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Ein überraschender Rücktritt? Nicht wirklich…

Joseph Deiss war ein wenig isoliert in der polarisierten Regierung. 2005 Béatrice Devènes/Pixsil

Ein Wort wurde beim Rücktritt von Joseph Deiss immer wieder gehört: überraschend. Doch für den Journalisten Georges Plomb war die Überraschung nicht so gross, wie von vielen behauptet.

Der langjährige Beobachter der Bundespolitik erklärt den Rückzug mit der Isolierung des Ministers und den Perspektiven für die Wahlen 2007.

Viele Kommentatoren und politische Akteure hatten nicht damit gerechnet, dass Bundesrat Joseph Deiss, der einzige Vertreter der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) in der Landesregierung, bereits jetzt zurücktreten würde.

Bei seiner Ankündigung vor der Presse betonte der scheidende Volkswirtschafts-Minister denn auch, dass er bis zum letzten Moment praktisch niemand in seine Pläne eingeweiht habe. Auch seine Partei hatte er erst am Donnerstagmorgen über den Rücktritt informiert – kurz vor der Medienkonferenz.

swissinfo: Die Rücktritts-Ankündigung hat viele überrascht und kann sogar als zu früh erscheinen. Sieben Jahre sind nicht eine lange Amtszeit für einen Schweizer Bundesrat.

Georges Plomb: Es ist nicht sehr lange, die Ankündigung war aber auch keine Überraschung. Seit 2003, als er einziger Vertreter der CVP in der Regierung verblieb, befand sich Joseph Deiss in einer viel heikleren Position als zuvor.

Früher konnten die beiden CVP-Vertreter die Rolle des Schiedsrichters spielen, zwischen den beiden Sozialdemokraten (SP) auf der linken Seite und den zwei Freisinnigen sowie dem Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) auf der rechten Seite. Seit 2003 war dies nicht mehr möglich.

Man hat verschiedentlich gesehen, dass Joseph Deiss diese Schiedsrichter-Rolle alleine nicht mehr wahrnehmen konnte. Zum Teil wurde er vom Quartett der zwei Freisinnigen und der zwei SVP-Bundesräte regelrecht marginalisiert.

Wie andere auch, habe ich bei Joseph Deiss eine zunehmende Ermattung festgestellt. Vielleicht ist das auch der Grund für seine Demission.

swissinfo: Ist Deiss ein Opfer dieser Bi-Polarisierung, die seit 2003 in der Politik herrscht?

G.P.: Vielleicht. Doch es gibt ein kleines Paradox: Die beiden SP-Bundesräte werden durch das rechtsbürgerliche Quartett auch in die Minderheit versetzt. Doch interessanterweise leiden sie viel weniger darunter als Joseph Deiss.

Dies liegt vielleicht daran, dass die SP solider ist als die CVP. Vielleicht gibt es aber auch persönlichere Gründe. Und natürlich gibt es auch strategische Fragen, die sich die CVP im Vorfeld der Eidgenössischen Wahlen 2007 stellt.

swissinfo: Doch warum der Rücktritt jetzt? Ist das wegen der nächstes Jahr anstehenden Wahlen?

G.P.: Ich denke, dass dies möglich ist, auch wenn es von den wichtigsten Akteuren heruntergespielt wird.

In der Zeitung Der Bund vom Mittwoch, am Tag vor der Rücktritts-Ankündigung, hatte Iwan Rickenbacher, ein ehemaliger CVP-Generalsekretär, seine Meinung ausgedrückt. Er hatte erklärt, für den Erfolg der Partei bei den nationalen Wahlen 2007 wäre ein Rücktritt von Joseph Deiss das Beste, um einer charismatischeren Person den Weg zu ebnen.

Natürlich ist die Person, die damit meistens gemeint ist, die Präsidentin der CVP, Doris Leuthard. Sie hat es geschafft, den Wählerschwund der Partei zu bremsen. Die Hoffnung besteht nun, dass sie 2007 durch ihre Leistung sogar einen Aufwärtstrend einläuten könnte. Das ist nicht sicher, aber es ist möglich.

swissinfo: Joseph Deiss wurde oft als farblose Persönlichkeit bezeichnet. Doch in den letzten Monaten scheint er an Rückgrat gewonnen zu haben.

