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Für SVP sind Dissidenten nur ein kleiner Störfall

Keystone

Durch den Bruch in der Schweizerischen Volkspartei (SVP) werden die Karten in der Schweizer Politik nicht neu gemischt. Das Phänomen sei nicht neu und vergänglich, erklärt der Historiker und Journalist Pietro Boschetti.

Die nationalkonservative SVP hat in den letzten Jahren den Sprung von der kleinsten Schweizer Regierungspartei zur wählerstärksten politischen Kraft geschafft. Während die SVP 1991 noch 11,9% der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte, waren es 2007 stolze 29%.

Doch jetzt ist der Partei ihr eigener Erfolg zum Stolperstein geworden. Nachdem das Parlament im Dezember 2007 den SVP-Bundesrat Christoph Blocher nicht wiedergewählt und an seine Stelle die Graubündner SVP-Vertreterin Eveline Widmer-Schlumpf gesetzt hatte, schlitterte die Partei in die Krise.

Die Polemik um die neue Bundesrätin gipfelte im Ausschluss der Graubündner SVP-Sektion und der Gründung einer neuen Partei, der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) in den Kantonen Graubünden und Bern. Diese bereiten sich zusammen mit Dissidenten aus dem Kanton Glarus vor, eine nationale Partei zu gründen.

Ist der Sturm, der im Frühling durch die SVP zogen, ein beispielloses Phänomen in einer politischen Schweiz, die sich gewohnt war, in ruhigen Gewässern dahinzuplätschern.

Weit gefehlt. In früheren Jahren haben auch andere Parteien Spaltungen durch Dissidenten erlebt, die zur Gründung neuer Parteien geführt haben. Dies sagt der Historiker Pietro Boschetti, der sich mit dem historischen Aufstieg der SVP an die Spitze der Schweizer Politik befasst.

Eine Eintagsfliege

«Dereinst wird diese neue Parteigründung nur noch als eine Fussnote in Erinnerung bleiben, die ziemlich klassisch ist in einer Phase des starken Anstiegs einer Partei», sagt er gegenüber swissinfo.

«Es ist durchaus nicht unüblich, dass sich ein Teil der Parteimitglieder in einer Phase grossen Wachstums nicht mehr vom Stil der eigenen Partei vertreten fühlt», erklärt der Historiker. «Doch es ist extrem selten, dass aus einer Trennung heraus ein seriöser Konkurrent entstehen kann.»

Boschetti erinnert daran, dass aus neuen Verbindungen, die sich von den vier traditionellen Regierungsparteien abgespaltet hatten (Christlichdemokratische Volkspartei CVP, Freisinnig-Demokratische Partei FDP, Sozialdemokratische Partei SP und SVP), nie eine dauerhafte nationale Kraft entstanden ist.

Drei Ausnahmen

In der Schweizer Geschichte gebe es nur drei Ausnahmen: «Die Schweizerische Kommunistische Partei, die 1921 aus der Spaltung der SP entstanden war und die heute noch besteht, wenn auch nur auf kleiner Stufe.»

Der zweite Fall hatte grössere politische Kraft: «Der Landesring der Unabhängigen (LdU), 1936 gegründet und heute nicht mehr existent, konnte während 60 Jahren eine echte politische Rolle auf nationaler Ebene spielen», so Boschetti.

«Schliesslich die Grüne Partei, die aus der Fusion verschiedener Gruppierungen in den 1980er-Jahren entstanden und heute auf nationaler Ebene gut verankert ist.»

Keine vierte Ausnahme

Die Neugründung aus den Reihen der SVP wird laut Boschetti wohl nicht zur vierten Ausnahme. Die Chancen der BDP auf nationalem Parkett schätzt der Historiker als praktisch Null. «Meiner Meinung nach wird man in einigen Jahren überhaupt nicht mehr über sie sprechen.»

Der zentrale Faktor in der Politik sind «die Mittel zum Durchhalten», erklärt Boschetti. Dies bedeutet, einen Apparat schaffen zu können, Strukturen, die in einem föderalistischen Land wie der Schweiz in jeder Region angesiedelt sein müssen.

«Die neue Partei ist in Graubünden daheim. Doch dieser Kanton spielt in der nationalen Politik nur eine Nebenrolle. Bern ist zwar wichtiger, doch ist die neue Partei dort fast nur in urbanen Zonen angesiedelt. Ihr fehlen die Aktivisten, um in den Rest des Landes expandieren zu können», gibt er zu bedenken.

Absolute Ausnahme

Eine neuartige Situation gegenüber bisherigen Parteigründungen ist die Tatsache, dass die Dissidenten der SVP mit Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid über zwei Minister in der Landesregierung (Bundesrat) verfügen.

