Fahndungs-Drehscheibe SIS dreht sich
Das Schweizer Büro des europäischen Fahndungssystems SIS ist in Betrieb genommen worden. Gegenüber dem bisherigen Interpol-System haben Polizisten beim SIS direkten Bildschirm-Zugang zu gesuchten Personen und Gegenständen.
Drei Jahre sind es her, seit das Volk dem Beitritt der Schweiz zum Schengener und zum Dubliner-Abkommen zustimmte. Die Schweiz hat sich damals grundsätzlich zur Übernahme des «Schengen- und Dublin-Besitzstands» und zu seiner Weiterentwicklung verpflichtet.
Jetzt wird es konkret: Im kommenden Dezember soll die vollständige Inkraftsetzung des «Schengener Besitzstandes» erfolgen, falls der EU-Rat diesem Terminwunsch der Schweiz entspricht.
Schon vorher, nämlich am kommenden Donnerstag, wird das gemeinsame Personen- und Sachfahndungssystem der Schengen-Staaten, SIS, in allen Kantonen in Betrieb genommen.
Seit März bereits in Kraft sind die Justiz- und Asylabkommen von Schengen und Dublin zwischen der Schweiz und der EU.
Ohne ein funktionierendes SIS («Schengener Informationssystem») kann die Schweiz gar nicht in den Schengenraum eintreten. Deshalb werden im September europäische Experten kontrollieren, ob der SIS-Anschluss der Schweiz einwandfrei läuft.
Schneller als Interpol
Mit dem Betrieb des SIS können die Sicherheitskräfte der Schweiz, in erster Linie Polizei und Grenzwachtskorps, die grenzüberschreitende Kriminalität besser und schneller bekämpfen als bisher über den konventionellen Fahndungskanal von Interpol.
Dieser funktioniere schwerfälliger, so Benedikt Scherer vom Bundesamt für Polizei (fedpol), weil er dem Nutzer keinen direkten Zugang zur Datenbank ermögliche.
Auf nationaler Ebene wurde bisher das Ripol-Fahndungssystem eingesetzt. Ab Donnerstag löst jede Abfrage über Ripol eine europaweite Abfrage aus. Kommt es dabei zu einem Treffer, wenden sich die abfragenden Polizisten oder Grenzwächter für die Details an das «Sirene»-Büro beim fedpol (Sirene: Supplementary Information REquest at the National Entry).
Sirene-Büros gibt es in jedem der 25 Schengen-Staaten. In der Schweiz umfasst das entsprechende Büro beim fedpol 31 Mitarbeitende, davon 11 Polizisten.
Zwar handelt es sich beim Sirene-Büro in Bern um eine zentrale Bundesstelle, die als nationale Drehscheibe für den Austausch von Infos mit SIS dient. Das sei aber keineswegs eine Bundespolizei-ähnliche Institution: «Auch mit SIS bleiben die Zuständigkeiten die alten», so Scherer gegenüber swissinfo: «Die Kompetenzen liegen weiterhin bei den kantonalen Untersuchungs-Richtern und Polizisten – hier ändert sich nichts.»
20’000 Anfragen pro Tag
Das Gros der Anfragen entfällt zwar auf die Polizei (16’000 pro Tag), wie die SIS-Statistiken zeigen. Es gibt aber noch andere Instanzen mit Zugriff: Zollstellen, Passbüros, Strassenverkehrsämter, das Bundesamt für Migration oder diplomatische Missionen. Insgesamt ergeben sich täglich rund 20’000 Anfragen an das SIS-System.
Wird andererseits jemand oder etwas zur Fahndung ins SIS ausgeschrieben, dauert es laut fedpol von der Eingabe bis zum Erscheinen auf allen SIS-Bildschirmen nur wenige Minuten – ein Novum für die Schweiz.
Über 27 Mio. SIS-Daten
Im Juli 2008 figurierten im gesamten SIS über 27 Mio. Daten. Davon betrafen über 26 Millionen Sachfahndungen, also Feuerwaffen, Fahrzeuge, registrierte Banknoten, Identitäts- oder Blanko-Dokumente. Letztere sind noch nicht benutzte, aber echte Passformulare, die gestohlen wurden, um falsche Identitäten auszustellen.
Von den knapp einer Million Personen-Daten entfielen rund 730’000 auf Einreiseverbote in den Schengenraum, 70’000 auf gesuchte Personen, 23’000 auf Personen, die zwecks Auslieferung zu verhaften waren.
Demgegenüber hat die Schweiz bisher selbst rund 1200 Personen zur Verhaftungs-Fahndung ausgeschrieben. Das Bundesamt für Migration hat 21’000 Personen für Einreiseverbote notiert, und die Sachfahndungen belaufen sich auf 280’000.
Laut Schätzungen des fedpol dürfte es auf Grund der Schweizer SIS-Ausschreibungen im Ausland zu 3000 Treffern kommen und zu ebenso vielen weiteren Treffern im Inland auf Grund ausländischer Auschreibungen.
Wieviel Datenschutz?
Jeder Bürger hat das Recht und die Möglichkeit, nachzufragen, ob er im SIS figuriert. Entsprechende Gesuche müssen schriftlich beim fedpol eingereicht werden.
Die Datenbearbeitung werde auf europäischer Ebene von Aufsichtsorganen überwacht, so Hanspeter Thür. Als Eidgenössischer Datenschutz-Beauftragter kann er die SIS-Daten prüfen.
Probleme sieht Thür deshalb weniger im rechtlichen Bereich als im Bereich der personellen Kapazitäten: Bei den Datenschutzbehörden – in der Schweiz Kantonssache – könnte das Personal knapp werden.
swissinfo, Alexander Künzle
Bereits der Römer Vertrag von 1957, der die Europäische Gemeinschaft begründete, enthielt die Idee der Freizügigkeit von Personen und Gütern.
1958 setzten die Benelux-Länder sie erstmals um, 1984 folgten Deutschland und Frankreich.
1985 unterzeichneten diese fünf Länder das Schengener Übereinkommen, um Personenkontrollen an den Grenzen abzuschaffen.
1990 wurde mit dem «Schengener Durchführungs-Übereinkommen» SDÜ die konkrete Umsetzung geregelt.
Als technische Voraussetzung dazu gehörte das Anbinden der Länder an das Schengener Informationssystem (SIS).
Seit 2001 setzen 15 Länder das SDÜ um: statt Routinekontrollen an ihren Grenzen das polizeiliche SIS-Fahndungssystem.
Im SIS sind folgende Personen-Kategorien gespeichert:
Gesucht zwecks Auslieferung
Unerwünscht auf dem jeweiligen Territorium eines Landes
Minderjährige oder geistig gestörte Patienten (Schutz)
Gesucht als Zeuge
Schwerer Delikte Verdächtigte
Müssen überwacht oder kontrolliert werden.
Auch Gegenstände werden gespeichert.
Eine zweite Version, SIS II, ist seit 2002 in Entwicklung.
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