Ein romantischer, einsamer Umweltschützer
Der Landschafts- und Umweltschützer Franz Weber ist am Dienstag im Alter von 91 Jahren gestorben. Das teilte die Fondation Franz Weber mit. Weber gilt als Vater der Zweitwohnungsinitiative. Wir publizieren aus diesem Anlass ein Porträt nochmals, das wir anlässlich seines grössten politischen Siegs geschrieben haben.
Am 13. März 2012 erschien auf swissinfo.ch der folgende Text:
Praktisch im Alleingang hat der Waadtländer Franz Weber am letzten Sonntag die Volksinitiative gegen den ausufernden Zweitwohnungsbau durchgebracht. Ein weiterer erstaunlicher Sieg eines aussergewöhnlichen Visionärs mit jugendlichem Geist.
Er schafft es auch mit 84 Jahren noch, alle zu erstaunen – sogar seine Verbündeten, die Umweltschutz-Organisationen, die seine Ansichten als zu radikal und die Zweitwohnungs-Initiative als juristisch zu komplex eingeschätzt hatten.
«Es war unglaublich. Ich konnte es am Sonntag kaum glauben, als ich die Resultate sah», sagt Silva Semadeni, Nationalrätin der Sozialdemokratischen Partei und Präsidentin der Naturschutz-Organisation Pro Natura.
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Vom Dandy zum Umweltpolitiker
«Es war eine Überraschung, auch weil es Volksinitiativen immer sehr schwer haben, sowohl die Volks- wie auch die Kantonsmehrheit zu schaffen.»
Es ist nicht das erste Mal, dass die Umweltverbände von einer Weberschen Initiative überholt werden, die häufig gleichzeitig mit ihren eigenen Vorstössen eingereicht worden war.
Als Einzelkämpfer – immer wieder beleidigt, angegriffen und inhaftiert – geht der Landschaftsschützer seit einem halben Jahrhundert seinen eigenen Weg, ohne andere nach ihrer Meinung zu fragen. Dieser Weg ist weder zielgerichtet, noch berechnend, sondern basiert auf seiner Leidenschaft.
Vorläufer der Ökologie-Bewegung
Eine Leidenschaft, die zurück bis in die Kindheit reicht. «Ich bin am Rande der Stadt Basel aufgewachsen. Daher war ich als Kind immer auf den Wiesen und im Wald», sagt Weber gegenüber swissinfo.ch.
«Oft bin ich zum Bahnhof gegangen, um die Lokomotivführer auszufragen über die Landschaften, die sie auf ihren Fahrten durch die Schweiz gesehen haben. Sie haben sich gerne von einem Kind befragen lassen.»
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Ein Sieg mit Fragezeichen für Franz Weber
Eine Erinnerung, in der sich bereits die Zukunft Webers abzeichnete: Ökologie und Journalismus. Der umtriebige Basler, als Drittältester in einer Familie mit sieben Kindern geboren, wurde zuerst Journalist. 1949, nach einer kaufmännischen Ausbildung, versuchte er sich in Paris als Dichter und Schriftsteller – ohne Erfolg. Als Reporter und Interviewer grosser Persönlichkeiten aus Kunst und Unterhaltung konnte er sich hingegen einen Namen machen.
Zum Landschaftsschutz kommt Weber vor 47 Jahren, genau in jenem Bereich, in dem er am 11. März 2012 wieder gelandet ist: in der Verteidigung der Bergwelt gegen die Auswüchse des Zweitwohnungsbaus. 1965 hatte er gegen ein riesiges Spekulationsprojekt im 30-Seelen-Dorf Surlej am Silvaplanersee angekämpft.
Gleich mit seinem ersten Kreuzzug fand er grosse Aufmerksamkeit, auch im Ausland. In einer Zeit des Bevölkerungswachstums und der urbanen Entwicklung Europas war dies eine der ersten grossen Schlachten zum Schutz einer Landschaft. «Sie sind alle dorthin gekommen, auch das deutsche und das französische Fernsehen», erinnert sich Weber, der siegreich bleiben sollte.
Bardot und die Robben
1974 lässt er sich in Montreux am Genfersee nieder, wo er sein Hauptquartier und seine Stiftungen für den Naturschutz einrichtet.
Nur wenige Kilometer entfernt befinden sich die schönen, terrassenförmig angelegten Weinberge des Lavaux – und sie sind von der Verstädterung der Landschaft bedroht.
Weber wirft sich erneut in den Kampf, gegen eine Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner der Region. Die erste Initiative «Rettet Lavaux» wird 1977 vom Waadtländer Stimmvolk angenommen.
Im gleichen Jahr wird der Naturschützer international bekannt – durch seine spektakuläre Kampagne gegen das Abschlachten von Robbenbabies. Vom Journalismus her weiss Weber, wie er die Medien einspannen kann: Er nimmt 70 Journalisten in den Norden Kanadas mit, begleitet von der Schauspielerin Brigitte Bardot.
Seither ist Weber weltweit bekannt. 1978 wendet sich der Europarat an ihn, um Delphi in Griechenland zu retten. In den folgenden Jahren kämpft er in Österreich für den Schutz eines Naturreservats an der Donau, in Afrika für den Schutz der Nilpferde und in Australien für den Schutz der Wildpferde.
