Einheitlichere Politik für die Auslandschweizer
Angesichts der wachsenden Bedeutung der Fünften Schweiz sollte die Regierung eine kohärentere Politik gegenüber den Auslandschweizern verfolgen, eine einheitliche rechtliche Basis schaffen und deren Durchsetzung einem Departement unterstellen. Dies schlägt ein Bericht des Bundesrats vor, der die aktuellen Schwachstellen hervorhebt.
In der Schweiz konzentriert sich die Migrationspolitik fast ausschliesslich auf Fragen der Einwanderung. Wenig Aufmerksamkeit wird dagegen der Auswanderung von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern geschenkt, auch nicht der Rückkehr von im Ausland lebenden Landsleuten. In diesem Bereich gibt es keine umfassenden Daten oder repräsentative Studien.
Diese Probleme stellt der am Mittwoch vom Bundesrat veröffentlichte Bericht über die Politik der Eidgenossenschaft gegenüber den Schweizern im Ausland fest. Er ist die Reaktion eines 2004 von Ständerat Filippo Lombardi eingereichten Postulats. Der Tessiner forderte von der Regierung, die Bedeutung der Fünften Schweiz bei den Beziehungen zum Ausland zu beurteilen, insbesondere «die wirtschaftlichen Vorteile, welche die Schweiz aus der Präsenz und der Tätigkeit von Schweizer Staatsangehörigen auf der ganzen Welt zieht, und über die Beziehungen, welche diese zu ihrer Heimat unterhalten.»
Das Postulat forderte die Regierung auch auf, Wege zur finanziellen Unterstützung von Institutionen aufzuzeigen, die zugunsten der Fünften Schweiz operieren. Weiter sollte eine bessere politische Partizipation der Auslandschweizerinnen und –schweizer geprüft werden, etwa durch die Einführung der elektronischen Stimmabgabe.
Starke Bindung
«Mit gegen 700’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern und bei einer jährlichen Wachstumsrate von durchschnittlich 1.92% in den letzten 15 Jahren verfügt die Auslandschweizergemeinschaft über eine Grösse und ein politisches Gewicht, welche die Fragestellung des Postulates mehr als rechtfertigen», begründet die Regierung ihren Bericht. Die Fünfte Schweiz umfasst rund 10% der Einwohner des Landes und wäre bevölkerungsmässig der drittgrösste Kanton der Schweiz, nach Zürich und Bern.
Über 120’000 im Ausland lebende Schweizerinnen und Schweizer haben sich in einem Wahlregister registriert und nehmen an nationalen politischen Abstimmungen teil. Ihre Zahl steigt von Jahr zu Jahr. Diese starke Verbindung zum politischen Leben der Schweiz erklärt sich auch mit dem Migrationsverhalten, das sich in den letzten Jahrzehnten tendenziell verändert hat. Heute verlassen viele Schweizer ihr Land nicht mit der Absicht, den Rest ihres Lebens in der Fremde zu verbringen. Sehr häufig sind es Studien- oder kurze bis mittelfristige Arbeitsaufenthalte, nach denen sie wieder ins Heimatland zurückkehren.
Laut dem Bericht haben die Schweizer in den Ländern, in denen sie leben ein gutes Image. Die wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Präsenz für die Schweiz werden jedoch als nicht quantifizierbar beschrieben. Dazu bräuchte es eine detailliertere Studie, die viel Zeit beanspruchen würde. Der Bundesrat hält jedoch fest, wenn die Landsleute aus dem Ausland zurückkehrten, würden sie «die Schweiz mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen bereichern», die sie anderswo gewonnen hätten.
Kohärentere Politik
Weil es an umfassenden Daten fehle, hält es die Regierung im Moment nicht für gerechtfertigt, die Mittel zur Unterstützung der Fünften Schweiz zu erhöhen. Der Bericht listet die bereits heute angebotenen Dienste für die Schweizer im Ausland auf: Konsularischer Schutz und Hilfe für Angehörige in Not, Versicherungs- und Sozialhilfe, Ausbildung, das Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union sowie die Doppelbesteuerungsabkommen.
Das Dokument hebt auch Mängel hervor. So bieten zum Beispiel weniger als die Hälfte der Kantone Auslandschweizern die Möglichkeit, an Ständeratswahlen teilzunehmen.
«Die Schaffung einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage sowie die Stärkung der bereits bestehenden Funktion des Auslandschweizerdienstes als ‹Guichet unique› für alle Auslandschweizerfragen könnte den Rahmen dafür liefern und gleichzeitig die Gelegenheit für eine umfassende politische Diskussion zur Gestaltung der Beziehungen mit der schweizerischen Auslandgemeinschaft bieten», heisst es im Bericht.
Die Regierung hat bereits eine interdepartementale Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die «Zweckmässigkeit einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage prüfen» soll.
