Freie Schulwahl als Thema zum Schulbeginn
In diesen Tagen packen viele Schüler wieder ihre Mappen - das neue Schuljahr beginnt. Gleichzeitig wird auf politischer Ebene die Debatte um freie Schulwahl und Finanzierung lanciert. Dazu sind in einigen Kantonen Initiativen hängig.
Zum diesjährigen Schulbeginn nach den Sommerferien zeichnen sich in der Schweiz ganz besonders hitzige Debatten ab. Diskutiert werden einerseits das Projekt Harmos, das die Volksschule gesamtschweizerisch harmonisieren soll, und andererseits um die freie Schulwahl.
Nähe zum Wohnort
Zur Debatte steht ein Projekt, das die freie Schulwahl verlangt. Das Projekt würde das traditionelle Prinzip der Einschulung der Kinder am Wohnort aufbrechen. Bisher wurden die Kinder in die nächstgelegene Volksschule eingeteilt. Finanziert wird die Volksschule vom Staat.
Wollen die Eltern ihre Kinder nicht in die Volksschule schicken, können sie sie in Privatschulen unterrichten lassen. Für diese Ausbildungskosten müssen die Eltern aber bis heute selber aufkommen.
Die Befürworter des Projekts – allen voran der Verein «Elternlobby» – bemängeln, dass die Eltern von Privatschul-Kindern im geltenden System zweimal zur Kasse gebeten würden. In ihren Augen, sollte sich der Staat aus Gründen der Solidarität auch an den Kosten der Privatschulen beteiligen.
Auszahlung nur über die Schüler
Die «Elternlobby» kritisiert auch, dass die Lehrkräfte an der Volksschule nicht unter ausreichendem Leistungsdruck stünden.
Deshalb fordert sie, dass der Staat seine Subventionen nicht mehr der Schule direkt, sondern als Pro-Kopf-Pauschale pro Kind den Eltern auszahlt, und diese dann die für ihr Kind geeignete Schule selber wählen können.
Mehr Konkurrenz, bessere Schulen?
Je besser der Leistungsausweis einer Schule wäre, umso mehr Kinder könnte sie unterrichten und umso mehr Ausbildungsgeld stünde ihr zur Verfügung, argumentiert der Verein.
In fast einem Dutzend Kantonen steht die «Elternlobby» hinter politischen Initiativen zur Einführung der freien Schulwahl. Sie zählt rund 1500 Mitglieder, vor allem in der Deutschschweiz, wo private Ausbildungsstätten wie die Steiner- oder Montessori-Schulen häufiger sind als in der Westschweiz.
Erster Test in Baselland
Ihren ersten Test wird die Initiative im Kanton Baselland im September zu bestehen haben. Die Stimmbürger werden darüber entscheiden, ob die Behörden rund 15’000 Franken pro Schulkind bezahlen sollen, und zwar auch für Kinder, die in Privatschulen gehen. Der Betrag entspricht den Kosten pro Kind der öffentlichen Schule.
«Wir möchten den Eltern eine Schul-Auswahl ermöglichen, einerseits unter den verschiedenen staatlichen Schulen und anderseits zwischen den staatlichen und privaten Schulen», sagt Susanne Bergius, Vizepräsidentin der «Elternlobby». «Vorausgesetzt, die privaten Schulen öffnen sich für alle, ohne Diskriminierung».
Den Beitrag sollen nur Schulen erhalten, die nicht profitorientiert sind, erklärt Bergius. Credo sei sowohl die pädagogische Vielfalt als auch das Solidaritätsprinzip.
Heute gehen nur 5% aller Schulkinder in private Schulen. Dies entspricht ungefähr 80’000 Kindern. Doch wachse die Nachfrage, sagt der Verband Schweizerischer Privatschulen (VSP).
VSP-Generalsekretär Markus Fischer begrüsst die Initiative für eine freie Schulwahl. Ein derartiges System würde den Wettbewerb stimulieren, also die Unterrichtsqualität heben.
Zunahme der Privatschulen: Politischer Zündstoff
Solche Denkspiele sorgen auf politischer Ebene für Zündstoff. Im politischen Zentrum liess die Christlich-demokratische Volkspartei (CVP) kürzlich verlauten, sie wolle weiterhin ein starkes öffentliches Schulwesen.
