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Es geht um die Zukunft der Arbeitslosenversicherung

Die Arbeitslosenversicherung schreibt jährlich ein Defizit von rund 920 Mio. Franken. Ex-press

Die Arbeitslosenversicherung (ALV) ist zur Zeit finanziell aus dem Lot. Das Stimmvolk muss nun über eine Revisions-Vorlage entscheiden, die Sparmassnahmen mit neuen Einnahmequellen kombiniert.

Die wirtschaftliche Abkühlung ist nicht ohne Auswirkung auf die Arbeitslosenversicherung geblieben. Sie verursacht ein jährliches strukturelles Defizit von rund 920 Mio. Franken und hat bereits eine Gesamtschuld von schätzungsweise 7 Milliarden (Ende Juni 2010) angehäuft.

Grund dafür ist die gewachsene Anzahl von Arbeitslosen. Die letzte Revision des ALV-Gesetzes (Arbeitslosenversicherungs-Gesetz, AVIG) zielte auf eine ausgeglichene Finanzierung bei durchschnittlich rund 100’000 Arbeitslosen, das heisst bei einer angenommenen Quote von 2,5%. Doch in den vergangenen Jahren betrug die reale Quote rund 3,3%.

Zusatzeinnahmen

Um das Gleichgewicht wieder herzustellen und die Versicherung damit für die Zukunft abzusichern, schlagen Regierung und die bürgerliche Parlamentsmehrheit eine neue Revision des AIVG vor. Sie sieht eine Zunahme der Einnahmen in der Grössenordnung von 646 Mio. Franken jährlich vor.

Erreicht würde dies durch eine Erhöhung des lohnprozentualen Beitrags, zur Hälfte vom Arbeitgeber und zur Hälfte vom Arbeitnehmer bezahlt. Dieser Beitrag, zur Zeit 2%, würde auf 2,2% erhöht.

Dieser Beitrag betrifft Einkommen bis zur Höhe von 126’000 Franken im Jahr. Darüber hinausreichende Lohnanteile sind nicht mehr versichert. Für diesen Teil nun sieht die Revision die Einführung eines «Solidaritäts-Prozents für Besserverdienende» vor. Von 126’000 bis 315’000 Fr. Jahreslohn wären das 1%.

Abnehmende Leistungen

Damit allein lässt sich gemäss dem Vorschlag das Loch nicht schliessen. Deshalb brauche es dazu noch Einsparungen, in der Höhe von 622 Millionen. Zum Beispiel müsse man die Bezugsdauer besser an die entsprechende Beitragsdauer koppeln. Zur Zeit gibt eine einjährige Dauer von Beitragszahlungen Recht auf Leistungsbezüge während eineinhalb Jahren. Künftig soll die Bezugsdauer nicht grösser als die Beitragsdauer sein.

Neu würde für alle Personen nach einem Schul- oder Studienabgang eine Wartefrist von 120 Tagen eingeführt. Für Personen ohne Unterhaltspflicht sind zusätzliche Wartetage vorgesehen. Jugendlichen unter 25 Jahren werden die Taggelder von 400 auf 200 herabgesetzt, denn sie sind laut Statistiken in der Regel innert 6 Monaten wieder im Arbeitsmarkt integriert – schneller als andere.

Die Arbeitslosenversicherung wird nur noch zu 50% statt wie bisher zu 80% für Integrationsmassnahmen von Nichtversicherten aufkommen. Die restlichen 50% sind von den Kantonen oder Institutionen zu tragen, welche die Teilnahme an den jeweiligen Massnahmen bewilligen.

Ältere arbeitslose Personen erhalten einen besseren Zugang zu Integrationsmassnahmen.

Ausserdem sollen die Plafonds der Kantone für die Finanzierung von arbeitsmarktlichen Massnahmen reduziert werden.

Klassischer Links-Rechts-Konflikt

Dieser bundesrätliche Vorschlag hat einen klassischen Links-Rechts-Konflikt hervorgerufen. Das Referendum gegen die Revision kam von Seiten der Gewerkschaften. Sie und die Linksparteien lehnen die Revision ab. Sie werde auf dem Buckel des Arbeitslosen, der Jugendlichen und jener Regionen ausgetragen, die ohnehin Opfer der Krise geworden seien.

Die Linke ärgert sich über den geplanten Leistungsabbau, ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, wo die Prämien- und Bonuszahlungen an Manager exorbitant gewachsen seien, und wo die Staaten nicht zögerten, den Banken mit Riesensummen unter die Arme zu greifen.

Die Linke findet deshalb, unter diesen Umständen sei eine zusätzliche Beitragserhöhung einem Leistungsabbau zu Ungunsten der Arbeitslosen vorzuziehen.

Auf bürgerlicher Seite empfindet man die vorgeschlagene Revision als «ausgeglichen», weil sie sowohl Beitragserhöhungen als auch Leistungseinsparungen enthalte. Massnahmen auf beiden Ebenen seien unumgänglich, sonst steuere das Sozialwerk auf seinen Finanzruin zu, was die Arbeitslosen dann wirklich treffen würde.

Die Bürgerlichen wehren sich gegen eine einseitige Erhöhung der Beiträge ohne entsprechende Einsparungen. Das würde nicht nur die Schweizer Volkswirtschaft als ganze treffen, sondern auch die Kaufkraft der Haushalte einschränken.

Leichte Tendenz zu einem «Ja»

Laut der letzten Umfrage von Mitte September dürfte am Sonntag eher ein «Ja» zu erwarten sein. Die Zahlen zeigten, dass 48% der Befragten der Revision eher zustimmen, und nur 30% sie ablehnen.

Doch die Gegner haben in den letzten Wochen Zulauf erhalten, so dass der Ausgang dieses Urnengangs alles andere als sicher ist.

Im Parlamant wurde die Revision des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung mit 91 gegen 64 Stimmen und 37 Enthaltungen im Nationalrat und mit 32 gegen 12 Stimmen im Ständerat angenommen.

Die Regierung unterstützt die Revision.

Die Opposition gegen diese Revision kommt vor allem von linken Parteien und Gewerkschaftskreisen.

Diese haben das Referendum gegen die Revision ergriffen und 140’000 Unterschriften gesammelt, das sind 25’000 mehr als das gesetzliche Minimum.

Im internationalen Vergleich offeriert die Schweizerische Arbeitslosen-Versicherung gute Leistungen.

Sie zahlt 70 bis 80% des versicherbaren Einkommens, und bietet eine Bezugsdauer von anderthalb bis zwei Jahren, Vermittlung und Beratung sowie ein Angebot an arbeitsmarktlichen Massnahmen.

Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle

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