Farah Rumy: Covid hat sie zur Kämpferin gemacht
Der Einzug der sozialdemokratischen Farah Rumy in den Nationalrat war eine der Überraschungen der letzten Wahlen. Offenbar war sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort – mit dem richtigen Thema. Dieses hält die Politik weiterhin auf Trab.
Wir treffen Farah Rumy auf dem Grenchenberg, von der Hochebene im Jura hat man auf knapp 1400 Höhenmetern eine spektakuläre Aussicht auf das Schweizer Mittelland. Die SP-Nationalrätin hat für das Porträt diesen Ort ausgewählt, er habe für sie als Grenchnerin einen besonderen Stellenwert.
Zudem können wir im Restaurant Untergrenchenberg einkehren, das ist bekannt für seine Crèmeschnitten – und die spielen auch in der politischen Arbeit von Farah Rumy eine Rolle.
Eine Politkarriere im Schnelldurchlauf
Die Überraschung über die Wahl in den Nationalrat letzten Oktober war nicht zuletzt bei Rumy gross: Zu diesem Zeitpunkt engagierte sie sich erst seit drei Jahren im Kantonsrat von Solothurn und im Gemeinde- und Bürgerrat in Grenchen, liess sich aber für die nationalen Wahlen aufstellen.
Das ist für Jungpolitikerinnen Teil der sogenannten Ochsentour, die man innerhalb einer Partei zu absolvieren hat: Von der lokalen, zur kantonalen und dann in die nationale Ebene – so hat in der Schweiz eine Politikkarriere zu verlaufen.
Im vergangenen Oktober zogen 56 neu gewählte Vertreterinnen und Vertreter ins nationale Parlament ein. Die Schweizerische Volkspartei, die Mitte und die Sozialdemokratische Partei haben bei den eidgenössischen Wahlen 2023 am meisten zugelegt und stellen auch die meisten Neulinge im Parlament. Die Grünen haben – als die grossen Verlierer der Wahlen – keine neuen Gesichter nach Bern schicken können.
In dieser Serie porträtiert SWI swissinfo.ch neun Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die ihre ersten Schritte in der nationalen Politik machen.
Farah Rumy hat das im Schnelldurchlauf gemacht. Die Initialzündung dafür erfolgte während der Pandemie. Deren Auswirkungen erlebte die gelernte Pflegefachfrau im Spital oder im Herzkatheterlabor, wo es häufig um Leben und Tod geht und schnelle Entscheidungen und rasches Handeln verlangt werden, hautnah mit.
Als sie am Ende einer 12-Stunden-Schicht, selbst am Ende ihrer Kräfte, eine Kollegin aufmuntern musste, die kurz vor dem physischen Kollaps stand, habe sie sich gedacht: «So nicht!»
Diesen Satz sagt Rumy im Gespräch immer wieder. «Die seit Jahren bestehende Missstände im Gesundheitswesen sind während Covid offen zutage getreten. Und ausbaden mussten es in erster Linie die Pflegenden und Ärzte.»
Das habe sie stark politisiert, sie begann sich für die Pflegeinitiative zu engagieren. Diese wurde vor der Pandemie eingereicht. Das Anliegen, die Pflegenden besser zu stellen, erhielt durch Covid-19 jedoch starken Rückenwind und wurde bei der Abstimmung mit 61% angenommen – es war das erste Mal, dass ein Volksbegehren aus Gewerkschaftskreisen angenommen wurde.
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«Zweifellos steht dieses Engagement hinter dem Wahlerfolg», sagt Rumy. Es gab aber auch andere Projekte, mit denen sie sich in Grenchen und darüber hinaus einen Namen machte: Mit einer AktionExterner Link gegen Foodwaste etwa oder der InitiativeExterner Link zu einem Briefwechsel zwischen den Generationen, der Menschen in Altersheimen während der Pandemie vor Vereinsamung bewahren sollte.
Erst nach dieser Verbands- und Freiwilligenarbeit erfolgte der Schritt in die institutionalisierte Politik. Dahinter stand die Einsicht: Das übergeordnete Ziel, die Bedingungen im Gesundheitsbereich zu verbessern, lässt sich nur auf nationaler Ebene ernsthaft gestalten.
Weshalb entschloss sie sich in die SP einzutreten? «Ich füllte einen Smartspider-Fragebogen aus, es kamen zwei Parteien in Frage, ich entschied mich für die SP.» So einfach kann das manchmal gehen in der Politik.
Von wegen einfach: Ihr Wahlkampfbudget für den Nationalrat betrug mehrere hundert Franken. Zum Vergleich: Das höchste deklarierte Budget in den Schweizer Parlamentswahlen 2023 betrug über 370’000 Franken (ein Mann aus Zürich – er wurde nicht gewählt). «Ich finde, Geld allein sollte bei der Politik nicht zentral sein. Und schon gar nicht, wenn es um die Vertretung im Parlament geht», sagt die 32-jährige.
Die Frage nach den Wurzeln
Einen schalen Beigeschmack hinterliess bei ihr die Berichterstattung über ihren Wahlsieg: «Häufig ging es primär um meine Herkunft und nicht um meinen Leistungsausweis.»
Rumy wurde in Colombo, Sri Lanka, geboren, ihr Vater fand in der Uhrenindustrie in Grenchen eine Stelle, sie kam als Sechsjährige mit ihrer Mutter nach. Dass dies oft im Zentrum stand, sei zwar verständlich, aber dennoch störend. «Ich bin Schweizerin mit Wurzeln in Sri Lanka. Punkt.»
