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Fünfzig Jahre Schweizer Vereine in Frankreich

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50 Kerzen brennen auf der Geburtstagstorte der Union der Schweizer Vereine in Frankreich (UASF). Der Kongress 2008 findet an diesem Wochenende in Tours statt. Eine Begegnung mit Präsident Serge Lemeslif und Vizepräsident Jean-Michel Begey.

Die Präsenz der Auslandschweizer in Frankreich hat eine lange Geschichte, einige Schweizer Vereine sind 200-jährig, eine Dachorganisation gibt es jedoch erst seit 1958.

swissinfo: Fünfzig Jahre sind keine lange Zeit, wenn man an die globale Geschichte der Schweizer Auswanderer denkt. Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) wurde ja bereits 1916 durch die Neue Helvetische Gesellschaft gegründet…

Serge Lemeslif: Es ist richtig, dass viele Schweizer ausgewandert sich und das schon seit langer Zeit. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts machten die Auswanderer 15% der Schweizer Bevölkerung aus, gegenüber aktuell rund 10%.

In Frankreich gab es zwei grosse Einwanderungswellen; die erste nach dem Krieg von 1914-1918, als die Schweizer Emigranten mithalfen, die französische Industrie wieder aufzubauen und die zweite nach dem zweiten Weltkrieg.

Sie liessen sich vor allem im Norden Frankreichs nieder und arbeiteten in der Textil- und Textilmaschinenindustrie. Ausgewandert wurde hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen, und die Emigrierten hatten ein Bedürfnis, sich in Vereinen zusammenzuschliessen, um ihre Wurzeln nicht zu vergessen.

Der Grundstein für den Zusammenschluss wurde am 36. Kongress der ASO 1958 in Baden gelegt. Der Schweizer Botschafter in Frankreich, M. Micheli, liess sich von Beispielen aus Italien und Deutschland inspirieren und lud verschiedene Vertreter der Emigrierten aus Frankreich ein.

Einige Monate später, 1959, wurde in der Abbaye de Royaumont die «Union der Schweizer in Frankreich» gegründet, die später zur «Union der Schweizer Vereine in Frankreich (UASF) » wurde.

swissinfo: Sie stammen ursprünglich aus der Bretagne, Sie arbeiten als Architekt in Paris… und Sie setzen sich für die Frankreich-Schweizer ein. Warum dies?

S. L.: Ich bin eine ‹falscher› Schweizer, ich wurde es durch meine Heirat. Vor 43 Jahren habe ich eine Appenzellerin geheiratet, die aus einer sehr grossen Familie stammt. Mein bretonischer Charakter hat sich mit dieser etwas rauen, aber authentischen Kultur sehr gut vertragen. Unsere Tochter hat sich im Appenzellerland niedergelassen, meine Enkel sind Appenzeller, und so komme ich auch oft dorthin.

Mein Engagement für die Frankreich-Schweizer ist aus Zufall entstanden. Mitglieder von Visarte France, dem Berufsverband für Schweizer Künstler in Frankreich mit Sitz in Paris, ermunterten meine Frau, die Malerin ist, sich als Präsidentin zu bewerben. Sie nahm an, unter der Bedingung, dass ich ihr dabei helfen würde und in Folge diverser Umstände war ich plötzlich Präsident eines Verbandes, ohne überhaupt Mitglied zu sein!

Ich habe alles unternommen, damit dem 1. August in Paris mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, ich habe mich im Delegiertenrat der ASO engagiert … und ich wurde 2002 zum Präsidenten der UASF gewählt.

swissinfo: Und Sie, Jean-Michel Begey, Vizepräsident der’UASF seit 2006, wurden Sie auch durch Heirat zum Schweizer?

Jean-Michel Begey: Das ist richtig, doch mein Vater kam aus der Grenzregion und meine Familie hatte immer schon Verbindungen zur Schweiz. Zudem ist meine Frau, ursprünglich aus Zürich stammend, eine Auslandschweizerin.

Ihre Grosseltern waren beide im Konsulat in Bordeaux tätig. Erinnerungen an die Geschichte dieses Konsulats tauchen auf, das leider bald seine Tore schliessen wird…

swissinfo: Die UASF vertritt rund ein Viertel der Auslandschweizer. Ist sie somit das Schwergewicht der ASO?

J.-M. B.: Ja, bei uns sind zwischen 85 und 90 aktive Vereine zusammengeschlossen, auch wenn einige ein bisschen ein Schattendasein fristen. Ich konnte feststellen, dass eine Erneuerung stattgefunden hat und die Beteiligung am Vereinsleben gewissen Zyklen unterworfen ist, was immer man davon halten mag.

Dokumente belegen, dass sich bereits 1959 Leute darüber beklagten, dass in den Vereinen nur ältere Mitglieder dabei wären. Im Verein Helvetische Gesellschaft von Bordeaux, der eben sein 200-jähriges Bestehen gefeiert hat, waren 30 Familien als Mitglieder eingetragen, es hat also sehr viele Schweizer in dieser protestantischen Gegend.

Doch positive Impulse erhält man nur, wenn man direkt auf die Leute zugeht! Wir versuchen, mit neu zugezogenen Familien eine Verbindung aufzubauen, wir organisieren Veranstaltungen für jedes Alter und wir machen immer mehr Fortschritte.

Mittlerweile sind bereits 120 Familien in der Gironde zahlende Mitglieder und es gibt auch im Südosten Vereine, so in Agen, in Bergerac und in Paux. Ich bin sehr zuversichtlich, denn je weiter man sich von der Schweiz entfernt, desto lebendiger wird das Vereinsleben.

swissinfo: Was hat sich in ihrer Tätigkeit in den letzten Jahren am meisten verändert?

J.-M. B.: Wir haben eine Website eingerichtet, damit können wir die Informationen besser verbreiten und die Kontakte mit unseren Mitgliedern enger pflegen (es gibt natürlich auch einen Link auf swissinfo!), und wir geben eine kleine Zeitung heraus, «Le trait d’union».

Als Informatiker versuche ich durch das Internet einen Beitrag zur Verbesserung der Führung der Vereine und der Kommunikation zu leisten, ohne aber den Postweg zu ignorieren. Die neuen Möglichkeiten sind eine grosse Hilfe und sogar die älteren Leute benutzen das Internet.

swissinfo: Und was hat sich für Sie geändert, M. Lemeslif?

Serge Lemeslif: Wir erleben eine dritte Auswanderungswelle von Schweizern, denen die Schweiz zu klein geworden ist. Sie treten zwar nicht unbedingt unseren Vereinen bei, doch wir begegnen ihnen trotzdem, weil wir sie zu unseren Veranstaltungen einladen.

Es ist uns beispielsweise gelungen, aus der 1. August-Feier in Paris ein regelrechtes Event zu machen.

Interview swissinfo, Isabelle Eichenberger
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

Einer von zehn Schweizern lebt im Ausland, das sind mehr als 650’000 Personnen, davon leben 176’723 in Frankreich (146’713 sind bi-national).

Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) wurde 1916 von der Neuen Helvetischen Gesellschaft gegründet, hat ihren Sitz in Bern und vertritt mehr als 750 Schweizer Vereinigungen und Institutionen im Ausland.

Die Union der Schweizer Vereine in Frankreich wurde 1958 gegründet und zählt heute zwischen 85 und 90 Organisationen.

Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Vereins «Amicale Helvétique Tourangelle (AHT) findet der 50. Kongress der UASF vom 25. bis zum 28. April 2008 in Tours statt.

Die Touraine mit dem ruhigen Loire-Tal und seinen majestätischen Schlössern ist Weltkulturberbe der UNESCO.

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