«Das ist ein grosser Unterschied, der die neue Partei aber trotzdem schwächen wird. Es handelt sich um eine absolute Ausnahme, die nicht lange Zeit unterstützt werden wird», prognostiziert Boschetti.

Seiner Meinung nach ist es tatsächlich unmöglich, weiterhin die Konkordanz hochzuhalten und dabei einer kleinen Partei zwei Sitze in der Exekutive des Landes zuzugestehen. «Die Situation wird unüberschaubar werden.»

Daher rechnet Pietro Boschetti bei den nächsten nationalen Wahlen 2011 damit, dass die beiden Ex-SVP-Magistratspersonen keinen Platz mehr im Bundesrat haben werden. Wahrscheinlich werde Schmid nicht wieder kandidieren und Widmer-Schlumpf nicht wiedergewählt.

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Wachstumspotenzial noch nicht erschöpft

Den Bruch in der SVP wertet Boschetti nur als «einen politischen Misserfolg, den jede Partei früher oder später einmal erleidet». Dieser werde jedoch keine Konsequenzen auf die «wachsende Sprengkraft» der SVP haben, ist er überzeugt.

«Ihre politische Kraft, ihre Fähigkeit, die Führung im rechten Spektrum aufrecht zu halten, die finanziellen Mittel und die Mobilisierung – alles ist noch intakt. Die Nicht-Wiederwahl von Christoph Blocher hat die Partei etwas zerzaust, aber nicht zerstört.»

Die neue Partei könne die SVP auf nationaler Ebene überhaupt nicht gefährden, sagt Boschetti: «Sie ist nicht fähig, andere ihr oder der SVP nahe Kräfte zu sammeln und sich von der Mutterpartei abzuheben.»

Weiter unterstreicht der Historiker, dass die Themen, die der SVP in den letzten 20 Jahren zu ihrem aussergewöhnlichen Aufstieg verholfen haben, namentlich die soziale und wirtschaftliche Unsicherheit, nicht ausgestorben sind. Daher habe die Partei noch einige Trümpfe in der Hand, «auch in ihrer neuen Rolle der Frontalopposition».

Einer dieser Trümpfe ist die Fähigkeit der Partei, die neuen Kommunikationsmittel perfekt einzusetzen. «Es ist paradox: Die Partei mit der modernsten Art von Politik ist zugleich auch eine absolut wertkonservative Partei, die den Patriotismus und die klassische Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern hochhält.»

Der Bruch könnte jedoch dazu führen, dass die Basis der Partei relativ einheitlich wird, mit einer programmatischen und politischen Erstarrung. Auf jeden Fall «ist der Aufstieg der SVP sicher noch nicht abgeschlossen», betont Boschetti. «Zumal das Schweizer Stimmvolk zum grossen Teil konservativ eingestellt ist.»

swissinfo und Agenturen, Sonia Fenazzi
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub und Corinne Buchser)

Bei den Bundesratswahlen 2007 wird Eveline Widmer-Schlumpf (SVP) anstelle von Christoph Blocher (SVP) gewählt.

Danach entscheidet die SVP, ihre beiden Vertreter in der Regierung – Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid – nicht mehr anzuerkennen und in die Opposition zu gehen.

Von Eveline Widmer-Schlumpf verlangt die SVP den Rücktritt aus der Landesregierung und der eigenen Partei. Die Bundesrätin widersetzt sich diesen Forderungen.

Ursprünglich will die SVP Schweiz ihr ungeliebtes Mitglied direkt ausschliessen. Ein Rechts-Gutachten kommt jedoch zum Schluss, dass die Bündner Kantonalsektion für einen Ausschluss zuständig ist.

Die Delegierten-Versammlung vom 23. April SVP Graubünden stellt sich hinter Widmer-Schlumpf.

Am 1. Juni beschliesst die SVP Schweiz den Ausschluss der Bündner Sektion.

Am 16. Juni beschliesst die Delegiertenversammlung der SVP Graubünden die Gründung einer neuen Partei mit dem Namen Bürgerliche Partei Schweiz, Graubünden (BPS, Graubünden).

Am 21. Juni gründen die «abtrünnigen» Berner SVP-Delegierten die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP).

Der Historiker Pietro Boschetti arbeitete als Journalist für verschiedene Medien. Seit sechs Jahren ist er beim französischsprachigen Fernsehsender Télévision suisse romande (TSR) tätig.

Boschetti ist Autor von mehreren Publikationen. In dem im September 2007 veröffentlichten Buch «La conquête du pouvoir. Essai sur la montée de l’UDC» (Die Eroberung der Macht. Sachbuch zum Aufstieg der SVP) beschreibt er die Entwicklung der Partei im Kontext der politischen und wirtschaftlichen Geschichte der Schweiz.

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