G.P.: Ich bin mit dieser negativen Einschätzung von Joseph Deiss nicht einverstanden. Er hat insgesamt eine gute Leistung erbracht. Natürlich ist er nicht spektakulär, doch er ist ein sehr effizienter Mensch.

Seine Resultate im aussenpolitischen Bereich sind aussergewöhnlich. Der Beitritt zur UNO 2002, der Abschluss der Bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union 2000 und 2005, und vermutlich ist er auch einer der Architekten des Aufschwungs, der zwar noch zögerlich, aber doch vielversprechend, die Schweizer Wirtschaft ergreift.

swissinfo: Es ist nicht das erste Mal, dass sich eine Partei durch den Rücktritt ihres Vertreters vor den Wahlen ins Gespräch bringen will. Ist diese Methode wirklich wirksam?

G.P.: Ja, das kann aufgehen. Die Hypothese, die Rickenbacher vertritt, ist nicht völlig falsch. Die CVP selber hat dies bereits 1999 gezeigt.

Damals schon drohte der Partei ein Wählerverlust, und die beiden damaligen CVP-Vertreter – Flavio Cotti und Arnold Koller – waren sechs Monate vor den Wahlen zurückgetreten.

Die CVP hatte sich davon ein dynamisches Element erhofft, um gut aus den Wahlen herauszukommen. Dies ging bis zu einem gewissen Punkt auf, denn im Dezember 1999 konnte die CVP trotz Stimmenverlust ihre beiden Mandate in der Landesregierung halten.

Bereits 1995 war diese Strategie gefahren worden. Damals war der SP-Bundesrat Otto Stich knapp vor den Eidgenössischen Wahlen zurückgetreten. Auch damals hatte es funktioniert: Für die SP wurden die Wahlen 1995 zu einem vollen Erfolg.

Diese Strategie spielt daher sicher eine Rolle. Das könnte auch 2007 der Fall sein. Mit einem neuen Sieger-Typen wie Parteipräsidentin Leuthard oder Fraktionspräsident Urs Schwaller könnte die CVP die Wende schaffen.

swissinfo-Interview: Olivier Pauchard
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

Der Genfer Journalist Georges Plomb wurde 1938 geboren.
Er ist Doktor der Politikwissenschaften.
Plomb war 1968 bis 2003 während 35 Jahren Bundeshaus-Korrespondent.
Er arbeitete für diverse Zeitungen, unter anderem 24 Heures, La Liberté und Le Matin sowie für das Westschweizer Fernsehen.
1989 schrieb er ein Buch über die sieben Weisen (die Mitglieder der Landesregierung).
Bei seiner Pensionierung 2003 hielt der Nationalratspräsident eine Lobrede in der grossen Parlamentskammer – eine seltene Ehre.

Nach einem Tief im Jahr 2003 macht die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die zum bürgerlichen Lager gehört, mit Erfolgen bei kantonalen Wahlen politisch wieder Boden gut.

Beobachter gehen davon aus, dass der Rücktritt von Joseph Deiss die CVP in eine gute Position für die eidgenössischen Wahlen im Herbst 2007 bringen kann.

In den nächsten Wochen, wenn das Kandidaten-Karussell zu drehen beginnt, wird die CVP im Mittelpunkt der Diskussionen stehen.

Die 7 Sitze in der Regierung werden unter den 4 grossen Parteien gemäss der so genannten Zauberformel verteilt. Diese stammt von 1959 und richtet sich in erster Linie nach dem Wähleranteil.

In der ursprünglichen Formel hatten die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), die CVP und die Sozialdemokraten (SP) je 2 Sitze. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hatte 1 Sitz.

2003 wurde die Zauberformel gesprengt: Die CVP verlor 1 Sitz zu Gunsten der SVP, die zur stärksten politischen Kraft geworden war.

Bei der Wahl in den Bundesrat spielt auch eine Rolle, welchen Landesteil und welche Landessprache Kandidaten oder Kandidatinnen repräsentieren.

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