Weiter rechts im Politspektrum spricht die Freisinnig-demokratische Partei (FDP) von der Notwendigkeit «klarer Spielregeln und Bedingungen» bei der Subventionierung der Privatschulen.
In der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) agieren ohnehin zahlreiche Kritiker der Volksschule. Sie steht bereits mit dem Vereinheitlichungs-Projekt «Harmos» auf Kriegsfuss. Die Frage der freien Schulwahl wird sie an einem ausserordentlichen Parteikongress behandeln.
Die Sozialdemokraten sind kategorisch gegen jede freie Schulwahl. Dies käme in ihren Augen einer versteckten Subventionierung der Privatschulen gleich, auf Kosten der öffentlichen Schulen.
Freie Schulwahl: Mehr Chancengleichheit oder Ghetto?
«Wir sind für einen optimalen Ausgleich zwischen öffentlich und privat», sagt der Präsident der Vereinigung der Lehrerinnen und Lehrer der Romandie, Georges Pasquier. «Doch die freie Schulwahl zieht höhere Kosten nach sich, wie verschiedene Studien nachgewiesen haben.»
Die öffentliche Schule spielt auch eine wichtige Integrationsrolle, sagt Pasquier: «Um aus einem Schüler einen mündigen Bürger zu machen, muss die Kindheit und Jugend genutzt werden».
«In diesem Zeitraum kann man alle Kinder untereinander mischen, unabhängig von der sozialen und nationalen Herkunft. Die freie Schulwahl hingegen führt unweigerlich zu Ghettos.»
Dem widerspricht die «Elternlobby»: «Heute kann nur eine gutsituierte Familie ihre Kinder aus der öffentlichen Volksschule herausnehmen. Weshalb sollten die Eltern ihre Kinder in Schulen belassen, die nicht funktionieren?», fragt Susanne Bergius zurück.
«Und weshalb sollen nur die Kinder von Schlechtverdienenden in den öffentlichen Schulen bleiben?» Für Bergius bedroht eine freie Schulwahl die öffentlichen Schulen in keiner Weise.
«In Ländern, wo es die freie Schulwahl bereits gibt, entscheiden sich auch weiterhin 80 bis 95% der Eltern für die am nächsten gelegene Schule. Solange die staatlichen Schulen gut sind, bleiben die Schüler auch.»
Bisher hat diese Idee die Schweizer jedoch nie sehr begeistert. 1983 und 2001 wurden in Bern und im Tessin kantonale Initiativen verworfen, die eine staatliche Beihilfe an jene Eltern vorsah, die ihre KInder an Privatschulen schickte.
swissinfo, Carole Wälti
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)
Die Volksschule beruht auf einem Prinzip, das in der Verfassung vorgesehen ist.
Die Schweiz kennt auf Bundesebene kein Erziehungsministerium oder -departement. Deshalb ist das Erziehungswesen in der Hand der Kantone.
Die interkantonale Koordination wird von der Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK wahrgenommen.
Kantone und Gemeinden finanzieren mehr als 85% aller Ausgaben in diesem Erziehungsbereich. Das entspricht mehr als einen Viertel ihrer öffentlichen Ausgaben.
95% der Schülerinnen und Schüler beenden ihre obligatorische Volksschule in den öffentlichen Schulen ihrer Wohnsitze.
5% der Schüler besuchen eine Privatschule.
Das neue Schuljahr beginnt in der Schweiz zwischen dem 11. August und dem 1. September.
In den meisten Kantonen hat die Schule bereits begonnen.
Die letzten, die neu eingeschult werden, sind die Schüler im Tessin. Sie drücken die Schulbank erst ab dem 1. September.
Dieser gestaffelte Schulbeginn wird auch dann fortbestehen, wenn das Vereinheitlichungssystem Harmos in Kraft gesetzt würde.
Harmos ist ein interkantonales Konkordat, das versucht, die Studienpläne landesweit zu harmonisieren.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) stemmt sich gegen diese Harmonisierung.
Am 28. September werden die Stimmbürger des Kantons Luzern als erste darüber befinden. Es folgen der Thurgau, Graubünden, St. Gallen und Zürich.
Das Waadtland, der Jura, Schaffhausen und Glarus haben ihre Zusage zu Harmos bereits gegeben.
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