«Es geht auch ohne Blocher»
Für die Schweizer Presse sind die Abwahl von Christoph Blocher, die Wahl seiner Parteikollegin Eveline Widmer-Schlumpf und der Gang der SVP in die Opposition Anlass zur Hoffnung.
Die politische Landschaft der Schweiz habe sich verändert, stellen die Kommentatoren fest. Der neuen Regierung trauen sie einen stärkeren Willen zur Kooperation und mehr Kollegialität zu.
«Es geht auch ohne Blocher», titelt der Zürcher Tages Anzeiger seinen Kommentar auf der Frontseite.
Blocher habe in seinen vier Jahren als Bundesrat einiges erreicht, «das bei einer grossen Mehrheit des Volkes Akzeptanz findet, so etwa in der Asyl- und Ausländerpolitik».
Seine Abwahl habe mit seiner Person zu tun: «Seine Rücksichtslosigkeit kommt schlecht an.»
Dass die Partei nun den seit Jahren angedrohten Gang in die Opposition antrete, werde «für die Partei schwieriger als für das Land und den Bundesrat».
Auf den ersten Blick präsentiere sich die Schweizer Landesregierung «als kooperationsfähigeres Team als auch schon», schreibt die Neue Zürcher Zeitung.
Der Oppositionsdrohung sieht der Kommentator gelassen entgegen. «Ohne exekutiven Einfluss und Mitverantwortung verliert eine Partei längerfristig an Attraktivität.»
Respekt und Anstand
Aber auch die andern bürgerlichen Parteien sollten sich laut der NZZ nicht zu früh freuen. So sei es für die Christdemokraten schwierig, «in ihren Stammlanden den Eindruck zu entkräften, sie seien durch das abgesprochene Wahlmanöver zur Partnerin der Linken geworden».
Die Freisinnige Partei sei zu Blocher gestanden und habe mit ihm zusammen verloren. «Ihr droht beim nächsten Rücktritt nun erst recht ein Sitzverlust.»
Allein mit der Abwahl von Christoph Blocher sei noch nicht viel erreicht, mahnt die Basler Zeitung. Die Sieger vom Mittwoch müssten sich nun geschlossen zu «Respekt und Anstand verpflichten und so die polternde Opposition ins Leere laufen lassen».
Dazu sollten sie sich ein Beispiel nehmen an der neuen Bundesrätin, die «besonnen, vernünftig, sachlich» aufgetreten sei.
Freude im Heimatkanton
«Wir sind Bundesrat!» – Die Bündner Südostschweiz freut sich über die Wahl «ihrer» Eveline Widmer-Schlumpf und zeigt sich zuversichtlich, dass die Parlamentsmehrheit der SVP-Opposition entgegentreten kann.
Die Mehrheit werde «Blockaden zu verhindern wissen». Und der Bundesrat «wird so einig sein wie seit Jahren nicht mehr».
Das Blatt erinnert auch daran, dass die SVP bereits 1999 angekündigt hatte, künftig Oppositionspolitik zu betreiben. Damals scheiterte Blochers Kandidatur gegen die beiden sozialdemokratischen Regierungsmitglieder Ruth Dreifuss und Moritz Leuenberger.
Die neue Oppositionsphase werde «kaum erfolgreicher», aber bestimmt «noch gehässiger und noch verkrampfter».
Verachtung bestärkt Gegner
Die unmögliche Dreifachrolle als Parteichef, Oppositionsführer und Alphatier einer Regierung sei Blocher zum Verhängnis geworden und habe zu einem «Umsturz im Bundeshaus geführt», stellt der Berner Bund fest.
Die Abschiedsrede Blochers vor dem Parlament habe wie eine Drohung geklungen. «Die Verachtung, mit der Blocher Worte wie ‹Amtsgeheimnis›, ‹Konkordanz› und ‹Kollegialität› ausstiess, bestärkte seine Gegner allerdings in der Auffassung, er sei nicht die richtige Persönlichkeit für die Regierung.»
Der Quotidien Jurassien prophezeit der Schweiz ein «wackliges politisches System». Nun hänge alles von der Positionierung der übrigen Parteien ab.
Keine Rückkehr des starken Mannes
Die Tatsache, dass die Mehrheit Rechts verankert sei, nehme der SVP die Munition weg, gibt sich der Lausanner Le Matin zuversichtlich.
Die Kommentatorin kritisiert jene SVP-Spitzenpolitiker, die nun «dekretieren, das Ende sei gekommen». Die Schweiz habe sich zu sehr «auf die Sakralisierung der SVP» konzentriert und «von der grossen Rückkehr des starken Mannes geträumt».
Nun sei dieser geschwächt. Zur Panik bestehe jedoch kein Grund.
swissinfo, Andreas Keiser
Auch die europäische Presse kommentiert die Blocher-Abwahl.
Die Süddeutsche Zeitung widmet der Bundesratswahl, der «politischen Zäsur in der Schweiz», wie sie schreibt, gar das «Thema des Tages».
Die neue Bundesrätin wird als «respektvoll, tolerant, unaufgeregt» ausführlich porträtiert.
Die Zeitung verdrängt Christoph Blocher verbannt das Blatt in die Randspalte. Doch dass der «Volkstribun» nicht von der Bildfläche verschwinden wird, macht die Zeitung bereits im Titel deutlich: «Blick nach vorn im Zorn».
Aus der Sicht des französischen Figaro ist die Wahl der Parlamentarier für den «Unruhestifter» Blocher eine «Ohrfeige».
Die Frankfurter Rundschau geht davon aus, dass nun «Schluss mit Kuscheln» sei. In der Schweiz sei nichts mehr so, wie es war: «Das Land hat jetzt eine aggressive parlamentarische Opposition. Es ist der Abschied vom Sonderfall.»
Für Le Monde tritt die Schweiz nun in «eine Phase der politischen Unsicherheit» ein.
Zu Beginn jeder Legislatur versammelt sich das Parlament zur Wahl der 7 Mitglieder des Bundesrats.
Nur in den Jahren 1854, 1872, 2003 und 2007 bestätigte die Vereinigte Bundesversammlung die Wiederwahl eines Regierungsmitglieds nicht.
2003 musste Ruth Metzler von der CVP ihren Sitz räumen und dem Vertreter der SVP, Christoph Blocher, Platz machen.
Die SVP geht nach der Abwahl Blochers wie angekündigt in die Opposition.
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