Facts und Emotionen um den Steuerdeal
Während die Deutschschweizer Presse den Steuerdeal eher erklärend kommentiert, überwiegen bei den Westschweizer Zeitungen die Emotionen. Weniger erwähnt wird der mögliche politische Widerstand: Denn noch ist das Abkommen nicht durchgewinkt.
«Mehr liegt nicht drin», konstatiert der Tages-Anzeiger pragmatisch und meint, die Schweiz ziehe sich mit dem Steuerabkommen gut aus der Affäre.
Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) sieht sogar einen «grossen Schritt vorwärts», von einem «Etappenerfolg» spricht das St. Galler Tagblatt, für den Blick «vollbringt der Deal mit Deutschland Wunder», und die Süddeutsche Zeitung verkündet bereits «Frieden mit der Schweiz».
Doch nur der Tages-Anzeiger (und DerBund) machen aus dem möglichen politischen Widerstand, der sich über dem Abkommen zusammenbrauen könnte, Schlagzeilen: «Unheilige Allianz gegen Banken-Deal mit Deutschland»: Sozialdemokraten (SP) und Schweizerische Volkspartei (SVP) kündeten Widerstand an.
Der Tagi zitiert den SVP-Vizepräsidenten Christoph Blocher: Er befürworte zwar die Abgeltungssteuer, aber nicht die vorgesehenen Konten-Informationen: Erhalte Deutschland Daten, ohne «einen begründeten Verdacht vorzuweisen», werde die SVP dagegen sein.
Auch SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer kritisiert, aber von der anderen Richtung her: Das Abkommen liefere keine Garantie, dass nicht neue Schwarzgelder in die Schweiz flössen.
Doch der Corriere del Ticino bringt es auf den Punkt: «Macht man einen Vertrag, der dauern soll, schwingt keine der beiden Parteien oberaus.» Beide Länder hätten beim Steuerabkommen Vor- und Nachteile akzeptieren müssen. Doch für die Schweiz überwögen die Vorteile.
Fertig mit dem Western…
Die Westschweizer Presse gibt sich in ihren Kommentaren besonders bissig: Die Tageszeitung Le Temps schliesst in ihrem Titel an die polemischen Zeiten des ehemaligen deutschen Finanzministers Peer Steinbrück an und titelt «Das Ende des Westerns»: Steinbrücks undiplomatische Kommentare über das «Auffahren der Kavallerie gegen die Indianer» hatte 2009 zusätzliches Öl in den Steuerstreit gegossen.
Le Temps bezeichnet das Abkommen als «willkommenes Ende eines schlechten Feuilletons», mit einem (deutschen) Fiskus, der vor lauter Geldhunger seine Bürger in die Illegalität (die Steuerflucht) getrieben habe, mit Bankern, die sie noch so gerne und ohne jeglichen Skrupel empfangen hätten, mit Datendieben und Ministern, die ihre Rolle mit jener von Kavallerieoffizieren verwechselt hätten…
Die Freiburger La Liberté lässt Deutschland «schnurren vor lauter Zufriedenheit über die Beute von zig Euro-Milliarden», während sich «die Schweiz den kalten Schweiss von der Stirn wischt, weil das Schlimmste, der automatische Informationsaustausch, vermieden werden konnte».
«2009 hätte man wohl kein abgewertete alte Reichsmark (aus den Zeiten der Weltwirtschaftskrise) darauf verwettet, dass sich die Schweiz aus der Falle, die ihr ihre europäischen Partner gestellt hatten, herausfände!»
Wichtige Privatsphäre der Auslandkundschaft
Etwas sachlicher kommentiert die NZZ, wenn sie einschätzt, dass «die Interessen der Kunden in unerwartet hohem Mass geschützt» worden sind. Doch habe diese Wahrung der «finanziellen Privatsphäre» ihren Preis gehabt. So seien die Schweizer Banken zu «Aussenstellen der deutschen Steuerbehörden» geworden.
Auch die Garantiesumme von 2 Milliarden Franken gehöre zu den Konzessionen. Die deutsche Seite wolle damit sichergehen, dass Steuergelder fliessen, «selbst dann, wenn Kunden ihre Gelder (…) in andere Länder verschieben sollten».
