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Friedensmission: Ein «gefährlicher Virus»

Jvan Ricciardella, mit Afghanen in Kunduz. (Bild: Swissint) Swissint

Der 29. Mai ist der internationale Tag der "Peacekeepers". Die UNO widmet diesen Tag jenen, die in Konfliktzonen darauf achten, dass Frieden eingehalten wird.

Unter den «Friedens-Truppen» befinden sich auch einige hundert Schweizer, die in rund zehn Ländern aktiv sind.

«Etwas lässt sich immer ausrichten», gibt sich Jvan Ricciardella überzeugt. Er ist gerade aus Afghanistan zurückgekehrt, wo er während einiger Monate als Verbindungsoffizier diente.

Theorie und Praxis

Hauptmann in der Schweizer Armee, hat Ricciardella bereits weitere Missionen mit längeren Aufenthalten im Kaukasus und im Balkan hinter sich.

«Einerseits wollte ich das in Praxis umsetzen, was ich in der Theorie in der Schweiz gelernt habe», sagt Ricciardella gegenüber swissinfo. «Und andererseits wollte ich mich für ein Anliegen wie den Frieden engagieren.»

Auch für den Freiwilligen aus der Schweiz scheint klar zu sein, dass Länder wie Afghanistan noch weit entfernt vom Frieden stehen. Andererseits fühlte er überall im Land die Unterstützung der zivilen Bevölkerung.

«Nach so vielen Jahren Krieg und Entbehrung zeigt der Grossteil der Bevölkerung ihre Dankbarkeit. Die UNO-Friedenstruppen werden als jemand angesehen, der hilft, die Lebensumstände zu verbessern, der etwas mehr Stabilität und Sicherheit bringt.»

Wie Jvan Ricciardella verreisen jährlich noch einige weitere hundert Schweizer Frauen und Männer als Freiwillige für Friedensmissionen nach Afrika und Asien, aber auch nach Europa.

Unter realen Bedingungen

Was bringt diese Leute dazu, der helvetischen Ruhe zu entfliehen, um mit Situationen konfrontiert zu werden, die fast immer schwierig und oft dazu noch gefährlich sind?

Bisher haben über 1900 Blauhelme und –mützen ihr Leben verloren, im Dienst für den Frieden. Unter ihnen auch drei Schweizer.

«Diesem Wunsch liegt meist der Drang zugrunde, auch im Militär etwas nützliches zu tun», erklärt Adrian Baumgartner gegenüber swissinfo. Der Kommunikationsverantwortliche von Swissint, dem Kompetenzzentrum für friedensfördernde Auslandeinsätze der Schweizer Armee, meint: «Nach mehreren Jahren Instruktionen möchten viele das Gelernte für einmal an Ort unter realen Bedingungen einsetzen.»

«Zahlreiche Freiwillige sind darüber hinaus interessiert, andere Kulturen kennen zu lernen, vielleicht sogar um eigene Vorurteile gegenüber anderen Völkern abzubauen.» Baumgartner weist auf die Balkanvölker hin, denen gegenüber die Schweizer oft besonders voreingenommen seien.

Interesse auch konjunkturbezogen

Obschon die Löhne der Blaumützen nicht besonders attraktiv sind, spielen doch auch wirtschaftliche Aspekte mit, wann und ob Schweizer Soldaten für Auslandaufenthalte kandidieren.

«Die Anzahl der Kandidaturen für Auslandeinsätze reflektiert die jeweilige Situation der Wirtschaft in der Schweiz», so Baumgartner. «In schlechten Zeiten sind es mehr als in guten.»

So kommt es nicht von ungefähr, dass die Stagnation der letzten beiden Jahre in der Schweiz die Zahl der Kandidaturen von neuem erhöht hat. Während der letzten Ausschreibung gab es 900 Bewerbungen für die 220 ausgeschriebenen Posten.

Doch nicht alle erfüllen die Auflagen für den Job. Es braucht nicht nur eine robuste Gesundheit und sprachliche Kenntnisse, sondern auch gewisse Qualitäten psychologischer Art. So wird die Bereitschaft zur Teamarbeit vorausgesetzt, ebenso Stress-Resistenz und eine gewisse mentale Grundeinstellung, um Unsicherheiten aushalten zu können.

