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Für einen Konsens braucht es alle Sieben

Bundespräsident Leuenberger will sich 2006 für ein politisches Engagement aller Kreise einsetzen. swissinfo.ch

Die Zusammenarbeit mit allen Kräften im Land, insbesondere der Jugend, liegen Moritz Leuenberger in seinem Präsidialjahr besonders am Herzen.

Er sei froh, dass alle Regierungsmitglieder zur so genannten Kollegialität stünden, sagt der Bundespräsident 06 im Gespräch mit swissinfo.

swissinfo: Freuen Sie sich auf das Präsidialjahr – trotz des Störmanövers der SVP bei Ihrer Wahl?

Moritz Leuenberger: Umso mehr. Ich bin in dem Fall nicht durch ein billiges Ritual abgesegnet, sondern in einer politischen Kampfwahl mit sehr viel Stimmen gewählt worden.

swissinfo: Sie wollen sich von Jugendlichen beraten lassen, damit diese sich in der Politik engagieren. Was ist geplant?

M.L.: Beispielsweise erarbeiten wir die Energieperspektive. Dabei geht es um die Gestaltung der Energie in unserem Land in den Jahren 2020, 2030. Ich habe Jugendliche eingeladen, die sich mit diesem Problem beschäftigen.

Zudem lasse ich die Foto des Gesamtbundesrates von einer Klasse von Berufsschülern und nicht durch Bundeshausfotografen machen.

swissinfo: Welche Reisen sind für 2006 geplant, und welche Schweiz wollen Sie dem Ausland zeigen?

M.L.: Wichtig ist mir ein Besuch in Afrika. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass wir unsere Solidarität mit wirtschaftlich weniger begüterten Regionen der Schweiz auch weltweit für eine Notwendigkeit halten.

swissinfo: In letzter Zeit hört und liest man viel über Zänkereien und unkollegiales Verhalten im Bundesrat. Bundesrat Blocher spricht jedoch von einem sehr guten Verhältnis innerhalb der Regierung. Wie stehts um den Bundesrat?

M.L.: Einigermassen tröstlich ist, dass sämtliche Mitglieder des Bundesrates sagen, sie wollten ein gutes Einvernehmen und stünden zur so genannten Kollegialität.

Es ist nicht leicht, sich in einem Gremium, in dem Leute verschiedener politischer Herkunft und verschiedener politischer Überzeugung sitzen, zu einem Konsens durchzuringen. Es ist klar, dass heftig diskutiert wird, das ist auch unsere Aufgabe.

Wichtig ist, dass wir das in einem gesitteten, demokratischen Tonfall tun und nach den einmal gefällten Beschlüssen diese dann auch gemeinsam vertreten.

swissinfo: Von Sittenzerfall kann keine Rede sein?

M.L.: Die Sitten ändern sich, das kann man schon sagen. Wenn Sie aber in der Geschichte über Jahrtausende zurückblicken, sind stets die Sitten zerfallen, und trotzdem funktioniert die Welt noch.

swissinfo: Als Bundespräsident sind Sie auch eine Art Moderator in diesem Gremium. Wie wollen Sie die Stimmung im Bundesrat wieder auf die Reihe kriegen?

M.L.: Ich betone, dass der bisherige Bundespräsident Samuel Schmid seine Moderations-Aufgabe bestens geleistet hat.

Es braucht aber alle Sieben, der Präsident allein kann das nicht hinkriegen. Aber er kann durch die Gestaltung der Sitzung und den Tonfall vieles beeinflussen.

swissinfo: Umweltanliegen haben es in letzter Zeit im Bundesrat schwer, und ob die Kyoto-Ziele eingehalten werden können, ist fraglich. Verliert die Schweiz ihren guten Ruf als Vorreiterin in Sachen Umweltschutz?

M.L.: Früher hatten Umweltanliegen auf allen Ebenen einen höheren Stellenwert. Als Schweizerhalle und das Waldsterben für Schlagzeilen sorgten, war das Umweltbewusstsein plötzlich hell wach und alle engagierten sich.

Aber das Ganze ist auch auf Verbesserungen zurückzuführen, das muss man auch sehen. Das hindert mich allerdings nicht, eine Umweltpolitik zu versuchen. Dabei muss ich aber auch immer wieder Niederlagen einstecken.

swissinfo: Die angekündigte Swisscom-Privatisierung und das Verbot für ein Engagement im Ausland hat viel Staub aufwirbelt. Die Bundesräte Blocher und Merz haben sich in Ihr Departement eingemischt und Sie übergangen. Geht das nicht zu weit?

