Geschichte aufarbeiten und Lehren daraus ziehen
Nach dem definitiven Ja des Parlamentes zum Staatsvertrag mit den USA kann die UBS zwar aufatmen, doch ein Grund, zur Tagesordnung überzugehen, ist das für die Schweizer Presse nicht. Vielmehr müssten jetzt die Lehren aus der Affäre gezogen werden.
«Politiker: Jetzt ist die UBS am Zug», titelt die Aargauer Zeitung, «Der UBS steht ein Selbstreinigungsprozess bevor», lautet die Schlagzeile in der Neuen Zürcher Zeitung. Im Zürcher Tages-Anzeiger steht gross «Geschichte aufarbeiten», für die Westschweizer Zeitung Le Temps heisst es jetzt «die Lehren aus der UBS-Affäre ziehen», und die Basler Zeitung fordert «Jetzt hart bleiben».
Für den Tages-Anzeiger war das Ja zum Staatsvertrag» von aussen betrachtet eine undurchsichtige Bastelei». Doch zur Tagesordnung übergehen kommt für den Tagi nicht in Frage: «Denn eines der düstersten Kapitel des Bankgeheimnisses ist damit mitnichten aufgearbeitet.»
Taten statt Worte
Höflich habe sich UBS-Boss Oswald Grübel bei der Politik bedankt, die mit der Absegnung des Staatsvertrags nun zum wiederholten Mal ihre schützende Hand über die Grossbank halte, schreibt die Aargauer Zeitung. Doch die Parlamentarier «wollen von der UBS nun endlich Taten statt Worte hören». Der Ball liege bei der Bank, jetzt für Transparenz zu sorgen und mit der Vergangenheit aufzuräumen, laute der Tenor über die Parteigrenzen hinweg.
Nach dem parlamentarischen Plazet zum Staatsvertrag könne die UBS zwar aufatmen, «die Vergangenheit wird sie aber nicht los», kommentiert die NZZ. Die Rückkehr zur Profitabilität und das Ja zum Staatsvertrag könne nicht darüber hinwegtäuschen, «dass der Raubbau am eigenen Vertrauenskapital tiefe Narben hinterlassen hat». Deshalb täte die Bank im Sinne einer vertrauensbildenden Massnahme gut daran, die Krisenjahre aufzuarbeiten und Transparenz über das Geschehen in der Krise zu schaffen.
Schwierige Aufarbeitung
Nur: Punkto Geschichte aufarbeiten tue man sich in der Schweiz schwer, meint der Tages-Anzeiger, insbesondere wenn es um unangenehme Seiten ginge. Bei den nachrichtenlosen Konti habe es ein halbes Jahrhundert gedauert, bis sich eine Historikerkommission an die Arbeit gemacht habe, «und auch das nur auf Druck von aussen».
Der Tagi nennt aber auch Vorbilder: «Südafrika etwa, auf das die Welt zurzeit schaut, hätte ohne Wahrheitskommission nie den Schritt aus dem Schatten der Vergangenheit gemacht.» Die Schweiz könnte sich im Kleinen diesem Vorbild anschliessen: «Wenn schon keine PUK, dann soll jetzt eine Expertenkommission die Vergangenheit aufarbeiten.»
Dabei gäbe es für den Tagi vieles zu klären: «Wie konnte eine ganze Branche ausländischen Kunden Steuerhinterziehung als tragenden Teil ihres Geschäftsmodells anbieten? Wie konnte diese Art von Geschäft zum Wachstumsmotor einer Volkswirtschaft werden? Wie konnten Politiker zu Erfüllungsgehilfen privater Interessen werden? Wie konnte ein ganzes Land seine Identität an einem Geschäft dieser Art festmachen?»
In der Bringschuld
Der Schweizer Volksseele falle es schwer, sich damit abzufinden, dass Verwaltungsrat, Konzernleitung und Revisionsstelle der Bank zwar auf der ganzen Linie versagt hätten, aber dafür nicht zur Verantwortung gezogen würden, kommentiert die NZZ. «Die Vorstellung, dass Kundenberater im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft mit US-Kunden aus reiner Gier jahrelang systematisch amerikanische Steuergesetze brechen und ihre Chefs nichts davon erfahren, ist alarmierend und schwer zu fassen zugleich.»
Dass die selbst mit einem Glaubwürdigkeitsdefizit kämpfende Aufsichtsbehörde Finma der UBS-Führungsmannschaft in dieser Hinsicht bereits einen Persilschein ausgestellt habe, sei nicht Grund genug, auf eine weitere Untersuchung zu verzichten. Und die NZZ warnt: «Bleibt die Vertrauensbasis im Heimmarkt brüchig, wird bei der nächsten Krise kein Politiker und kein Steuerzahler mehr bereit sein, Hilfestellung zu leisten.»
Harte Haltung notwendig
Befürchtungen der Linken, es bestehe die Gefahr, dass wenn die Bankenkrise ausgestanden und der Volkszorn abgeebbt sei, die Politik nur noch halbherzig Lehren ziehe und Fehler korrigiere, findet die Berner Zeitung berechtigt. Deshalb müssten Vorkehrungen getroffen werden, dass Grossbanken wie andere Unternehmen in der Krise ohne grosses volkswirtschaftliches Risiko in Konkurs gehen könnten.
