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Ein Sieg mit Fragezeichen für Franz Weber

Der 84-jährige Franz Weber freut sich nach der Annahme seiner "Zweitwohnungs-Initiative". Keystone

Die grosse Überraschung des Abstimmungssonntags - die Annahme der Zweitwohnungs-Initiative des Landschaftsschützers Franz Weber - ist auch das grosse Thema in den Schweizer Zeitungen vom Montag. Die Kommentatoren setzen Fragezeichen zur Umsetzung.

«Tal gegen Berg», titelt die Neue Zürcher Zeitung, «Lange Gesichter im Ferienkanton» die Bündner Südostschweiz, «Die Quittung für den jahrelangen Schlendrian» der Tages-Anzeiger.

«Die Tatsache, dass mit der Initiative ‹gegen überbordenden Zweitwohnungsbau› ein ebenso plakatives wie unausgegorenes Volksbegehren eine – wenn auch knappe – Zustimmung erzielt, ist Ausdruck eines verbreiteten Unbehagens», schreibt der Kommentator der NZZ. Viele stünden der «forcierten Bautätigkeit» in der ganzen Schweiz «skeptisch bis ablehnend» gegenüber.

Anscheinend traue das Stimmvolk den von Bundesrat, Parlament und Kantonen ergriffenen Schritten gegen den Zweitwohnungsbau nicht, so die Analyse. Entgegen dem allgemeinen Plafond eines Anteils von 20 Prozent an Zweitwohnungen hätten diese «regional differenzierte Ansätze» vorgesehen gehabt.

Doch allen Ja-Stimmenden mangelhaftes Differenzierungsvermögen vorzuwerfen, sei zu einfach: «Indessen stösst hier einmal mehr eine überzogene und zu pauschale Antwort auf Exzesse in der Vergangenheit beim Souverän auf Akzeptanz.»

«Wenn nichts mehr geht, kommt Weber»

Keine Überraschung ist das Votum für die Südostschweiz. Landschaftsschützer Franz Weber sei seit Jahrzehnten «so etwas wie das letzte Korrektiv für schicksalsergeben hingenommene Entwicklungen. Wenn nichts mehr geht, dann kommt Weber».

Es sei auch relativ leicht gewesen, das Stimmvolk für die Initiative zu begeistern: «Einige Vorher-Nachher-Bilder von Orten wie Verbier, Celerina oder Flims» hätten gereicht.

«Brutal» am Volksverdikt sei aber die Tatsache, dass nicht jene Gemeinden, «die sich in der Vergangenheit aus kurzsichtigem Gewinnstreben rücksichtslos zubetonieren und eigentliche Zweitwohnungsgettos entstehen liessen» büssen müssten, sondern Dörfer, die «eine zurückhaltende Politik verfolgt haben. Diesen Gemeinden droht nun die Stagnation. Und im schlimmsten Fall die Entvölkerung».

Versagt hat gemäss der Südostschweiz die Politik. «Sie hätte es in der Hand gehabt, einen wirklich griffigen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Doch die Bau- und Berggebietslobby hat das verhindert – und sich damit selbst am meisten geschadet.»

Wallis bemängelt Solidarität

Für die Unterwalliser Zeitung Le Nouvelliste ist das Wallis, das zusammen mit Graubünden über die grösste Dichte an Zweitwohnungen verfügt, «von den Westschweizern geschlagen und demoralisiert worden, die gegen unsere Interessen gestimmt haben».

Es seien jene Leute, «die von unseren Bergen profitieren und in egoistischer Denkweise kein neues Chalet vor dem eigenen haben möchten. Die Solidarität hat einen bösen Schlag erlitten».

«Hat das Schweizer Stimmvolk gegen das Wallis votiert?», fragen L’Express und L’Impartial. «Natürlich nicht», antwortet der Kommentator. Es gehe vielmehr um «diesen tiefen Volkswillen, in den Städten stark verankert, die traditionelle Berglandschaft zu erhalten».

Damit habe die Schweiz erneut einen Artikel in ihrer Bundesverfassung, «der dort nichts zu suchen hat und dessen legislative Umsetzung politisch-juristische Diskussionen ohne Ende herbeiführen wird».

