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Ein virtueller Kanton für Auslandschweizer?

Die Schweizer Auslandgemeinde ist heute nicht direkt im Bundeshaus vertreten. swissinfo.ch

Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind mit ihren Anliegen vom Goodwill der Schweizer Parlamentarier abhängig.

Einige andere Länder kennen das System einer direkten Vertretung ihrer Auslandgemeinde. Eine Lösung für die Schweiz?

Beispiele Italien, Frankreich und Portugal: Diese drei Länder haben in der Verfassung festgeschrieben, dass die im Ausland lebenden Bürgerinnen und Bürger ihres Landes über eigene Abgeordnete im Parlament verfügen.

In Italien vertreten bis zu acht Personen die Auslandgemeinde, aufgeteilt auf vier Territorien. Die genaue Anzahl der Repräsentanten hängt davon ab, wie viele Auslanditalienerinnen und –italiener sich pro ausländischem Wahlkreis eingetragen haben.

In Frankreich sitzen derzeit drei Vertreter und eine Vertreterin im Senat. In Portugal sind es vier Abgeordnete, zwei für die Übersee-Portugiesen und zwei für die in europäischen Ländern Domizilierten.

Auslandschweizer nicht direkt vertreten

“Der Auslandschweizer braucht einen neuen Status”, sagt der christlichdemokratische Nationalrat Remo Galli gegenüber swissinfo. In einer Zeit der globalen Vernetzung brauche die Schweiz ein neues Verhältnis zu ihrer Auslandgemeinde.

Dieser Meinung ist auch Aliki Panayides, stellvertretende Generalsekretärin der Schweizerischen Volkspartei (SVP): “Im Moment ist es sicher nicht befriedigend, dass Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ihre Anliegen immer indirekt über ihre Parteivertreter einbringen müssen.”

Die SVP hat daher erstmals eine eigene Auslandschweizer-Liste für die Nationalratswahlen zusammengestellt, und zwar im Kanton Basellandschaft. Doch die Chancen auf einen Erfolg sind klein. Das weiss auch die Partei, die daher nach den Wahlen einen Vorstoss lancieren will.

“Mittelfristig ist es das Ziel, einen eigenen Wahlkreis für die Auslandschweizer zu erringen, damit die Chancen für einen Sitz optimiert werden können”, erklärt Panayides.

Unterschätzte Grösse

Von den rund 600’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern haben sich gegen 83’000 in schweizerischen Stimm- und Wahlregistern eingetragen.

Wenn man davon ausgeht, dass pro 35’000 Personen in einem Kanton ein Vertreter in den Nationalrat gewählt werden darf, kämen die Schweizer im Ausland damit auf zwei Vertreterinnen oder Vertreter in der grossen Kammer, dem Nationalrat.

Hätten sich gar alle Schweizer im Ausland in ein Stimmregister eingetragen, kämen sie auf die Grösse des Kantons Waadt, der 17 Repräsentanten stellt.

“Das ist ein Zehntel der Schweiz, sie sind unsere Botschafter im Ausland. Ich finde, die sollten auch eine Möglichkeit auf eine Vertretung haben”, sagt Remo Galli, der sich im Parlament oft für die Anliegen der Auslandgemeinde stark macht.

Die Idee eines so genannten Auslandschweizer-Kantons war daher schon vor der Einführung des brieflichen Stimmrechts für Auslandschweizer 1992 ein Thema. Auch die Auslandschweizer-Organisation ASO hatte sich intensiv damit beschäftigt, wie deren Präsident Rudolf Wyder bestätigt.

“Eine Utopie”

“Wir sind ganz klar zum Schluss gekommen, dass das eine zwar theoretisch interessante Idee ist, aber dass sie praktisch nicht wirklich viel bringt.” Die Idee, dass sich die Auslandgemeinde mit eigenen Vertretern mehr Gehör verschaffen könne, sei utopisch, so Wyder.

“Wir haben mit diesem System, wo die Auslandschweizer in einer Stimmgemeinde angemeldet sind und dort mitgezählt werden, den optimalen Effekt: Dass sie überall präsent sind.”

Die Auslandschweizer Nationalrats-Kandidatinnen und -Kandidaten müssen sich im heutigen System in einem Kanton zur Wahl stellen. Sie haben praktisch keine Chance, weil sie dort niemand kennt und sie auf die Stimmen der in anderen Kantonen registrierten Auslandschweizer verzichten müssen.

“Das ist nicht ganz einfach, wenn man von aussen kommt”, bestätigt Wyder. Doch der Status Quo sei sicher die einfachere Alternative.

Weltweiter Wahlkampf?

“Kandidatinnen und Kandidaten eines virtuellen Auslandschweizer-Kantons müssten weltweit Stimmen sammeln, und das wäre noch viel schwieriger, oder eigentlich unmöglich.”

Dieser Auffassung widerspricht Parlamentarier Galli vehement: “Das ist absolut möglich. Wir haben ja zur Zeit auch Leute, die kandidieren. Die machen ja auch Wahlkampf.”

Doch Galli findet den SVP-Anstoss einer Vertretung im Nationalrat zu kompliziert. Er schlägt eine Standesvertretung vor: Ein 27. Kanton für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer im Ständerat, wo sie mit einem bis zwei Repräsentanten vertreten wären.

“Sie sind ja dann da, haben jemand, der im Rat spricht, der in Kommissionen mitmachen kann, also einen direkten Einfluss in die Politik, auf die Minister. Dies kann ein Auslandschweizer-Sekretariat nicht leisten.”

ASO zufrieden mit Status Quo

Doch für die ASO ist das derzeitige System eindeutig besser: “Es gibt ja auch den Auslandschweizerrat, in dem mehrere Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller grösseren Parteien mitarbeiten. Diese sind mit Auslandschweizer-Anliegen vertraut und können sie ins Parlament tragen”, so Wyder.

Die ASO sieht also keinen Handlungsbedarf. Aliki Panayides räumt ein: “Unsere Idee mit dem Wahlkreis ist vielleicht ein bisschen visionär.” Und daher komme sie möglicherweise für die ASO etwas zu früh, schätzt sie.

Doch: “Ich bin überzeugt, dass nach den Wahlen, je nach Abschneiden der Auslandschweizer-Liste im Kanton Baselland, die Diskussion auf alle Fälle lanciert werden wird.”

swissinfo, Christian Raaflaub

Rund 600’000 Personen gelten als Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer
Rund 83’000 sind in schweizerischen Stimm- und Wahlregistern eingetragen
Pro 35’000 Personen erhält ein Kanton einen Sitz im Nationalrat
Hätten sich alle Schweizer im Ausland eingetragen, kämen sie auf 17 Sitze

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