Viele Medien sprachen von einem untypischen Profil. Man könnte es aber auch andersrum sehen: Farah Rumy kommt aus einer Kleinstadt – in Kleinstädten lebt ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung. Sie hat einen Migrationshintergrund – das haben fast 40% aller Menschen in der Schweiz.
Sie hat eine Berufslehre gemacht – das ist der häufigste Bildungsweg im Land. Insofern kann sich die Schweiz auch fragen: Warum wird Farah Rumy als untypisch wahrgenommen?
«Farah Rumy hat einen steinigen Weg hinter sich, wie viele mit Migrationsgeschichte», sagt Shulojan Suntharalingam. Er hat mit ihr bei den SP Migrant:innen Kanton SolothurnExterner Link politisiert. Diese sozialdemokratische Tochterpartei setzt sich primär für die Anliegen von Menschen mit Migrationsgeschichte ein: «Arbeitszeiten, Krankenkassenprämien, Lohnverhandlungen – das sind alles hochpolitische Dinge, die alle Menschen in diesem Land betreffen», sagt Suntharalingam.
Aber nicht alle können sich gleichermassen dafür einsetzen. Dass sie den Sprung ins nationale Parlament geschafft habe, sei auch bedeutend, weil dieses weniger divers als die Gesamtbevölkerung aufgestellt sei. Mit ihr habe man eine glaubwürdige Stimme im Bundeshaus. «Ich schätze sie als Realpolitikerin ein, die in Bern durchaus Brücken schlagen kann», sagt Suntharalingam. «Sie scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Aber sie ist auch bereit Kompromisse einzugehen.»
Politisches Neuland im Parlament
Rumy wird aber nicht nur in Bern politisieren, sie wird weiterhin als Berufsschullehrerin angehende Fachpersonen Gesundheit (FaGe) unterrichten – der pädagogische Aspekt spreche ihr zu. Und sie bleibt auch auf lokaler Ebene tätig, etwa bei der Bürgergemeinde GrenchenExterner Link.
Dort ist sie primär im Bürgerrat und für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zuständig, Rumy sitzt seit drei Jahren in der zuständigen Einbürgerungskommission. «Alles Soziale ist ihre Stärke», sagt der Präsident Eduard Sperisen. Er selbst ist in der FDP, auf der anderen Seite des politischen Spektrums, die Zusammenarbeit mit ihr verlaufe aber gut, er erlebe sie auch in den übrigen Geschäften als sehr fokussiert und motiviert.
Bei der Bürgergemeinde geht es oft um Handfestes: Es ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die einiges an Besitz verwaltet. So hat sie mehrere Liegenschaften, einen eigenen Forstbetrieb, drei grosse Berggasthöfe, vergibt Baurechte und landwirtschaftliches Pachtland, muss auch Bergstrassen instandhalten. In vielen Orten in der Schweiz gibt es noch eine solche politische Parallelstruktur, ein Überbleibsel aus dem Mittelalter.
«Bei uns geht es um Sachpolitik, da spielt das Parteibuch keine wesentliche Rolle», sagt Sperisen. Aber er sei stolz, dass eine Grenchnerin den Kanton Solothurn im Parlament vertrete. «Sie hat eine steile Karriere hingelegt, das muss man zugeben. Sie hat aber auch viel dafür getan.»
Andere Mandate hat Rumy abgegeben, der Arbeitsaufwand im Bundeshaus und als Berufsschullehrerin seien gross. Aber der Einsatz in der Bürgergemeinde bleibt ihr weiterhin wichtig. Und hier schliesst sich der Kreis der Crèmeschnitte: Eine häufige Frage des Präsidenten der Einbürgerungskommission ist, ob die Kandidierenden wissen, was die Spezialität auf dem Grenchenberg ist.
Dass in Einbürgerungsverfahren solche Fragen auftauchen, ist in der Schweiz nicht unüblich – die Kritik daran ist in den letzten Jahren gewachsen, zivilgesellschaftliche Gruppen rufen dazu auf, diese zu ändern.
Neue Materie und alte Forderungen
Was sind also Farah Rumys Ziele im Nationalrat? Als Neue erhielt sie nicht ihren Wunschsitz in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit – die Sitze werden nach dem Anciennitätsprinzip verteilt. Sie ist dafür in der Aussenpolitischen Kommission. Das bedeutet: Viel Büffeln, um sich in die komplexe Materie einzulesen.
«Das ist spannend für mich. Dazu kommt, dass ich neue Wege sehe, um mich einzubringen – bei gesundheitspolitischen Aspekten in den Verhandlungen der Schweiz mit der EU und dem Thema der Arbeitsmigration, das in der Pflege wichtig ist», sagt Rumy.
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Sie sieht auch sonst viel zu tun: Die Schweiz hat eines der teuersten Gesundheitswesen. In den letzten Jahren sind die Krankenkassenprämien stetig gestiegen, was vor allem für einkommensschwache Familien eine grosse Belastung darstellt.
«Die Kaufkraft bleibt weiterhin ein wichtiges Thema, und in der Medizin gibt es viel Optimierungspotenzial «, sagt Rumy: Mittels Digitalisierung, Abbau von Bürokratie, kostendeckenden Tarifen. Und auch einer Einheitskrankenkasse, eine alte linke Forderung, die jedoch bisher kaum Chancen hat – hier erste Pflöcke einzuschlagen, sei ihr wichtig. Und natürlich: «Die komplette Umsetzung der Pflegeinitiative, dafür bin ich gewählt worden.»
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