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Volksinitiative
Gehasst und geliebt
Während er im Ausland mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft wird, darunter die Ehrenbürgerschaft von Delphi, stossen in der Schweiz seine Kampagnen gegen den Bau von Flughäfen und Autobahnen, den Lärm von Militärflugzeugen oder für den Schutz der Schweizer Seen vor Wasserflugzeugen auf wenig Gegenliebe.
Zusammen mit dem Genfer Soziologen Jean Ziegler, mit dem er auch die Liebe für den narzisstischen Medienauftritt teilt, wird er zu einer der meistgehassten Persönlichkeiten der Schweiz.
Doch er wird auch von vielen für seine Bemühungen geschätzt. Seine Stiftungen erhalten Spenden aus aller Welt, was ihm bis heute erlaubt hat, 150 nationale und internationale Kampagnen zu führen. Dazu kommen 30 nationale und kantonale Volksinitiativen – ein Rekord.
Erfolg hatte er mit seinen Initiativen bis zu diesem Abstimmungssonntag lediglich auf kantonaler Ebene, doch oft sahen sich die Behörden gezwungen, Weber entgegenzukommen, um die Forderungen seiner Volksbegehren abzuwehren. Mit seiner Frau, der gemeinsamen Tochter und einer Handvoll Mitarbeitenden ist Weber zu einer mächtigen Lobby geworden.
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Ringen um UNESCO-geschütztes Weingebiet
Als er sich etwa in den 1980er-Jahren in den Kopf gesetzt hatte, das historische Grandhotel Giessbach am Brienzersee zu retten, hatten viele gedacht, er hätte jegliches Mass verloren. Doch das Hotel und seine Lage strahlen eine unvergleichlich romantische Stimmung aus, die bereits seit einem Jahrhundert Künstler und Philosophen anzieht. Und Weber brachte auch diesen Kreuzzug zu einem erfolgreichen Ende.
Zu jung für den Rückzug
Franz Weber ist zuallererst ein romantischer Naturschützer, der weiterhin für die Erhaltung der Schönheit und Poesie der Natur kämpft, während andere Umweltschützer gezielt die Atomkraft und den Klimawandel ins Visier genommen haben.
Ein Romantiker und Visionär: Seine Kampagnen haben oft genug geholfen, der Bevölkerung die Augen zu öffnen. Wie im Fall des Lavaux, dessen Weinterrassen 2007 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurden.
Und Weber gibt sich auch nicht zufrieden mit dem ersten Erfolg an den eidgenössischen Urnen: Noch am Abstimmungssonntag kündigte er eine weitere Welle von Volksinitiativen an. Und er will sich in Argentinien für ein besseres Schicksal der Müllpferde einsetzen.
Nun überlässt er die Zügel ein wenig seiner Tochter Vera, die sich bereits in mehreren Kampagnen profilieren konnte, besonders in jener gegen zu viele Zweitwohnungen.
Doch Weber denkt nicht daran, sich zurückzuziehen: «So lange es mich braucht, um Kampagnen vorwärtszubringen, stehe ich bereit zu kämpfen. Schliesslich bin ich noch jung und kann noch mindestens zehn Jahre lang arbeiten.» Eine Perspektive, die nicht allen gefallen dürfte, besonders nicht im Wallis, jenem Südschweizer Kanton, in dem sich Weber am 11. März nicht viele Freunde gemacht hat.
1927: Franz Weber wird in Basel geboren, wo er ein kaufmännisches Diplom erhält.
1949: Weber zieht nach Paris. Nach einem Studium der Literaturwissenschaft an der Sorbonne wird er Journalist.
1965: Erste Kampagne zum Schutz der Landschaft bei Surlej im Engadin vor Bauspekulation.
1972: Kampagne gegen den Autobahnbau am Ufer des Sempachersees.
1974: Weber zieht nach Montreux im Kanton Waadt, wo er noch heute lebt und arbeitet.
1977: Die Volksinitiative «Rettet Lavaux» wird vom Stimmvolk der Waadt angenommen. Weber geht mit Brigitte Bardot ins kanadische Labrador-Gebiet, um gegen das Abschlachten von Robbenbabies zu kämpfen.
1983: Kampagne gegen eine riesiges Elektrokraftwerk auf der Donau in Österreich.
1987: Rettung der antiken Stätten von Delphi, die vom Bau einer Aluminiumhütte bedroht sind.
1989: Schaffung eines Reservats für Wildpferde in Australien.
1990: Die Fondation Franz Weber übernimmt in Togo das Management eines Nationalparks.
2008: Die Volksinitiative «Gegen Kampfjetlärm» wird mit 68,1% Nein-Stimmen abgelehnt.
2012: Nach 12 nationalen Initiativen, die abgelehnt oder zurückgezogen wurden, wird die Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!» vom Stimmvolk mit 50,6% angenommen. Im Lauf des Jahres wird das Waadtländer Stimmvolk zur dritten Initiative «Rettet Lavaux» befragt.
Am 11. März haben 50,6% der Schweizer Stimmberechtigten der Eidgenössischen Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen» von Franz Weber zugestimmt.
Künftig muss jede Gemeinde des Landes eine Höchstquote von 20% für Zweitwohnungen proportional zu den bestehenden Immobilien einführen.
Neue Bauprojekte können so in rund einem Fünftel der Schweizer Gemeinden nicht mehr bewilligt werden.
In einigen touristischen Lokalitäten machen Zweitresidenzen mehr als 80% der bestehenden Wohnungen aus.
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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