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Fulminantes Rededuell zur Ausschaffungsinitiative

Ist für die SVP die Ausschaffung von kriminellen Ausländern so einfach wie das Steigenlassen von 1500 mit schwarzen Schafen bedruckten Ballons? swissinfo.ch

Der grüne Nationalrat Daniel Vischer hat am 6. November in Zürich Oerlikon gegen alt-Bundesrat Christoph Blocher ein Rededuell zur Ausschaffungs-initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) geführt.

Es war ein Heimspiel für die rechtskonservative SVP. Zu Beginn der Veranstaltung marschierte die Trychlergruppe Zürich Unterland auf die Bühne. Die urchig gekleideten Männer, von denen jeder zwei grosse Kuhglocken trug, vollführten mit ihren «Instrumenten» ein ohrenbetäubendes Konzert, dessen Lautstärke auch ein Rockkonzert im benachbarten Hallenstadion übertönt hätte. Dem Publikum gefiel es und es bedankte sich mit donnerndem Applaus.

Gleich zu Beginn wurde betont, dass dieser Anlass eine Wahlkampfveranstaltung der SVP sei. Wohl um dies zu unterstreichen, konnte SVP-Präsident Toni Brunner, der den Partei-Vize Christoph Blocher mit markigen Phrasen angekündigt hatte, sich nicht an den Vornamen von Nationalrat Vischer erinnern. Er «musste» ihn von einem Zettel ablesen.

Damit hatte er die Lacher der überwiegenden Mehrheit des rund 1000 Köpfe zählenden Publikums, das sich zum grössten Teil aus SVP-Parteigängern oder -Sympathisanten rekrutierte, auf seiner Seite.

Ein Ende setzen

Um zu verdeutlichen, weshalb die SVP für ihre Initiative kämpft, rief die 24-jährige Präsidentin der Jungen SVP Zürich, Anita Borer, dem Publikum den Fall eines Pakistaners in Erinnerung, der seine 16-jährige Tochter mit einer Axt umbrachte und jenen von jugendlichen Tamilen, die ein junges Mädchen vergewaltigt hatten.

Solchem Treiben müsse man ein Ende setzen, sagte Borer. Viele Schweizerinnen und Schweizer wagten sich ja nach dem Dunkelwerden kaum mehr ausser Haus.

Daniel Vischer konterte, diese geschilderten Verbrechen hätten auch mit dem bisherigen Ausländergesetz zur Ausschaffung der Täter geführt.

Und Wirtschaftskriminelle?

Im Gegensatz zu jenem Streitgespräch in Genf, in dem kürzlich Christoph Blocher und Fulvio Pelli, Parteipräsident der Freisinnigen.Die Liberalen, vor allem über die Initiative und deren Gegenvorschlag stritten, sprach sich Vischer sowohl gegen das Volksbegehren wie auch den vom Parlament ausgestalteten Gegenvorschlag aus.

Ihn störte auch, dass sich unter den von der SVP-Initiative aufgeführten Delikten, die zur automatischen Ausschaffung führen sollen, kein einziges Wirtschaftsdelikt befinde. Kein Geldwäscher, kein Steuerhinterzieher müsste demnach mit seiner Ausweisung aus der Schweiz rechnen.

Ob die SVP denn Wirtschaftskriminelle schone, fragte darauf Gesprächsleiterin Verena Vonarburg, Bundeshausredaktorin des Tages-Anzeigers. Christoph Blocher entgegnete, die Partei hätte sich eben auf die grossen Probleme konzentriert. «Es gibt nicht mehr Steuerbetrüger als Gewalttäter.»

Die SVP wolle die Sicherheit erhöhen. «Täter haben keine Angst vor Gefängnissen – aber Angst vor Ausschaffungen haben sie schon.» Und deshalb müsse dieses Gesetz streng sein.

Verhältnismässigkeit

Vischer gab sich redlich Mühe, Blochers jovial vorgetragene Argumente sachlich zu entgegnen. Seine Erklärungen waren jedoch komplexer und komplizierter formuliert als jene seines Kontrahenten. Auch deshalb wurde dieser vom Publikum immer wieder mit lauten Buh- und Zwischenrufen bedacht.

