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FDP will neuen Generationenvertrag schaffen

Fulvio Pelli, FDP-Präsident, im Gespräch mit swissinfo. swissinfo.ch

Die Wirtschaft und die Sozialversicherungen sind zwei der offenen Kampfzonen für Fulvio Pelli, den neuen Präsidenten der Freisinnig-Demokratischen Partei.

Schafft es der Tessiner Jurist, die Partei der Schweizer Staatsgründer aus der Krise zu bringen? Im swissinfo-Interview nimmt Pelli Stellung.

swissinfo: Niemand hatte eine derart klare Wahl erwartet. Warum haben sich die Delegierten so deutlich für Sie entschieden?

Fulvio Pelli: Mein Eindruck ist, dass in den letzten Wochen die Überzeugung gewachsen ist, dass ich für diese Partei eine Chance bin. Etwas anderes als die Präsidenten, die in den vergangenen Jahren gewählt wurden.

Ich komme aus einer anderen Realität. Und vielleicht habe ich neue Ideen, die der Partei etwas bringen können. Ich glaube, es war ein politischer Entscheid.

swissinfo: Die FDP verliert seit einigen Jahren Wähleranteile. In den jüngsten kantonalen Wahlen hat sich dieser Trend verstärkt. Was hat die Partei falsch gemacht?

F.P.: Meine Überzeugung ist, dass wenn wir verlieren, es schon eine Begründung geben muss. Wir müssen in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, sonst hätten wir nicht Wählerstimmen verloren.

Ich glaube, die Unzufriedenheit, die heute in der Schweiz herrscht, ist sicher ein Grund dafür, dass die Parteien, welche die Verantwortung in der Vergangenheit innehatten, etwas unter Druck gekommen sind.

Im Bild der Schweizer Politik sind die Freisinnigen und die Christdemokraten die zwei einzigen Regierungsparteien. Und wenn die Regierung Fehler macht, ist das normalerweise unsere Schuld.

swissinfo: Sie haben angekündigt, auch mit den anderen Parteien zusammenarbeiten zu wollen. Bei welchen Themen wollen Sie in der gegenwärtig zwischen links und rechts polarisierten Polit-Landschaft kooperieren?

F.P.: Die dringendsten Probleme der Schweiz haben mit der stagnierenden Wirtschaft zu tun. Um einen Ausweg zu finden, müssen wir mit den beiden anderen bürgerlichen Parteien zusammenarbeiten. Die Linke hat in diesen Fragen zu unterschiedliche Positionen.

In gesellschaftlichen Themen zeigt sich die Schweizerische Volkspartei derart verschlossen, dass eine Diskussion dort unmöglich ist. Andere Parteien sind dialogfreudiger.

swissinfo: Während Ihrer Kampagne für die Präsidentschaft haben Sie betont, wie die FDP im Tessin die populistische «Lega dei Ticinesi» bekämpft hat. Was ist für Sie der Schlüssel gegen den Populismus?

F.P.: Der Populismus entsteht, weil wir nicht genügend Vertrauen in die Menschen haben. Es gelingt uns nicht zu sagen: «Sicher, die Zukunft wird schwierig, aber wir schaffen es, bessere Lösungen zu finden als in der Vergangenheit.»

In der Schweiz kennen wir das «Sorgenbarometer». Doch in einem erfolgreichen Land müsste man die Meinung des Volks eigentlich «Barometer der Möglichkeiten» oder «Hoffnungs-Barometer» nennen.

swissinfo: Wohin wollen Sie die Partei über den Rest der Legislatur bis zu den Wahlen 2007 führen?

F.P.: Ich glaube, wenn man Wähleranteile verliert, kann man sich nicht der Illusion hingeben, ganz schnell eine andere Situation zu erreichen. Jetzt müssen wir gründlich an der Haltung der Partei arbeiten.