Vollzugsprobleme

Auch für den Tages-Anzeiger hätte es bessere Lösungen gegeben als eine starre 20-Prozent-Quote. «Doch Parlament, Kantone, Gemeinden und Verbände sind an ihrer Niederlage selber schuld. Schwach war der Gegenvorschlag des Parlaments, schwach war das Engagement der Wirtschaftsverbände.»

Die Hauptverantwortlichen aber seien die Kantone und Gemeinden, die nun «die Quittung für Jahrzehnte raumplanerischen Schlendrians erhalten». Das Stimmvolk habe ihren Beteuerungen, das Zweitwohnungsproblem ernsthaft anzugehen, «offensichtlich nicht mehr» getraut.

Die Behörden hätten sich nun der «verzwickten Aufgabe» der gesetzgeberischen Umsetzung zu stellen. «Die Probleme, die der Vollzug bereiten wird, sind kaum abschätzbar», kommentiert der Tagi und kommt daher zum Schluss: «Der 20-Prozent-Regel droht dasselbe Schicksal wie der Alpeninitiative: als Zahlenleiche in der Verfassung zu enden.»

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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«Spiel beginnt erst jetzt»

«Die Alpen sind ihr Garten», titelt der Corriere del Ticino. Die Bewohner der Städte und wohlhabender Regionen des Mittellandes betrachteten die Alpen als ihre grüne Lunge. «Was die (weniger wohlhabenden) Menschen in den alpinen Regionen glauben, zählt für sie wenig.»

«Die Schweiz der Städte hat die Schweiz der Berge für Exzesse bestraft, die sie nicht zugeben will», schreibt die Westschweizer Zeitung 24 heures. Die Gegner der Initiative hätten mit ihrer «siegessicheren Arroganz» viel zum Sieg Webers beigetragen.

Nun müsse man sehen, wie die Initiative umgesetzt werde. «Das geht nicht, ohne die Alpeninitiative zu erwähnen, die 1994 angenommen wurde. Zwanzig Jahre danach fahren die Lastwagen seelenruhig weiter durch die Alpen. Wetten, dass Kräne und Betonmischer nicht in absehbarer Zeit unsere Urlaubsorte verlassen werden.»

Auch für die Regione Ticino «beginnt das eigentliche Spiel erst jetzt», denn «die Starrheit des Textes» der Initiative berge «ernsthafte Probleme bei der Umsetzung». Es gehe nun darum, ein Gesetz auszuarbeiten, das «eine zu starre Anwendung» der Initiative vermeide.

1. Zweitwohnungs-Initiative: angenommen

Die Initiative will den Anteil von Zweitwohnungen auf 20% pro Gemeinde begrenzen, um die Zersiedelung zu stoppen. Die Gemeinden sollen jährlich über die Einhaltung dieser Beschränkung informieren und eine Übersicht über die dauerhaft genutzten Wohnungen erstellen.

2. Bauspar-Initiative: Abgelehnt

Die Volksinitiative wollte den erstmaligen Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum steuerlich fördern. Zudem hätten auch Energiespar- und Umweltschutzmassnahmen steuerlich begünstigt werden sollen.

3. Ferien-Initiative: Abgelehnt

Die Volksinitiative verlangte, dass alle Arbeitnehmenden einen Anspruch auf mindestens 6 Wochen bezahlte Ferien pro Jahr erhalten.

4. Bundesbeschluss über die Regelung der Geldspiele zugunsten gemeinnütziger Zwecke: Angenommen

Diese Verfassungsänderung verlangt, dass Spielbank-Gewinne der AHV/IV-Kasse zukommen, während Erträge aus Sportwetten für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden müssen.

5. Bundesgesetz über die Buchpreisbindung: Abgelehnt

Das Parlament hatte per Gesetz die Buchpreisbindung für die ganze Schweiz beschlossen. Damit wurde der Buchhandel verpflichtet, Bücher zu einem fixen Preis zu verkaufen. Gegen das Gesetz war das Referendum ergriffen worden.

(Quelle: ch.ch)

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