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Gaddafis Bunker: Schweizer Firmen beim Bau dabei

Rebellen fanden bei der Eroberung von Gaddafis Bab al-Aziziya-Residenz in Tripolis ein Labyrinth von unterirdischen Tunnels und Bunkern. Keystone

Vor über 30 Jahren haben Schweizer Firmen dem libyschen Regime beim Bau eines unterirdischen Bunkersystems geholfen. Es wird vermutet, dass sich der flüchtige libysche Führer Muammar Gaddafi darin versteckt.

Der libysche Machthaber, dessen Regime vor dem Kollaps steht, soll sich in sicheren Räumen und in einem sorgfältig geplanten Netzwerk von unterirdischen Bunkern und Tunnels verstecken, um seiner Gefangennahme durch die Rebellen zu entgehen. Nach den Worten des pensionierten Ingenieurs Erich Buser haben Schweizer Firmen beim Bau der Bunker mitgewirkt.

«Nach meinen Erkenntnissen und Recherchen  wurden die Bunkersysteme in Libyen von Schweizer und amerikanischen Unternehmen in den 1970er- und 1980er-Jahren errichtet», teilte Buser swissinfo.ch schriftlich mit. Er war Bunker-Experte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH).

Diese Aussage wurde teilweise bestätigt durch einen Video-Bericht des Fernsehsenders al-Jazeera im vergangenen März im Bunker unter Gaddafis Ferienresidenz in Al-Baïda, im Osten Libyens. Dabei waren Lüftungsinstallationen der Schweizer Firma Luwa Engineering zu sehen.

Laut Buser ähneln die Bunker in Libyen den zahlreichen Zivilschutzkellern in der Schweiz, die in den 1960er- bis 1980er-Jahre gebaut wurden.

In den Bunkern gibt es Wasserreservoirs sowie Nahrungsmittelvorräte für mehrere Wochen, ferner eine Küche, Ess- und Schlafkojen sowie Kommunikationsgeräte. Weiter hat es Notstromgeneratoren, Belüftungssysteme, Klimaanlagen. Druckventile schützen vor Kontaminierung und Überdruck durch nukleare oder chemische Waffen.

«Der Schutz in solchen unterirdischen Bunkern vor leichter Artillerie und Infanterie-Waffen ist sehr gut. Aber die Schutzräume sind total nutzlos gegen Hochpräzisionsbomben und Raketen», so der pensionierte Schweizer Ingenieur.

«Kein einziger Bunker in Irak hielt den amerikanischen Hochpräzisionsbomben stand. Die Hochpräzisionswaffen-Arsenale und –Systeme der Nato-Allianz in Libyen sind ebenso effizient. Unterirdische Bunker können dagegen keinen Schutz bieten.»

«Ratte»

Die Gefangennahme Gaddafis wird als entscheidender Schritt gesehen zur Beendigung der Kämpfe in Libyen und zur Ermöglichung des Übergangs zu einer neuen Regierung. Gaddafis genauer Aufenthaltsort ist immer noch nicht bekannt. Es ist möglich, dass er sich weiterhin in Tripolis versteckt, obwohl die Stadt jetzt von den Rebellen kontrolliert wird.

Nato-Kampfflugzeuge bombardierten am Sonntag Gaddafis Heimatstadt Sirte, während Rebellentruppen dessen letzte Unterstützungsbastion umzingelten. Ein Nato-Kommandant versprach, die Mission der Militärallianz mindestens bis zum Ende ihres internen Mandates am 27. September fortzuführen.

Jamal Tunally, ein Militärkommandant der libyschen Rebellen in Misrata, sagte am Montag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: «Jetzt müssen wir nur noch Gaddafi finden. Ich vermute, er versteckt sich noch immer wie eine Ratte unter Bab al-Aziziyah.» Gaddafis Residenz war letzten Dienstag von Rebellen gestürmt worden.

Sollte sich sich Gaddafi in einem Bunker verstecken, müsse er eine andere Taktik seiner Gegner fürchten, sagt Michael Riedo, CEO der Andair AG, einer Schweizer Firma, die in den 1990er Jahren die Bunker-Abteilung der Firma Luwa kaufte. Diese Bunker seien zum Schutz vor direkten und nahen Militärschlägen gebaut, sagt Riedo gegenüber swissinfo.ch. «Gegen Wasser sind sie aber nicht gefeit. Wenn ein Damm in der Nähe ist und man sie mit Wasser überflutet, wird dieses irgendwo in den Bunker eindringen.»