«Putzige Empörung»
Die andere, deutsche Sicht auf die Dinge zeigt sich im Kommentar der Süddeutschen. Auch sie bemüht Steinbrücks Bonmot, findet aber die Empörung darauf «putzig», denn «Tatsache war: Hier betätigten sich die Banken eines Landes unter höflicher Duldung ihrer Regierung als Helfershelfer ausländischer Plünderer».
Jahrelang hätten deutsche Politiker «diplomatisch korrekt gebeten, gebettelt und gefleht», dass die Schweiz das Gebaren der Geldhäuser unterbinde. Nichts sei geschehen. «Nun plötzlich, keine 30 Monate nach Steinbrücks öffentlicher Attacke, liegt ein unterschriftsreifer Vertrag auf dem Tisch.»
Die Süddeutsche geht auch auf die deutsche Opposition ein, die diesen Deal als «Ablasshandel» und «Ohrfeige für alle steuerehrlichen Bürger» bezeichne. Ob es klug sei, mit dem Inkrafttreten des Vertrags noch 16 Monate zu warten? «Wer will, hat damit mehr als genug Zeit, ein neues Versteck für sein Geld zu suchen.»
Drogenhändler und schwäbischer Handwerker
Für den Deal allerdings sprächen die Beilegung eines belastenden Konflikts, eine verlässliche Regelung für die Zukunft und der Umstand, dass «Deutschland mit Steuernachzahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe rechnen kann – eine Summe, die keine Strafverfolgungsbehörde je zusammenbringen würde».
Für Drogenhändler sei die Option Singapur oder Cayman-Inseln wohl weniger problematisch als für den «schwäbischen Handwerker, dem schon beim Gedanken unwohl werde», dass sein Schwarzgeld so weit entfernt liege. Ganz vermeiden, so schliesst die Süddeutsche, lasse sich Steuerflucht wohl nie, aber andere Möglichkeiten gebe es in einer Demokratie nicht.
Seit der Finanz- und Schuldenkrise muss sich die ins internationale Visier der Steuerfahnder gekommene Schweiz zusätzlich anstrengen, den Missbrauch des Bankgeheimnisses bei Steuerdelikten zu verhindern.
Die Zukunft des Finanzplatzes steht auf dem Spiel, immerhin ist er für den Wohlstand der Schweiz mit 11% Anteil am BIP und 200’000 gut qualifizierten Arbeitsplätzen der bedeutendste Wirtschaftssektor.
Der Steuerstreit hatte 2008 begonnen, als deutsche Fahnder im Streit mit Liechtenstein auch die «Eidgenössische Steuertrutzburg» ins Visier nahmen.
Im März 2009 musste die Schweiz, um von der schwarzen OECD-Steueroasen-Liste abgesetzt zu werden, die OECD-Standards übernehmen.
Im Winter 2010 verkaufte erstmals ein Informant geklaute Daten von Anlegerkonten.
Im Oktober 2010 wurde das neue Doppelbesteuerungs-Abkommen unterzeichnet, das eine Abgeltungssteuer vorsah.
Die Abgeltungssteuer ist eine Quellensteuer, die auf ausländischen Vermögen (also auf Dividenden, Zinsen, Kapitalgewinne, Vermögenswerte, etc. von Geldern auf Schweizer Banken in ausländischen Besitz) erhoben wird.
Nach deren Bezahlung ist die Steuerpflicht gegenüber dem Wohnsitzstaat grundsätzlich erfüllt. Um Umgehungen zu verhindern, soll eine erweiterte Amtshilfe vereinbart werden.
Diese Steuerlösung wurde vor allem vom St. Galler Privatbanquier Konrad Hummler vertreten, seit der Bundesrat die im Ausland nicht mehr akzeptierte Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufheben musste («Schwarze OECD-Liste»).
Mit der Abgeltungssteuer werden zwei wichtige Ansprüche befriedigt. Erstens beansprucht das Ausland Steuern auf Gelder, die in der Schweiz sind. Und zweitens will die Schweiz, dass die Privatsphäre der (ausländischen) Kundschaft respektiert wird.
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