Die BZ erinnert daran, dass dazu im Herbst ein Lösungsvorschlag vorliegen soll. «Hier muss nicht nur die Linke, sondern die gesamte Politik gegenüber den Banken eine harte Haltung einnehmen und wirksame Vorschriften erzwingen.»
Die Schweiz als «wirbelloses Tier»
Hart ins Gericht mit der Schweiz geht Le Temps. Dieser Souveränitätskonflikt wäre nicht erfolgt, «wenn die Schweiz, ihre Regierung und die Mehrheit ihres Parlamentes hellsichtig genug gewesen wären, im richtigen Moment zu erkennen, dass eine extensive Auslegung des Bankgeheimnisses für unsere Partner immer weniger akzeptabel wurde». Und dieses Versäumnis habe uns eines Tages in eine unhaltbare Situation gebracht.
Noch härter tönt es in der Freiburger Zeitung La Liberté, welche die Affäre Gaddafi mit dem UBS-Staatsvertrag in Verbindung bringt. Das seien zwei Fälle, in denen die Schweiz «kein Rückgrat gezeigt hat, wie es sonst nur ein wirbelloses Tier tun kann». Die «bedingungslose Kapitulation» gegenüber den USA werde für die Schweiz aber noch wichtigere Konsequenzen haben als die Tatsache, «in Tripolis die Hosen heruntergelassen zu haben».
Und die Liberté ärgert sich, dass der Verursacher der Affäre, die UBS, nichts zu befürchten hätte, weder eine PUK noch Einschränkungen in ihrer Boni-Politik.
«Nützliche Idioten»
A propos Boni: Der Sozialdemokratischen Partei (SP) sei der Boni-Trumpf aus der Hand geschlagen worden, beklagt der ehemalige SP-Nationalrat Helmut Hubacher in seinem Kommentar in der Basler Zeitung.
Bund und Nationalbank hätten die UBS vor dem Konkurs gerettet. Sie sei zu gross, um fallen gelassen zu werden. Der Schaden ginge für Land und Volk ins Unermessliche. «Das dürfe sich nicht wiederholen, hörten wir. Die das laut verkündet haben, reden nur noch ganz leise darüber. Die UBS muss kaum mehr Auflagen befürchten.»
Für Hubacher ist mit dem Staatsvertrag die Krise mit den USA beseitigt worden, nicht jedoch die bei uns. Politische Versprechungen seien einzulösen, um einen zweiten Fall UBS auszuschliessen. «Damit die Leute nicht sagen: Politiker sind jene, die von nichts alles verstehen.» Also «die nützlichen Idioten», wie der Titel des Kommentars lautet.
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Die US-Steuerbehörde IRS erklärte Anfang April, man zähle darauf, dass die Schweiz die Umsetzung des Vertrages, 4450 UBS-Kontendaten über ein Amtshilfeverfahren an die USA auszuhändigen, einhalte. Andernfalls stehe den US-Behörden weiter der Rechtsweg offen.
Insgesamt umfasst die Zusammenstellung der IRS 17 juristische Schritte und reicht zurück bis Dezember 2007, als sich der russisch-amerikanische Milliardär Igor Olenicoff als erster schuldig bekannte, über UBS-Konten Gelder am Fiskus vorbeigeschleust zu haben. Olenicoff bezahlte saftige Bussgelder und verklagte dann seinerseits die Bank.
Auf die Spur Olenicoffs kam die IRS durch den ehemaligen UBS-Banker Bradley Birkenfeld, der den Steuerbehörden die unlauteren Geschäfte der Bank offenlegte, seine Rolle dabei aber vertuschte und deshalb nun eine 40-monatige Haftstrafe absitzt.
Im Juni 2008 reichte das Justizdepartement vor Gericht in Florida den sogenannten John Doe Summons ein – die Forderung, von der Bank Auskunft über bis zu 52’000 UBS-Konten zu erhalten.
Im November 2008 wurde der UBS-Spitzenmanager Raoul Weil angezeigt. Er soll sich mit anderen Managern und wohlhabenden Kunden zum Betrug an den USA verschworen haben.
Im August 2009 unterzeichnete der Bundesrat das Abkommen mit den USA, das den Streit beilegen sollte. Statt Einsicht in alle 52’000 fraglichen UBS-Konten zu gewähren, sollte die Schweiz den Amerikanern 4450 Daten der Hauptverdächtigen US-Steuerpflichtigen mit UBS-Konten überreichen.
Den Anzeigen gegen Amerikaner mit UBS-Konten, die sich dem Fiskus entziehen, hat das Abkommen indes keinen Abbruch getan.
Im Januar 2010 erklärte das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht die Herausgabe von Kontendaten amerikanischer UBS-Kunden an die USA für illegal.
Nach langem Hin und Her stimmte das Schweizer Parlament in der Sommersession im Juni 2010 dem Staatsvertrag zu, ohne diesen einer fakultativen Volksabstimmung zu unterstellen.
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