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Familienpolitischer Streit um die Familie

Alle politische Parteien wollen sich für die Familie einsetzen - an der Art der Unterstützung scheiden sich aber die Geister. RDB

Die Familie ist das Fundament der Gesellschaft und muss daher gestärkt werden: Alle politischen Parteien sind sich in dieser Forderung einig, nicht aber über die richtigen Mittel. Mit Blick auf die eidgenössischen Wahlen wird sogar mit Volksinitiativen gekämpft.

Bei allen Parteien der Schweiz ist die Familienpolitik Teil des Wahlprogramms. Über die politischen Grenzen hinaus herrscht prinzipielle Einigkeit, dass verschiedene Familienformen anerkannt werden müssen, dass es Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Familie und Beruf braucht, und dass die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben gewährleistet werden muss.

Doch bei der Umsetzung der Prinzipien gehen die Meinungen schnell auseinander. Links-Grüne Parteien verlangen staatliche Interventionen wie Finanzhilfen für schwache Einkommensschichten mittels Kinderzulagen sowie Betreuungsmöglichkeiten wie Kinderkrippen ausser Haus. Mitte-Rechts-Parteien fordern Steuerreduktionen, damit die Kindererziehung in der Familie stattfinden kann.

Die Christlichdemokratische Volkspartei CVP) verlangt sogar beides: mehr Engagement des Staates und eine steuerliche Entlastung der Familien. Die Positionen der Parteien sind zum Teil so weit voneinander entfernt, dass es im Parlament schwierig geworden ist, Lösungen oder Kompromisse zu finden.

Steuerentlastungen für alle Familien

Diese Pattsituation führte dazu, dass zwei Parteien Volksinitiativen lancierten, um ihre Forderungen durchzubringen. Als erste ging die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) in die Offensive.

Im Januar 2010 lancierte sie ihre «Familieninitiative», die einen «Steuerabzug für alle Familien» fordert. Familien, die ihre Kinder selbst betreuen, sollen steuerlich mindestens genauso stark entlastet werden wie Familien, die ihre Kinder fremd betreuen lassen.

Umgehend wurde Kritik an dieser Initiative laut, insbesondere weil sie von einem traditionellen Familienbild ausgeht. «Die gesellschaftliche Realität sieht heute doch ganz anders aus», hält der Fraktionschef der Sozialdemokratischen Partei (SP) Andy Tschümperlin fest.

Die Grünen-Sprecherin Corinne Dobler wird noch deutlicher: «Die SVP-Initiative ist ein Anachronismus, denn sie geht von einem erwerbstätigen Vater mit einer Ehefrau aus, die zu Hause die Kinder hütet.»

SVP-Generalsekretär Martin Baltisser weist die Kritik zurück: «Wir wollen nur die bestehende Ungleichheit beseitigen, die heute gegenüber Familien besteht, in denen die Eltern ihre Kinder selbst aufziehen.»

Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) ist eigentlich Befürworter von Steuerentlastungen, aber in diesem Fall ist sie skeptisch. «Unser Steuersystem sieht es nicht vor, einen Verdienstausfall abzusetzen», mein FDP-Sprecher Philippe Miauton.

Gegen die Heiratsstrafe

Die CVP ist dem Vorschlag der SVP hingegen nicht abgeneigt. «So wird die traditionelle Familie gefördert – das ist gar nicht schlecht», meint CVP-Kommunikationsfrau Marianne Binder. Zumal eine der beiden, von der CVP lancierten Volksinitiativen in die gleiche Richtung gehe.

Die von der CVP lancierte Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» fordert, dass Ehepaare nicht  finanziell benachteiligt werden, weder bei den Steuern noch bei den Sozialversicherungen.

Hintergrund ist die Tatsache, dass ein verheiratetes Paar mit zwei berufstätigen Partnern im Vergleich zu Unverheirateten mehr Steuern bezahlt, weil die Gehälter addiert werden. Bei der Alters- und Invalidenversicherung (AHV/IV) schneiden Verheiratete auch schlechter ab, weil die Rente für ein Ehepaar geringer ist als für unverheiratete Partner.

Die CVP-Initiative wird von der SVP unterstützt. «Es ist positiv, dass auch andere Parteien gegen die Heiratsstrafe vorgehen wollen», sagt SVP-Sekretär Martin Baltisser.

Applaus gibt es auch von Seiten der SP. «Alle Familienformen müssen gleiche Rechte haben. Es ist nicht normal, dass Verheiratete benachteiligt werden», sagt Tschümperlin. Auch bei der FDP findet man es stossend, dass ein Ehepaar mehr Steuern bezahlt als ein im Konkubinat lebendes Paar.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen

Weniger einheitlich fallen die Reaktionen zur zweiten CVP-Initiative aus. In dieser wird gefordert, dass die Kinder- und Ausbildungszulagen von den Steuern befreit werden. Durch diese Massnahme soll eine ungerechtfertigte Erhöhung des steuerbaren Einkommens verhindert werden.

Während die Grünen noch nicht Position bezogen haben, zeigen sich die Sozialdemokraten offen. «Die Initiative geht in die richtige Richtung und kann wohl von der SP unterstützt werden», meint Andy Tschümperlin.

Die SVP ist sowieso immer mit von der Partie, wenn es darum geht, weniger Steuern zu bezahlen. Anders die FDP. «Alle Bezüger von Sozialleistungen bezahlen Steuern auf erhaltene Gelder. Es erscheint uns richtig, dass diese auch von Familien bezahlt werden, die Zulagen für ihre Kinder erhalten», meint FDP-Sekretär Philippe Miauton.

Es zeigt sich: Von einer einheitlichen Position in der Familienpolitik sind die politischen Parteien noch weit entfernt. Und dies dürfte sich auch bis zu den Wahlen vom 23. Oktober kaum ändern.

In der Schweiz untersteht die Familienpolitik grundsätzlich den Kantonen sowie teilweise den Gemeinden. Die Eidgenossenschaft greift nur subsidiär ein. Daraus ergibt sich, dass es für familienpolitische Regelungen viele unterschiedliche Regelungen gibt, die sich durch die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre noch verstärkt haben.

Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) spricht von einem «ungerechten und lückenhaften System bei familienbezogenen Leistungen» und fordert «klare, landesweit gültige Lösungen».

Die Familienpolitik ist seit Jahren ein Kampfplatz für die politischen Parteien. Allerdings ist der Handlungsspielraum für das politische Handeln der Eidgenossenschaft, aus oben erwähnten Gründen, sehr eingeschränkt.

Artikel 116 der Bundesverfassung zu «Familienzulagen und Mutterschaftsversicherung» hält in Absatz 1 fest: «Der Bund berücksichtigt bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Bedürfnisse der Familie. Er kann Massnahmen zum Schutz der Familie unterstützen.»

Im Parlament ist ein Vorstoss hängig, der in diesem Zusammenhang eine Verfassungsänderung vorschlägt. Demnach soll der Bund verfassungsmässig verpflichtet werden, Massnahmen zu fördern, welche die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ermöglichen, beispielsweise durch ausserfamiliäre Betreuungsstätten für Kinder.

Dieser Vorstoss wird von der CVP sowie links-grünen Parlamentariern geteilt, während FDP und SVP dagegen Sturm laufen. Die Gegner der Vorlage sind der Meinung, dass etwa die Frage von Krippenplätzen privat gelöst werden muss oder von der öffentlichen Hand auf lokaler oder kantonaler Ebene.

Die politische Rechte bekämpft auch die Einführung von Kleinkinderzulagen. Hingegen wird gefordert, dass der Staat die Familien steuerlich entlastet.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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