Einbürgerungen: Stimmvolk kann die Regeln ändern
Schweizer Gemeinden sollen selber entscheiden können, welches Organ das Bürgerrecht erteilt. Und dessen Entscheide sollen nicht anfechtbar sein. Am 1. Juni entscheidet das Stimmvolk über eine entsprechende Initiative.
Der Grund für die Volksinitiative «Für demokratische Einbürgerungen» der Schweizerischen Volkspartei (SVP) war ein Entscheid des Bundesgerichts. Dieses hatte 2003 in zwei Urteilen festgelegt, dass Volksabstimmungen über Einbürgerungsgesuche grundsätzlich gegen das Gesetz verstossen.
Bei einem Urnengang könnten negative Entscheide nicht begründet werden, befanden die höchsten Richter. Dies widerspreche dem Grundsatz auf Schutz vor Willkür in der Schweizerischen Bundesverfassung.
Die SVP ergriff daraufhin das Volksrecht der Initiative und reichte mit 100’038 gültigen Unterschriften eine solche ein. In der Schweiz sind mindestens 100’000 Unterschriften nötig, damit eine Initiative an die Urne kommt.
Das Volksbegehren fordert, dass die Gemeinden autonom entscheiden können, welches Organ das Gemeindebürgerrecht und damit auch das Schweizer Bürgerrecht erteilen darf. Dies kann eine Kommission, der Gemeinderat, die Gemeindeversammlung oder ein anderes Gremium sein.
Der Entscheid dieses Organs über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts soll endgültig und somit auch nicht mehr vor Gerichten anfechtbar sein.
Diskriminierend?
Dies ist denn auch der grosse Streitpunkt der Initiative. «Es besteht kein Anrecht auf Einbürgerung», sagt SVP-Nationalrat Rudolf Joder im Streitgespräch von swissinfo. «Deshalb muss ein Entscheid auch nicht begründet und auch nicht an ein Gericht weitergezogen werden können.»
Die Initiative widerspreche internationalen Abkommen, dem Verfassungsrecht und den Menschenrechten, sagt hingegen Nationalrat Andreas Gross von der Sozialdemokratischen Partei (SP): «Jeder, der betroffen ist, hat in einem Rechtsstaat das Rekursrecht und kann klagen.»
Für Joder geht es vielmehr um die Frage, ob die Einbürgerung ein Verwaltungsakt oder ein politischer Akt ist. «Der Kerngehalt der Einbürgerung ist ein politischer Akt», betont er. «Derjenige, der eingebürgert wird, erhält eine Fülle von politischen Rechten und Einflussmöglichkeiten in der Schweiz.»
Nein, klar ein Verwaltungsakt, sagt Gross. «Die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz bestimmen demokratisch über die Bedingungen, über die eingebürgert wird.» Schliesslich gehe es aber allein darum, ob jemand die Bedingungen zur Einbürgerung erfülle oder nicht. Und das sei keine politische Frage.
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Volksinitiative
Masseneinbürgerung?
Doch die SVP will mit ihrer Initiative den Zustand vor den Urteilen des Doch die SVP will mit ihrer Initiative den Zustand wieder herstellen, der vor den zwei Urteilen des Bundesgerichts herrschte. «Die bisherige Praxis ist deshalb wichtig, weil wir jetzt sehen, dass nach diesen falschen Bundesgerichts-Urteilen die Einbürgerungen massiv zugenommen haben und Richtung Massen-Einbürgerungen gehen», betont Joder.
Heute würden die Voraussetzungen immer häufiger «mangelhaft überprüft, weil nicht mehr das Volk zuständig ist, sondern irgend ein Gremium», so Joder.
«Von Massen-Einbürgerung kann nicht die Rede sein», kontert Gross. «Ich möchte daran erinnern, dass der Bundesrat vor dem Ersten Weltkrieg das gesagt hat, was ich heute noch immer richtig finde: Einbürgerung ist ein Motor, ein Element der Integration.»
Die Schweiz könne ihr Rentensystem ohne diese Eingebürgerten nicht mehr aufrecht erhalten, so Gross. «Wir haben es nötig oder es ist uns wichtig, dass diese Leute sich bei uns zu Hause fühlen. Wenn sie partizipieren können, dann fühlen sie sich als Teil der Sache.»
Rolle des Bundesgerichts
Mit dem Bundesgerichtsurteil sei die freie Willensäusserung verletzt worden, ist Joder überzeugt. «Wir finden es falsch, dass plötzlich das Bundesgericht massiv in die Gesetzgebung eingreift und den Entscheid der Einbürgerung von einem bisher politischen Akt in einen reinen Verwaltungsakt umkehren will.»
Doch Gross ist der Ansicht, die SVP verkenne die Rolle des Bundesgerichts. «Das Bundesgericht hat nicht die Einbürgerung als Verwaltungsakt definiert. Es hat nur das ernst genommen, was wir in der neuen Bundesverfassung von 1999 ausdrücklich festgelegt haben: Dass keine staatliche Macht willkürlich ausgeübt werden kann.»
swissinfo, Christian Raaflaub
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Bundesgericht
Ein Ja zur Volksinitiative «Für demokratische Einbürgerungen» empfiehlt die Schweizerische Volkspartei (SVP).
Dagegen sind der Bundesrat (Landesregierung), eine Mehrheit des Parlaments sowie folgende grosse Parteien: Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), Sozialdemokratische Partei (SP) und Grüne Partei.
Weil es sich bei der Vorlage um eine Volksinitiative handelt, sind am 1. Juni 2008 das Volksmehr und das Ständemehr, also eine Mehrheit der Kantone, ausschlaggebend.
Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen will, muss mindestens 12 Jahre im Land wohnhaft und gut integriert sein sowie sich an die schweizerische Rechtsordnung halten.
Die Einbürgerung erfolgt durch den jeweiligen Kanton und die Wohngemeinde.
2007 wurden etwas über 45’000 Einbürgerungen vorgenommen, leicht weniger als 2006. In der Schweiz leben mehr als 20% Ausländerinnen und Ausländer.
Einbürgerungen an Gemeindeversammlungen oder der Urne wurden von Gemeinden vorwiegend in der Deutschschweiz praktiziert. Zu reden gab besonders die Gemeinde Emmen (Luzern).
Chancenlos waren dort Kandidaten mit Namen, die auf eine Herkunft aus Ländern des ehemaligen Jugoslawiens schliessen liessen.
2003 entschied das Bundesgericht, Ablehnungen müssten begründet werden. Seit dem Lausanner Urteil sind Einbürgerungen an der Urne faktisch illegal.
Um das Urteil des höchsten Schweizer Gerichts umzustossen, lancierte die SVP die Einbürgerungs-Initiative.
«Gehören Einbürgerungen an die Urne?» fragte swissinfo die Leserschaft zwischen dem 21.4. und dem 1.5.2008.
An der nicht repräsentativen Umfrage beteiligten sich 536 Personen. Das Resultat: 206 (38%) sagten Ja, 317 (59%) Nein. 13 Personen (2%) wussten noch nicht, wie sie abstimmen wollen.
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