«Es gibt nur den gemeinsamen Weg»
Scharfe Töne aus Deutschland und heftige Reaktionen aus der Schweiz rund um das Thema Steuerhinterziehung belasten das bilaterale Verhältnis zwischen den Nachbarn. Das bekommen auch die Auslandschweizer zu spüren. Sie fordern eine Rückkehr zur Sachlichkeit.
Auch wenn eine Schweizer Parlamentarier-Delegation bei einer Aussprache mit Finanzminister Peer Steinbrück «symbolisch die Friedenspfeife geraucht hat», wie die sozialdemokratische Nationalrätin Anita Fetz sagte, haben sich die atmosphärischen Verstimmungen noch nicht in Luft aufgelöst. Darin sind sich Vertreter der Auslandschweizer-Gemeinde Deutschlands einig, die über Auffahrt im süddeutschen Breisach zu ihrer Jahreskonferenz zusammenkamen.
Auf die Schweizer Steuerpraktiken und das vergiftete Klima zwischen den Nachbarländern werden die Auslandschweizer häufig angesprochen. So sei etwa zu hören, dass sich der Finanzminister zwar im Ton vertan, die Schweiz aber zu heftig reagiert habe.
Und es gebe auch Deutsche, die sich für ihren Minister schämten und entschuldigt hätten. Dass das Bankgeheimnis gelockert und der Steuerhinterziehung ein Riegel geschoben werden müsse, komme aber ebenfalls aufs Tapet.
Nachhaltige Verstimmung
«Bei uns hat die Geschichte hohe Wellen geworfen», sagt Adelheid Wälti, Präsidentin des Schweizer Vereins München. Verängstigte Vereinsmitglieder hätten angerufen und gefragt, wie sie auf die Vorwürfe an die Schweiz reagieren sollten. Sogar die Frage, ob sie jetzt Deutschland verlassen müssten, sei gefallen.
Die Polemik Steinbrück-Schweiz erinnert Gerhard Lochmann, Honorarkonsul aus Freiburg im Breisgau, an eine innerfamiliäre Geschichte: «Ich habe einen kleinen Bruder und bekomme heute noch zu hören, was ich vor vielen Jahren falsch gemacht habe, Dinge, die ich längst vergessen habe», sagt Gerhard Lochmann. Für den kleinen Bruder sei es aber eine prinzipielle Sache – wie jetzt auch für die kleine Schweiz, so der Honorarkonsul aus Freiburg im Breisgau.
Laut Peter Kaul, Honorarkonsul aus Dresden, unterschätzen die Deutschen, was Herr Steinbrück in der Schweiz angerichtet hat. Zuviel Geschirr sei zerschlagen worden, als dass es die Schweizer Gesellschaft von heute auf morgen vergessen würde, meint er. Jetzt müsse wieder auf höchster Ebene zur Sachlichkeit zurückgefunden werden.
Dieser Ansicht ist auch Lochmann: «Wir im südbadischen Raum an der Grenze zur Schweiz haben ohnehin belastete Situationen, wie den Flughafenstreit und Verkehrsprobleme. Um die zu lösen, brauchen wir eine freundschaftliche Atmosphäre, und nicht ein Klima, das durch dumme und vorschnelle Äusserungen belastet ist.»
Die Schweiz ist nicht Teil des Wahlkampfes
Einig ist man sich in der Auslandschweizer-Runde, dass die Schweiz als solche die Bundestagswahl vom September nicht beeinflusse. «Ich vermute, dass die Leute realistisch und auf dem Boden der Tatsachen bleiben und solche Dinge nicht überbewerten», sagt Vreni Stebner, Präsidentin des Vereins Helvetia Hamburg.
Höchstens, so Adelheid Wälti aus München, dass Finanzminister Steinbrück mit seiner Polemik ein Eigengoal geschossen habe.