«Nichts von Gaddafi gefunden»

Falls die libyschen Bunker mit Teilen der Firma Luwa ausgerüstet sind, wäre laut Angaben der Andair AG höchstwahrscheinlich auch ein schweizerisches Planungsunternehmen an deren Bau beteilgt gewesen. Wo sich die Bunker in Libyen befinden, weiss die Andair AG nach eigenen Angaben nicht.

Nach den Worten Riedos übernahm seine Firma beim Kauf der Abteilung für Schutzraum-Komponenten der Firma Luwa die Rohmaterialien, Pläne, Lizenzen und Archive. «Ich bin aber sicher, dass ich nichts von Gaddafi oder Libyen finden werde. Es könnte sein, dass das ganze Material über Italien, England oder Ägypten verkauft wurde», so Riedo.

In den 1970er- und 1980er-Jahren war die Schweiz eine der führenden Herstellerinnen von Bombenschutzräumen. Allein in der Schweiz existierten Zivilsschutzräume für 6,7 Millionen Menschen, sagt der Andair-CEO.

«Ich bin sicher, dass wir in zahlreichen Ländern Schutzräume finden können, auf die wir nicht stolz sein können, weil sie von einem Diktator auf irgend eine Art und Weise zur Lagerung oder zum Bau von Massenvernichtungsmitteln missbraucht werden.»

Nach einer Woche heftiger Kämpfe haben die Rebellen in der Hauptstadt Tripolis Fuss gefasst. Sie haben Gaddafis Festung erobert.

Das 42 Jahre dauernde Regime Muammar Gaddafis steht vor dem Zusammenbruch. Zwei Mio. Dollar sind auf den Kopf des Revolutionsführers ausgesetzt .

Gaddafis Frau und drei seiner Kinder – die Tochter Aisha und die Söhne Hannibal und Mohamed – haben am 29. August die Grenze zu Algerien passiert.

Die libysche Regierung hat von Algerien die Auslieferung der Geflüchteten verlangt, damit man sie in Libyen vor Gericht stellen kann.

Laut Gaddafi-Sprecher Ibrahim Moussa soll Gaddafi immer noch in Libyen sein. Er wolle mit dem Übergangsrat die Bildung einer Regierung diskutieren, berichtete die Agentur Associated Press am 29. August.

Libysche Rebellenführer haben die Nato am 29. August aufgefordert, weiterhin Druck auf die Anhänger des Gaddafi-Regimes auszuüben, um die Strom- Wasser und Nahrungsversorgung zu schützen.

Der Führer des Übergangsrates sagte gegenüber Nato-Gesandten in Katar, er sei auch nach dem Ende der Kämpfe auf logistische und militärische Unterstützung angewiesen.

Inzwischen sind die Rebellen dabei, die Übergangs-Regierung von Benghasi nach Tripolis zu verlagern. Suleiman Mahmoud al-Obeidi, der stellvertretende Militärchef der Rebellen, kündigte die Bildung eines 17-köpfigen Ausschusses an, welcher die 30 lokalen Militärräte vertreten solle.

Libyens grösste Raffinerie hat den Krieg intakt überstanden und eine wichtige Gas-Export-Pipeline nach Europa konnte repariert werden. Die tunesischen Behörden haben den wichtigsten Grenzübergang wiedereröffnet. Damit ist die Versorgungsroute nach Tripolis wieder frei.

Gaddafis Heimatstadt Sirte und einige Wüstenstädte im Süden werden immer noch von Anhängern des alten Regimes gehalten. Die Rebellen ziehen den Belagerungsring um Sirte enger und versuchen gleichzeitig, die Gaddafi-Anhänger zu einer friedlichen Übergabe der Küstenstadt zu bewegen.

Die Nato hat nach eigenen Angaben auch am 30. August zahlreiche Militäreinrichtungen in Gaddafis Geburtsstadt Ziel aus der Luft angegriffen.

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

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