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Erbschaftssteuer: Vertreibt eine Initiative die Superreichen aus der Schweiz?

Friedhof
Der Tod macht die meisten Multimillionäre: In der Schweiz haben 60% der Superreichen ihr Geld geerbt. Keystone / Gaetan Bally

Nachdem die Jungsozialist:innen eine Volksinitiative eingereicht haben, die eine Erbschaftssteuer von 50% für Superreiche verlangt, drohen Millardär:innen offen mit dem Wegzug. Was ist da los in der Schweiz?

Milliardär:innen mit Steuerwohnsitz in der Schweiz erlitten einen mittleren Schock, als die Jungsozialist:innen (Juso) im Jahr 2022 eine Initiative lancierte, die eine 50-prozentige Besteuerung von Erbschaften in der Höhe von mehr als 50 Millionen Franken (56 Millionen Dollar) verlangt.

Der Vorschlag soll, so die Schätzung im liken Lager, jährlich 6 Milliarden Franken zusätzlich einspielen. Geld, das die Juso für Umweltschutzmassnahmen, den Ausbau von erneuerbaren Energien und den öffentlichen Verkehr ausgeben wollen.

Die Befürworter:innen der so genannten «Initiative für eine Zukunft» begründen ihr Anliegen damit, dass die Reichsten einen grossen Teil des Klimawandels zu verantworten haben und deshalb Wiedergutmachung leisten sollten.

In der Schweiz teilen offenbar viele diese Meinung, denn die Jungsozialist:innen haben bis Februar dieses Jahres genügend Unterschriften gesammelt, um eine landesweite Abstimmung zu erzwingen. Sie soll bereits im Jahr 2026 stattfinden.

Gegen den Trend

Der Vorschlag, die Erbschaftssteuer für Superreiche drastisch zu erhöhen, widerspricht dem allgemeinen Trend, sie für die breite Bevölkerung weniger schmerzhaft zu machen.

Zwischen Mitte der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre haben viele Schweizer Kantone ihre Steuerstrategien reformiert und die Erbschaftssteuer für enge Familienangehörige abgeschafft.

In der Schweiz gibt es keine Erbschaftssteuer auf Bundesebene, aber alle Kantone ausser Schwyz und Obwalden erheben – an gewisse Bedingungen geknüpft – eine Erbschaftssteuer.

Das Verhältnis zwischen dem oder der Verstorbenen und seinen Erb:innen spielt eine entscheidende Rolle: Ehegatten und direkte Nachkommen sind in den meisten Kantonen von der Steuer befreit.

Der Erbschaftssteuersatz ist zudem progressiv und wird in den meisten Fällen mit einem Faktor multipliziert, der von der Beziehung zwischen dem oder der Verstorbenen und den Erb:innen abhängt.

Beispiel Kanton Zürich: Wie der Vermögensverwaltungs- und Family-Office-Firma Centro LAW festhält, sind Ehegatt:innen und direkte Nachkommen von der Erbschaftssteuer befreit. Eltern sind bis zu einem Betrag von 200’000 CHF und Geschwister bis zu 15’000 CHF von der Steuer befreit.

In allen anderen Fällen ist der Steuersatz progressiv. Er beginnt bei 2% für Erbschaften bis zu 30’000 CHF und steigt auf bis zu 6% für Beträge über 1,5 Millionen CHF.

Je nach Verwandtschaftsgrad werden diese Steuersätze multipliziert, für Eltern mit dem Faktor 1, für Grosseltern mit dem Faktor 2, für Geschwister mit dem Faktor 3, für Tanten und Onkel mit dem Faktor 5 und für nicht verwandte Personen mit dem Faktor 6.

Ein ähnlicher Trend ist auf europäischer Ebene zu beobachten.

Seit 2000 haben Österreich, Tschechien, Norwegen, die Slowakei und Schweden ihre Erbschafts- oder Nachlasssteuern abgeschafft.

Einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)Externer Link zufolge war ein Mangel an politischer Unterstützung für die jüngsten Entscheidungen zur Abschaffung der Erbschafts-, Nachlass- und Schenkungssteuer verantwortlich.

In einigen Ländern wurde auch der hohe Verwaltungsaufwand im Vergleich zu den relativ mageren Einnahmen als Grund genannt.

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Die Frage ist aufgeworfen: Führt das Schreckgespenst einer 50-prozentigen Erbschaftssteuer für Superreiche in der Schweiz zu einem Exodus der Industriekapitän:innen?

Zumindest gibt es prominente Stimmen, die das behaupten. „Die Juso zwingen mich zur Auswanderung“, klagte Peter SpuhlerExterner Link, Chef von Stadler Rail, Anfang des Monats in der SonntagsZeitung.

Bei einem geschätzten Vermögen von über 3 Milliarden Franken müssten Spuhlers Nachkommen dereinst mindestens 1,5 Milliarden Franken an Erbschaftssteuer berappen, wenn denn das Schweizer Stimmvolk die Initiative annimmt.

Kein zufälliger Standort für Superreiche

Die Superreichen in der Schweiz sind zu Recht beunruhigt. Eine Studie der Schweizerischen Konjunkturforschungsstelle (KOF)Externer Link hat ergeben, dass rund 60% der 300 reichsten Personen in der Schweiz ihr Vermögen geerbt haben.

Es ist indes kein Zufall, dass die Schweiz ein Standort für Superreiche ist. Vermögende Personen könnten hier Family Offices einrichten und Steuern sparen, sagt die auf Ungleicheit spezialisierte KOF-Ökonomin Isabel Martinez. «Private Kapitalgewinne unterliegen nicht der Einkommenssteuer. Klar, es gibt eine Vermögenssteuer, aber die ist eher eine Einkommenssteuer der letzten Instanz für die Superreichen.“

Allerdings sei eine Erbschaftssteuer von 50% im internationalen Vergleich immer noch recht hoch und ihre Einführung könne möglicherweise nach hinten losgehen, meint sie.

«Es besteht die Gefahr, dass die Schweiz sowohl die Erbschaftssteuer als auch die jährlichen Einkommens- und Vermögenssteuereinnahmen verliert, wenn die Superreichen auswandern», sagt sie.

Genau damit droht Spuhler. Er sagte der SonntagsZeitung, dass er erwäge, nach Österreich auszuwandern (das österreichische Verfassungsgericht hat die Erbschaftssteuer 2008 abgeschafft), um zu verhindern, dass seine Unternehmen «an chinesische oder Private-Equity-Investoren im Ausland verkauft werden, die nur das schnelle Geld machen wollen», um den von den Juso vorgeschlagenen Erbschaftssteuersatz von 50% zu bezahlen.

Martinez ist jedoch nicht davon überzeugt, dass solch drastische Massnahmen notwendig wären. «Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Erben keine Bank finden können, die ihnen Geld leiht, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen, wenn das geerbte Unternehmen rentabel ist», sagt sie.

Editiert und aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger/ts

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