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Ein Versuch, die Zersiedlung zu stoppen

Verdichtet bauen, das Weideland den Schafen. Keystone

Das Land wird zusehends zubetoniert. So könne es nicht weitergehen, lautet der Konsens unter den Gemeinden, den Kantonen und dem Bund. Mit dem "Raumkonzept Schweiz" wollen sie gemeinsam die Zersiedelung eindämmen. Experten bezweifeln dessen Wirksamkeit.

Als «wünschbaren Schritt» bezeichnet der emeritierte ETH-Professor und Raumplanungsexperte Martin Lendi die Vision mit dem Namen «Raumkonzept Schweiz»: «Doch sie läuft Gefahr, vom ersten Tag an durch die Wirklichkeit unterlaufen zu werden.»

Lendi bemängelt, dass das Konzept die «Dynamik der Zeitachse» ausklammere und die «neue Situation» zu wenig berücksichtige. «Pendeln zwischen Zürich und Basel ist Alltag geworden, die S-Bahn hat die Agglomeration Zürich bis an die Landesgrenzen ausgedehnt, Genf wäre ohne das umliegende Frankreich nicht mehr denkbar.»

Das heisst: Die Pendlermassen haben exponentiell zugenommen und werden es weiter tun. Auch die Zuwanderung wird weiter zunehmen. Qualifizierte Arbeitskräfte lebten nicht – wie noch die Emigranten in den 1960er-Jahren – in engen, sondern grosszügigen Wohnverhältnissen und das brauche Platz. Der tiefe Hypothekarzins sei ein zusätzlicher Faktor, der zu Neubauten führe und damit den Druck auf die Raumplanung erhöhe.

«Die Stadt Schweiz ist eine reale Situation. Wer das nicht sieht, sieht mit blinden Augen», sagt Lendi auch mit Blick auf die stetig steigenden Bodenpreise, die vollen Züge und die verstopften Autobahnen. Deshalb brauche die Schweiz mehr städtebauliche Planung. Zudem sei nicht einzusehen, dass auf der andern Seite der Landschaftsschutz nicht in der gleichen Departments-Kompetenz liege wie die Raumplanung.

Neue Wege

Die Städte verdichten, deren Industrie-Brachen neu nutzen, Pendlerströme einschränken, dort bauen wo das Verkehrsnetz bereits besteht und leistungsfähig ist, gleichzeitig Landwirtschafts- und Erholungslandschaften erhalten – das ist das erklärte Ziel des Konzepts.

«Zum ersten Mal haben wir jetzt eine von allen drei Staatsebenen getragene Vorstellung darüber, wie der Raum gestaltet werden sollte», sagt Infrastrukturministerin Doris Leuthard bei der Präsentation des Konzeptes.

 Eine der «gravierenden Folgen» der bisherigen Entwicklung sei, dass «offene, unverbaute Landschaften immer mehr eine Ausnahme» seien, so Leuthard: «Die Ressource Boden verknappt sich. Die Raumplanung versucht, hier Gegensteuer zu geben.» – Das sei «nicht immer optimal» gelungen.

«Wir möchten deshalb neue Wege gehen und davon wegkommen, dass jede Gemeinde und jeder Kanton für sich schaut», sagte Leuthard. Konkret: Die Raumplanung müsse in einer Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Kantonen und über die Landegrenzen hinaus an die Hand genommen werden.

Eingeschränkter Handlungsspielraum

«Ich sehe nichts Neues an diesem Konzept. Das sind Postulate, die seit Jahren im Raum stehen», kritisiert Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. «Mit solchen Papieren ändert man nichts.»

Rodewald ist gleichzeitig Vizepräsident der «Landschaftsinitiative», einer vor Jahren eingereichten Volksinitiative, die im Wesentlichen die Verantwortung für die Raumplanung dem Bund und den Kantonen übertragen will. Bisher liegt die Raumplanungshoheit bei den Kantonen.

Das habe den Handlungsspielraum bei der Erarbeitung des «Raumkonzepts Schweiz» eingeschränkt, räumt Lukas Bühlmann, Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung ein: «Sie können mit Recht sagen, es bleibe vage und sei wenig konkret. Letztlich ist es ein Konzept und kein Richtplan.»

Pionierstadt Lausanne

Das heisst: Das Konzept versteht sich als Leitfaden für Kantone, Gemeinden und Städte. Es sei klar, dass «andere Bedürfnisse die Planung verhindern» können, sagt der Solothurner Baudirektor Walter Straumann, und es werde «zusätzliche institutionelle Instrumente brauchen», um das Problem der Zersiedelung in den Griff zu bekommen. Die Einsicht, «dass es auch eine vertikale Zusammenarbeit» brauche, sei immerhin da, so Straumann.

Dass das Konzept auch ohne gesetzgeberische Verbindlichkeit bereits angewendet wird, zeigt ein Beispiel aus der Westschweiz: «Wir haben keine zweite Schweiz im Keller», so laute der kategorische Imperativ des Raumkonzepts, sagt der Grüne Stadtpräsident von Lausanne, Daniel Brélaz. Brélaz geht davon aus, dass der Kanton Waadt bis 2020 um 100’000 Einwohner wachsen wird.

Die vier Städte Lausanne, Pully, Morges und Renens haben zusammen ein Siedlungsprojekt entwickelt mit Platz für 40’000 Einwohner und 30’000 Arbeitsplätzen.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Überbauung einer 70 Hektaren grossen Industrie- und Eisenbahnbrache am westlichen Stadtrand von Lausanne. Das Land gehört den SBB, der Post und den Gemeinden. Hier wird bis 2020 eine Überbauung entstehen, verdichtet, ökologisch und dem Standard der 2000-Watt-Gesellschaft. «Zu den ersten Vorboten dieser grossen Transformation wird der Bau eine S-Bahn-Station gehören», so Brélaz.

Mit dem 1969 neu in die Bundesverfassung aufgenommenen Raumplanungsartikel wurde dem Bund die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung in der Raumplanung übertragen.

Die konkrete Umsetzung in Pläne soll dagegen im Wesentlichen Sache der Kantone bleiben, die wiederum einen Teil der Aufgaben an die Gemeinden weiter delegieren.

Die beschränkte Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes führt zu einer Vielfalt an Begriffen und Instrumenten der Raumplanung. Überdies geht die Verrechtlichung der Begriffswelt viel weniger weit als in Deutschland.

Die Realität in der schweizerischen Raumplanung ist jedoch nicht so einfach, wie dies der Verfassungsartikel ausdrückt. Bund, Kantone und Gemeinden werden zur gemeinsamen Sorge für die haushälterische Bodennutzung verpflichtet.

Raumplanung in der Schweiz bedeutet  die Auseinandersetzung mit allen politischen Problemen, die den Lebensraum betreffen.

Dementsprechend  zählen zum Raumplanungsrecht nicht nur das Bundesgesetz über die Raumplanung und die dazugehörige Raumplanungsverordnung, sondern zahlreiche weitere Erlasse.

Zu diesen gehören das Nationalstrassengesetz, das Eisenbahngesetz, das Natur- und Heimatschutzgesetz, das Umweltschutzgesetz, aber auch das Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz, das Gesetz zum bäuerlichen Bodenrecht und das Tourismusgesetz.

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