Vischer versuchte, die Verfassungsmässigkeit des Volksbegehrens in Frage zu stellen. Die Verfassung garantiere, dass behördliche Massnahmen verhältnismässig sein müssen. Und diese Verhältnismässigkeit zweifelte er an, wenn eine bedingt bestrafte Person das Land verlassen müsse.

«Wer bedingt bestraft wird, gefährdet doch nicht die Sicherheit des Landes», sagte er. «Sonst müsste man diese Person ja wegsperren.»

Weiter heisse es in den Freizügigkeitsabkommen mit den Ländern der Europäischen Union, dass deren Staatsangehörige nur aus der Schweiz ausgewiesen werden dürfen, wenn die Sicherheit des Landes gefährdet sei.

Christoph Blocher wollte auch dieses Argument nicht gelten lassen. Der französische Präsident habe Roma ausgewiesen, welche keines Deliktes beschuldigt wurden. «Wenn Sarkozy Roma wegweist, weil sie kein Aufenthaltsrecht haben, muss die Schweiz dann wegen der Freizügigkeit die Kriminellen behalten?», fragte er das Publikum, das begeistert applaudierte.

Ganze Familie ausweisen

Ob die SVP es für sinnvoll erachte, wenn ein in der Schweiz aufgewachsener Jugendlicher mit ausländischem Pass alleine in sein Heimatland ausgeliefert würde, fragte Verena Vonarbung.

«Nein,» sagte darauf Blocher. Man müsse nicht die Jugendlichen allein ausweisen, sondern die ganze Familie. «Man soll dem Vater sagen: Wenn Du nicht auf Dein Kind aufpassen kannst, musst Du halt mitgehen.»

Auch dieses Votum wurde vom Publikum mit tosendem Applaus bedacht.

Keine Fragen – keine Antworten

Die abschliessende Fragerunde wurde vom Publikum benutzt, vor allem Statements zur eigenen Gesinnung abzugeben. So wollte ein «Fragesteller» Vischer als Politiker absetzen und ihn stattdessen zum Direktor einer Kompostieranlage machen.

Ein anderer regte an, keine neuen teuren Gefängnisse zu bauen, man könne ruhig 5 bis 6 Verbrecher in eine Zelle sperren. Und ein Palästinenser, der Christoph Blocher als Feind seines Volkes bezeichnete, wurde des Saales verwiesen.

Nach der SVP-Redeschlacht gings mit viel Symbolik draussen weiter: Rund 1500 weisse Ballons, von denen schwarze Schafe herab grinsten, wurden von den Befürwortern der Initiative mit einer Handbewegung, ohne Mühe und Anstrengung, gegen den Himmel «ausgewiesen».

Am 28. November kann sich das Schweizer Stimmvolk zur SVP-Initiative «Für die Ausschaffung krimineller Ausländer» äussern.

Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder die missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben, sollen alle Aufenthaltsansprüche verlieren und ausgewiesen werden.

Der Initiative stellen der Bundesrat und eine Parlamentsmehrheit einen direkten Gegenvorschlag entgegen.

Dieser beschreibt Mindeststrafen, die ausgesprochen werden mussten, um eine Wegweisung zu rechtfertigen und schlägt einen Integrations-Artikel vor.

Der am 16. Januar 1950 in Basel geborene Vischer Jurist arbeitet seit 1983 als freiberuflicher Rechtsanwalt. Seine Schwerpunkte: Strafrecht, Arbeitsrecht und Scheidungsrecht.

Seit 1990 gehört er der Grünen Partei der Schweiz an. Er sitzt seit 2003 für den Kanton Zürich im Nationalrat, der grossen Parlamentskammer. Dort gehört er der Finanzkommission, der Kommission für Rechtsfragen und der Gerichtskommission an.

Von 1983 bis 2003 gehörte er dem Zürcher Kantonsrat an. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder

Der Zürcher, geboren am 11. Oktober 1940, ist Vizepräsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Von 1979 bis 2003 war er Nationalrat, von 2004 bis 2008 Bundesrat (Justizminister).

Nach seiner Nicht-Wiederwahl Ende 2008 musste er die Regierung verlassen.

Unter dem Einfluss von Blocher war die SVP, bis dahin die kleinste der vier in der Regierung vertretenen Parteien, zur stärksten Kraft im Land geworden.

Heute hat Blocher kein politisches Mandat mehr inne, er bleibt aber einer der wichtigsten Köpfe in der SVP.

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