Die Rolle der Mobilität
Rudolf Wyder, Direktor der Auslandschweizer Organisation (ASO) begrüsst diese Vorschläge: «Diese Anliegen hat die ASO schon lange geäussert. Wir sind sehr zufrieden. Zum ersten Mal wurde eine einheitliche gemeinsame Vision mit dem Wunsch formuliert, eine klare Strategie gegenüber der Fünften Schweiz zu definieren.»
Für Wyder bleibt der Bericht im Bereich der Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung der Fünften Schweiz zu sehr an der Oberfläche. «Das Dokument berücksichtigt die Rolle der internationalen Mobilität für den Wohlstand unseres Landes zu wenig. Wir müssen erkennen, dass Industrie, Forschung, Ausbildung und Kultur Mobilität verlangen.»
Der ASO-Direktor kritisiert unter anderem den Vorschlag der Regierung, die Finanzierung von swissinfo.ch zu stoppen: «Das ist ein sehr enttäuschendes Kapitel. Ein migriertes Publikum braucht Informationen, die seinen Bedürfnissen entsprechen. Und diese Informationen, die es den Schweizern im Ausland ermöglichen, die Beziehung zu ihrem Heimatland aufrechtzuerhalten, werden durch keine anderen Schweizer Medien zur Verfügung gestellt.»
Besser geschützte Interessen
«Ich freue mich, dass der Bericht endlich da ist, auch wenn seine Erstelllung sehr lange gedauert hat und ich ein paarmal insistieren musste», sagt der Motionär Filippo Lombardi. «Es gibt einige Punkte, die auf eine Verbesserung der Politik gegenüber der Fünften Schweiz hoffen lassen. Denn deren Bedeutung ist noch nicht ausreichend anerkannt, wie die wiederholten Vorschläge für finanzielle Kürzungen ihrer Institutionen belegen.»
Lombardi fügt hinzu: «Ein Rahmengesetz für die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland soll zu einem besseren Schutz ihrer Interessen beitragen. Für im Ausland Lebende ist es schwieriger, sich gegen die Interessen anderer Lobbys durchzusetzen. Deshalb bin ich auch für die Zuweisung der Zuständigkeiten an ein einzelnes Departement. Bisher fühlte sich kein Departementsvorsteher wirklich für die Schweizer im Ausland verantwortlich.»
In den Augen von Nationalrat Carlo Sommaruga äussert sich der Bericht «zu zaghaft über die Perspektiven für die Stärkung der Rolle der Fünften Schweiz auf der politischen Ebene. Man könnte zum Beispiel für die Schweizer im Ausland eine direkte Vertretung im Parlament schaffen, so wie es in anderen Ländern bereits Realität ist.»
Armando Mombelli, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Etienne Strebel)
Gegenwärtig leben rund 700’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland. Das jährliche Wachstum beträgt fast 2%. Dies entspricht rund 10% der Bevölkerung der Schweiz.
Ungefähr drei Viertel der Auslandlandschweizer leben in den Ländern der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Es gibt nur sieben Länder, in denen keine Schweizer Bürger leben.
Rund 120’000 Auslandschweizerinnen und –schweizer, etwa 23% aller, welche wählen und abstimmen dürfen, sind in Wahlregister eingetragen und nehmen an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen teil.
Das von 26 Parlamentariern unterzeichnete Postulat des Tessiner Ständerats Filippo Lombardi wurde am 7. 10. 2004 eingereicht. Es beauftragte den Bundesrat
-einen Gesamtbericht zu erstellen über die Bedeutung der Fünften Schweiz und die Rolle, die ihr der Bund in seinen Auslandsbeziehungen beimisst;
-eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag zu geben über die wirtschaftlichen Vorteile, welche die Schweiz aus der Präsenz und der Tätigkeit von Schweizer Staatsangehörigen auf der ganzen Welt zieht, und über die Beziehungen, welche diese zu ihrer Heimat unterhalten;
– auf der Grundlage dieses Berichtes und dieser Untersuchung zu prüfen, wie die finanzielle Unterstützung der Präsenz von Schweizer Staatsangehörigen im Ausland verbessert werden könnte;
– die politische Mitwirkung von Auslandschweizerinnen und -schweizern stärker zu fördern, indem eine angemessene Kommunikation gewährleistet und die elektronische Stimmabgabe baldmöglichst eingeführt wird;
– die Möglichkeit zu prüfen, Politikerinnen und Politiker aus der ganzen Welt, die schweizerischer Herkunft sind, zu einer ein- oder mehrmaligen Konferenz in die Schweiz einzuladen, um so unsere Beziehungen zu den Institutionen in zahlreichen Ländern zu stärken.
Laut dem Postulat ist es wichtig, dass die Schweiz von den Verbindungen profitiert, die sie dank ihren Staatsbürgerinnen und -bürgern im Ausland hat. Tatsächlich passiert unter dem Druck von Budgetkürzungen genau das Gegenteil. Die Einsparungen treffen die grundlegenden Verbindungen der Schweiz mit dem Rest der Welt überproportional, insbesondere die Informationsplattform swissinfo.ch und Schweizer Schulen im Ausland.
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