Die Partei muss wieder die Werte entdecken, die in der Vergangenheit ihre Grösse ausgemacht haben. Diese Werte sind das Vertrauen in die Menschen, in die Einzelinitiative, die Eigen- und Selbstverantwortung. Entscheide, die wir in der Zukunft treffen werden, müssen von diesen Werten abhängen.

Und wenn uns das gelingt – in den letzten Jahren ist es nicht gut gelungen – haben wir noch eine Chance. Denn auf diese Werte wurden die Erfolge der Schweiz gebaut. Und das kann auch für die Zukunft der Fall sein.

swissinfo: Mit welchen konkreten Themen will sich die FDP profilieren?

F.P.: Tief in der Natur unserer Partei verwurzelt sind die wirtschaftliche Entwicklung und das Funktionieren des Bundesstaates. Derzeit wollen alle Parteien die Bundesfinanzen ins Lot bringen und den Aufschwung ankurbeln. Doch wenn es um konkrete Massnahmen geht, herrscht ein Durcheinander.

Schliesslich müssen wir uns um die Probleme in den Sozialversicherungen kümmern. Heute sind die Alten grösstenteils nicht mehr von der Armut bedroht, vielmehr sind die Jungen in Schwierigkeiten, oftmals die Alleinerziehenden.

Wir müssen einen angepassten Generationenvertrag schaffen, der diese neuen Realitäten gebührend berücksichtigt.

swissinfo: Die Asylpolitik spaltet die Schweiz. Welche Linie verfolgt Ihre Partei in diesem Bereich?

F.P.: Hier müssen wir zugeben, dass wir ein wenig die Kontrolle verloren haben. Ich verstehe den Wunsch der Bevölkerung nach einer harten Linie, doch damit erreichen wir vermutlich nicht die gewünschten Resultate.

Ausserdem gibt es rechtsstaatliche Grundsätze, die nicht überschritten werden dürfen. In diesem Bereich wird der Rahmen, in dem wir uns bewegen können, von den europäischen Konventionen gesetzt.

swissinfo: Womit wir gleich bei einem weiteren kontroversen Thema sind: Die Integration der Schweiz in Europa.

F.P.: Ich bin ein Pro-Europäer. In der Vergangenheit hat die Schweiz Fehler gemacht: Wir hätten zusammen mit Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich den Weg in Richtung Europa nehmen sollen. Stattdessen haben wir einen freien Handelsverkehr mit Schweden und Grossbritannien begonnen.

Heute befinden wir uns in einer Situation, in der das Land Mühe hat, die Integration zu akzeptieren, wenn sie über die «normalen» Schritte hinausgeht. Ich denke aber, dass diese Schritte richtig sind.

Die Entwicklung Europas und die Entfaltung der Debatte innerhalb der Schweiz werden das zukünftige Tempo der Integration bestimmen.

swissinfo: An dieser Debatte werden sicherlich auch die Auslandschweizer teilnehmen, die zu 60% in der EU leben. Welches Gewicht hat die Fünfte Schweiz?

F.P.: Viele Personen sind in den Ländern, in denen sie leben, bestens integriert, bleiben jedoch dem Heimatland eng verbunden.

Sie sind eine nicht zu unterschätzende Kraft im Land, und auch die besten Botschafter, die wir in der Welt haben.

swissinfo-Interview: Mariano Masserini
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

Der 54-jährige Tessiner Nationalrat Fulvio Pelli ist seit dem 5. März Parteipräsident der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP). Er hat die Politik im Blut: Sein Vater war während 16 Jahren Stadtpräsident von Lugano, seine Grossmutter war Tessiner Grossrätin.

Pelli folgt auf Rolf Schweiger, der im November 2004 wegen einem Burnout-Syndrom zurückgetreten war. Seit dem Rücktritt von Franz Steinegger im Jahr 2001 ist Pelli bereits der vierte FDP-Präsident.

Im Interview gibt Pelli zu, dass Fehler der Partei zu einem Wählerschwund geführt haben. Mit der Besinnung auf die traditionellen Parteiwerte wie Eigeninitiative und Selbstverantwortung will er längerfristig die Wende schaffen.

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