Die Schweiz selber sei nicht Wahlkampfthema, aber die ganze Frage der Steuerhinterziehung spiele in den Wahlkampf hinein, erklärt Urs Hammer, Gesandter der Schweizer Botschaft in Berlin. «Vor dem Hintergrund der Finanzkrise geniesst das Thema eine gewisse Popularität.»
In der Substanz sieht der Diplomat die Beziehungen zwischen den beiden Ländern aber nicht gefährdet, dazu stünden sie auf einem zu soliden Fundament. Und dass der Ton, in dem die Vorwürfe angebracht wurden, für ein gutes Nachbarverhältnis nicht förderlich sei, habe die Botschaft kommuniziert.
Auch nicht förderlich sei diese Geschichte für das Zusammenleben zwischen den beiden Gruppen, so auch für die Deutschen in der Schweiz, meint Gerhard Lochmann. «Wenn wir mit deutschem Kennzeichen in die Schweiz fahren, merken wir die Veränderung. Nichts Massives, aber unangenehm.»
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Fünfte Schweiz
Zurück zur Sachlichkeit
Vreni Stebner fühlt sich zurückversetzt in die Zeit vor 35 Jahren, als sie ihren Mann heiratete und im kleinen Dorf, wo sie aufgewachsen war, gefragt wurde: «Muss es denn unbedingt ein Deutscher sein?» Der Groll komme wieder mehr hoch. «Die Leute haben wieder das Gefühl, die Deutschen versuchten, uns zu massregeln», sagt die Wahl-Hamburgerin.
Jetzt müssten die beiden Seiten zurück zum Pragmatismus finden und die Themen angehen, die auf dem Tisch lägen, so Peter Kaul. Und abgesehen von Einzelpersonen sei in der Breite nach wie vor ein gutes Einvernehmen zwischen den beiden Ländern festzustellen.
Schliesslich gebe es keinen anderen Weg als den gemeinsamen, betont Lochmann. «Deshalb sollte man nett sein zueinander – und anständig, Anstand ist keine Frage der Grösse.»
Gaby Ochsenbein, Breisach, swissinfo.ch
In Deutschland leben rund 75’500 Schweizerinnen und Schweizer. 46’800 sind Doppelbürger.
Rund 3000 in Deutschland lebende Schweizer sind in insgesamt 40 Vereinen organisiert. Das sind 240 oder 8% weniger als im Jahr zuvor.
Der jüngste Verein ist Ortenau in Baden Württemberg. Er existiert seit März 2009 und zählt 35 Mitglieder.
Am Kongress in Breisach waren rund 60 Auslandschweizerinnen und -schweizer aus 25 Schweizer Vereinen präsent.
2000: Die OECD setzt die Schweiz auf eine Liste mit 47 Ländern mit «potenziell schädlichem Gebaren» in Steuerfragen.
2004: Schweiz macht Zugeständnisse bei der Besteuerung von Holdings und wird wieder von der Liste gestrichen.
2001-2005: Bei den Verhandlungen mit der EU über die bilateralen Verträge II kommt es in der Frage der Zinsbesteuerung zu Spannungen zwischen der Schweiz und der EU. Mit dem Abschluss der Bilateralen II kann dieser Streit beigelegt werden.
Seit 2005: Streit zwischen der Schweiz und der EU über kantonale Steuerprivilegien für Unternehmen. Die Schweiz weist wiederholt EU-Vorwürfe zurück, die Privilegien verstiessen gegen das Freihandelsabkommen von 1972.
2007: Die EU-Kommission erhält vom Ministerrat ein Verhandlungsmandat über den Steuerstreit mit der Schweiz. Der Bundesrat zeigt sich aber nur zu einem Dialog, nicht zu Verhandlungen bereit.
2008: Die Schweiz gerät in den Strudel des deutsch-liechtensteinischen Steuerstreits. Deutsche Politiker verschärfen ihre Drohungen gegenüber Steueroasen «wie der Schweiz».
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