M.L.: Es gibt gute Gründe für die Privatisierung der Swisscom. Ich habe das schon im Vorfeld des Entscheides gesagt. Meine Bedenken waren anderer Art: nämlich ob Parlament und Stimmbürger und Stimmbürgerinnen dem zustimmen werden, in einer Zeit, wo die Furcht vor einem Ausverkauf der Heimat vorherrscht. Doch nun stehe ich zu dem Entscheid.

swissinfo: Ihre Reden sind berühmt und wurden auch schon ausgezeichnet. Wie kommen sie zustande?

M.L.: Ich stelle mir zunächst das Publikum vor und trete in einen virtuellen Dialog mit ihm. Dann mache ich einen ersten, einen zweiten, einen dritten Entwurf. Den fünften oder sechsten wage ich vielleicht meinen Mitarbeitern zu zeigen. Wenn nicht der Termin der Rede käme, würde der Dialog unendlich weitergehen.

swissinfo: Sie sind Amtsältester und seit 10 Jahren im Bundesrat. Nach der Wahl zum Bundespräsidenten sagten Sie, eine Finissage sei noch nicht angesagt. Die SVP möchte Sie weghaben. Treten Sie aus Trotz nicht zurück?

M.L.: Ich würde mir nie etwas wegen der SVP zuleide tun, da geniesse ich das Leben zu sehr. Ich bin für vier Jahre gewählt, und wenn ich sehe, welche Perspektiven Leute mit älteren Jahrgängen haben, sehe ich nicht ein, wieso man mich, den Zweitjüngsten, das immer fragt.

swissinfo: Welche Bedeutung hat für Sie die Fünfte Schweiz?

M.L.: Mir liegt sehr an der Kommunikation mit der Fünften Schweiz, weil sie in aller Regel zu nostalgischen Klischees über unser Land neigt. Viele Auslandschweizer haben ein Bild von einem Heidi-Land.

Ihre Kontakte haben sich lange darauf beschränkt, dass sie ein Tonband mit der 1. August-Ansprache des Bundespräsidenten und den Glocken seines Heimatdorfes erhalten haben. Das letzte Mal habe ich Jazz-Musik mit Alphörnern gebracht. Aus der ganzen Welt kamen Protestbriefe.

Dass sie unsere Radio- und Fernseh-Sendungen dank technologischen Möglichkeiten verfolgen können, haben wir eine realistischere Bande knüpfen können. Das ermöglicht, ein präziseres Bild der Schweiz von heute zu vermitteln.

swissinfo: Ist es Ihrer Meinung nach angemessen, dass Bund und SRG der Fünften Schweiz das publizistische Angebot swissinfo zur Verfügung stellen?

M.L.: Das ist nicht angemessen, sondern eine Säule unseres Staatsverständnisses. Wer an diesem Land partizipiert, auch wenn er im Ausland wohnt, hat natürlich das Recht auf kommunikative Anbindung.

swissinfo-Interview, Gaby Ochsenbein

Moritz Leuenberger wurde 1946 geboren.

Politisiert wurde der Pfarrerssohn als Student der Rechte an der Universität Zürich während der 1968er-Bewegung.

Mit 26 Jahren übernahm er das Präsidium der städtischen SP.

Von 1974 bis 1983 war er Mitglied des Zürcher Stadtparlaments.

1979 schaffte er den Sprung in den Nationalrat.

1991 – 1995 war er Regierungsrat des Kantons Zürich.

Der 59-jährige Sozialdemokrat und Jurist Leuenberger ist seit 1995 Mitglied des Bundesrates. Er ist Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).

Nach 2001 ist er 2006 zum zweiten Mal Bundespräsident.

Von Moritz Leuenberger sind im Limmatverlag Zürich zwei Bücher mit Reden und Texten erschienen: «Träume & Traktanden» sowie «Die Rose und der Stein».

Der Bundespräsident wird jeweils vom Parlament im Rotationsverfahren für ein Jahr gewählt.

In seinem Präsidialjahr will sich Leuenberger für die öffentliche Sache einsetzen und vor allem die Jugend in den politischen Dialog mit einbeziehen. Zudem will er die Kollegialität in der Landesregierung stärken.

Geplant sind Reisen nach Afrika, und Österreich und Finnland, die 2006 den EU-Vorsitz innehaben, sowie in die Beitrittskandidaten-Länder Rumänien und Bulgarien.

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