundesratswahlen – und damit auch die parteipolitische Sitzverteilung – zusehends weniger sakrosankt geworden.
CVP will Sitz der FDP
Die Christdemokraten haben 2003 einen Sitz an die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) verloren. Die Regel, dass nicht mehr als ein Bundesrat aus demselben Kanton stammen darf, wurde damals mit der Wahl von Christoph Blocher – wie Moritz Leuenberger ein Zürcher – gebrochen.
Kurz nach der Rücktrittankündigung des Freisinnigen Couchepin meldete die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) ihren Anspruch auf den frei werdenden Sitz an.
Zusammen mit den Sozialdemokraten und den Grünen hat die CVP im Dezember 2007 den SVP-Übervater Christoph Blocher abgewählt. Dieselbe Allianz wäre rein rechnerisch auch heute in der Lage, einen CVP-Mann oder eine CVP-Frau in den Bundesrat zu wählen und der FDP damit ihren zweiten Sitz wegzunehmen.
FDP Präsident attackiert CVP-Kronfavorit
Als Kronfavorit der «Linken und Netten» – so hatte Blocher die Allianz schon vor Jahren bezeichnet – ist CVP-Ständerat Urs Schwaller ins Rennen um die Couchepin-Nachfolge gestartet. Schwaller gilt quer durch die Parteienlandschaft als kompetent, dossiersicher und auch aufgrund seiner Exekutiv-Erfahrungen als bundesratstauglich.
«Es tut mir leid für Herrn Schwaller, aber er ist kein Romand. Ständerat Schwaller ist ein Deutschschweizer», sagte der freisinnige Tessiner Nationalrat Fulvio Pelli kurz nach der Rücktrittsankündigung Couchepins und stellte klar: «Wir wählen einen Vertreter der lateinischen Minderheit.»
FDP-Präsident Pelli hat sein Ziel erreicht, eine Sprachendebatte ausgelöst und damit den Konkurrenten von der CVP geschwächt. Pelli beteuert seither zwar regelmässig, er sei nicht Bundesratskandidat. Gleichzeitig lässt er eine Hintertüre offen und befolgt die Regel, wonach eher vom Kandidaten-Karussell fällt, wer zu früh darauf steigt: «Wenn die Partei gute Kandidaten hat, braucht es mich nicht. Andernfalls schauen wir weiter.»
Zweisprachigkeit keine Trumpfkarte
Seit Jahrzehnten betreibt die Freiburger Wirtschaftsförderung mit dem Argument Standortpromotion, die Zweisprachigkeit des Kantons sei ein «atout, eine Trumpfkarte. «Urs Schwaller ist perfekt bilingue. Er vertritt als Ständerat einen Kanton, der zu 75% aus Romands besteht», sagt die ehemalige Präsidentin der CVP Freiburg, Nicole Zimmermann.
Schwaller war vor seiner Wahl in den Ständerat während 12 Jahren Mitglied der Freiburger Kantonsregierung, deren Sitzungs- und Verhandlungssprache weitgehend französisch ist.
Die Frage ist also: Ist ein Deutschschweizer, der perfekt französisch spricht und dessen Wähler zu 75% frankophon sind, auch ein Romand, wenn es darum geht, ein mehrsprachiges Land mitzuregieren? Ist Zweisprachigkeit ein Trumpf? Schwaller sei ein Deutschschweizer mit einer Westschweizer-Sensibilität, sagt der Chefredaktor der Freiburger Tageszeitung La Liberté, Louis Ruffieux.
Ein Romand sei «einer, der zu Hause Französisch gesprochen hat und immer noch spricht», stellt hingegen Pascal Couchepin klar. Dieses Kriterium erfüllt Schwaller nicht, aber möglicherweise träumt er vom Wahltag am 16. September – en français, vielleicht.
Andreas Keiser, swissinfo.ch
SVP: 65 Sitze (28,9% Wählerstimmen 2007)
SP: 51 Sitze (19,5 %)
FDP: 47 Sitze (17,7 %)
CVP: 47 Sitze (14,5 %)/52 Sitze in der Fraktion dank zwei Kleinstparteien
Grüne: 24 Sitze (9,8 %)
BDP: 6 Sitze
1959-2003
Das Zeitalter der Zauberformel: 2 FDP, 2 CVP, 2 SP, 1 SVP
2003
Am 10. Dezember wählt das Parlament SVP-Nationalrat Christoph Blocher anstelle der bisherigen CVP-Vertreterin Ruth Metzler in den Bundesrat.
2004-2007
Neue «Zauberformel»: 2 SVP, 2 FDP, 2 PS, 1 CVP
2007
Am 12. Dezember wird Christoph Blocher abgewählt und an seiner Stelle Eveline Widmer-Schlumpf (SVP) gewählt.
2008
Die SVP geht in die Opposition und anerkennt Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf nicht als Bundesräte der eigenen Partei. Beide Bundesräte treten aus der SVP aus und werden Mitglieder der neugegründeten Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP).
Bundesrat: 2 SP, 2 FDP, 2 BDP, 1 CVP
Am 10. Dezember Dezember wird Ueli Maurer (SVP) anstelle des zurückgetretenen Samuel Schmid (BDP) gewählt.
2009
Bundesrat: 2 SP, 2 FDP, 1 CVP, 1 SVP, 1 BDP
Am 16. September wählt Parlament einen Ersatz für den zurückgetretenen Bundesrat Pascal Couchepin (FDP).
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