Vom Virus angesteckt

Obschon solche Auslandaufenthalte oft eine harte körperliche und psychische Probe darstellen, kandidieren zahlreiche schweizerischen Blaumützen für weitere Einsätze.

«Für viele ist es wie ein Virus. Wer einmal angesteckt wurde respektive die Erfahrung gemacht hat, bleibt meist für immer angesteckt», fasst Baumgartner zusammen.

«Man lebt in einer anderen Umgebung, man erfährt andere Wirklichkeiten, man lernt, einer Ordnung und einem Lebensrhythmus zu folgen, der anders als der schweizerische ist.»

Auch der Kontakt mit Leuten aus anderen Kulturen scheinen es den schweizerischen Blaumützen angetan zu haben.

Mit Chinesen oder Pakistanern im Team

Wer zum Beispiel über Monate hinweg im Team mit schwierigen Situationen fertig werden muss, zusammen mit chinesischen, australischen oder pakistanischen Kollegen, dem bleiben die Eindrücke für immer haften, sagt Baumgartner.

«Es mag ja etwas pathetisch tönen, aber aus solchen Situationen heraus ergeben sich manchmal Freundschaften fürs ganze Leben.» Baumgartner selbst pflegt intensiv Kontakte aus seiner Missionszeit in Bosnien-Herzegovina.

Schwierigkeiten der Reintegration

Die andere Seite des Blattes ist dann, nach Jahren im Ausland, die Wiedereingliederung in den helvetischen Alltag. Nicht wenige Blaumützen haben es schwer, sich wieder an den hiesigen Lebensstil anzupassen.

«In unsere Verantwortung fällt auch, darauf Acht zu geben, dass die Freiwilligen nicht ständig auf Friedensmissionen im Ausland weilen. Manchmal müssen wir sie beinahe zurückhalten, um zu verhindern, dass sie früher oder später in der Schweiz selber im sozialen Sicherungsnetz hängen bleiben», sagt Baumgartner.

«Generell kehrt man mit einer anderen Einstellung zurück», sagt Jvan Ricciardella. «Heute ist mir klar, dass ich die üblichen Diskussionen oder die täglichen Streitereien nicht mehr derart wichtig nehmen muss. Oft sage ich mir, dass sind doch gar keine Probleme. Die wahren Probleme liegen anderswo.»

swissinfo, Armando Mombelli
(Aus dem Italienischen von Alexander Künzle)

Einige hundert Schweizerinnen und Schweizer werden jährlich für Friedensmissionen der UNO nach Afrika, Asien und Europa entsandt.

Weltweit haben bisher mehr als 1900 Blauhelme und -mützen mit ihrem Leben für die Friedensmissionen bezahlt. Darunter auch drei Schweizer.

Bei der letzten Kandidatur für 220 Plätze meldeten sich 900 Interessierte.

Je nach Konjunkturlage melden sich mehr oder weniger Kandidaten. Die letzten zwei Jahre waren es wieder mehr.

Viele «Peacekeepers» melden sich nach einem Auslandaufenthalt sofort wieder für den nächsten.

Nicht wenige Angehörige der Friedens-Truppen haben nach der Rückkehr in die Heimat Schwierigkeiten mit ihrer Wiedereingliederung.

1948 wurde die erste UNO-Friedensmission durchgeführt, mit Militärbeobachtern in Palästina.

1953 macht die Schweiz erstmals bei einer Friedensmission der UNO mit: 93 Armeeangehörige wurden nach Korea entsandt, um den Waffenstillstand zu überwachen.

Ab 1989 stellte die Schweizer Armee in verschiedenen anderen Ländern militärische Beobachter, Überwacher, Minen-Entschärfer und medizinisches Personal zur Verfügung.

1994 lehnte das Schweizer Volk den Vorschlag ab, Schweizer auch als Blauhelme zu entsenden.

2001 haben die Stimmenden jedoch einem Vorschlag zugestimmt, wonach Schweizer Blaumützen im Ausland bewaffnet werden dürfen.

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