Geschlechterquote im Fadenkreuz
Die Politwelt ist in Aufruhr. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey opfert die Diplomatenkarriere von sechs Männern auf dem Altar der Gleichberechtigung.
Der freisinnige Tessiner Ständerat Dick Marty ist aus Protest gegen den Entscheid von Calmy-Rey aus der Kommission für die Rekrutierung von Diplomaten ausgetreten
Die Kommission selber hatte nach dem regulären Auswahlverfahren 14 Personen, darunter 4 Frauen, als geeignet für die diplomatische Laufbahn erachtet. Um die Parität von Männern und Frauen zu gewährleisten, habe Calmy-Rey danach entschieden, nur je vier Kandidaten zu berücksichtigen, bestätigte Marty eine Meldung in der NZZ am Sonntag.
Im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hiess es, die ausgewählten Dossiers würden immer der Departements-Vorsteherin vorgelegt. In diesem Fall habe Calmy-Rey den Entscheid gefällt, «um den Frauenanteil im diplomatischen Corps zu erhöhen», sagte EDA-Sprecher Lars Knuchel.
Noch einmal versuchen
Micheline Calmy-Rey sagte im Westschweizer Radio, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei. «Die Kommission schlägt vor und ich wähle aus», sagte sie.
Dabei habe sie die vier besten Frauen und Männer ausgesucht. «Da war keine Diskrimierung dabei», sagte die Aussenministerin und fragte sich, warum es so schwierig sei, profilierte Frauen für den diplomatischen Dienst zu finden.
EDA-Sprecher Jean-Philippe Jeannerat sagte gegenüber der NZZ am Sonntag, man habe den sechs abgelehnten Männern den Bescheid mitgeteilt. Ihnen jedoch gleichzeitig angeboten, sich zu vereinfachten Bedingungen bei der neuen Ausschreibungs-Runde wieder zu beteiligen.
Diese nächste Runde endet in einem Jahr. Die Frage, was dann geschehe, wenn sich wieder nicht genügend Frauen qualifizierten, wurde nicht beantwortet.
Zu wenig geeignete Frauen
Für den freisinnigen Politiker Dick Marty, der für den Kanton Tessin im Ständerat (Kleine Kammer) sitzt, ist dies alles «eine krasse Ungerechtigkeit gegenüber den männlichen Kandidaten, die wir als sehr valabel betrachtet haben». Während des ganzen Auswahlverfahrens sei auch nie gesagt worden, dass die Parität gewährleistet sein müsse.
Marty sagte in der NZZ am Sonntag weiter, dass der Entscheid der Aussenministerin «pure Willkür» sei. Der Entscheid halte dem im Bundesgesetz stipulierten Diskriminierungs-Verbot nicht stand. «Calmy-Rey bestraft Männer, nur weil sie Männer sind», sagt Marty.
Ausserdem seien nicht mehr geeignete Frauen zur Verfügung gestanden. Und auch das Parlament habe sich immer gegen eine absolute Quotenregelung ausgesprochen.
Gemäss Marty ist die Auswahl der Diplomaten-Aspiranten sehr aufwendig. Allein das Studium der Dossiers habe eine Woche gedauert. Einen solchen Entscheid im Nachhinein zu fällen, sei falsch.
Neben Marty traten auch die beiden Professoren Pierre de Senarclens und François Hainard aus der Kommission zurück.
Bald im Parlament
Die Geschichte, so die NZZ am Sonntag, dürfte bald das Parlament beschäftigen. SVP-Nationalrat Hans Ulrich Mathys kündigte an Calmy-Reys Frauenquote in der Geschäftsprüfungs-Kommission (GPK) zu thematisieren.
Mathys sitzt in der für das Aussenministerium zuständigen Subkommission der GPK. Zudem kündigte Mathys einen Vorstoss in der Grossen Kammer, dem Nationalrat an.
swissinfo und Agenturen
Die Zulassungskommission für Diplomaten wurde 1956 vom damaligen SP-Bundesrat Max Petitpierre gegründet, um das Auswahlverfahren zu professionalisieren.
Die Kommission hat 19 Mitglieder aus der Bundesverwaltung und Politik, sowie Experten der internationalen Politik.
Die Kommission hört die vorselektionierten Kandidatinnen und Kandidaten an und legt ihren Entscheid der Aussenministerin vor. Sie entscheidet in letzter Instanz.
Das diplomatische Corps der Schweiz umfasst heute 71 Frauen (20%) und 305 Männer. 10 Frauen sind Botschafterinnen. Botschafter gibt es 106.
In diesem Jahr wurden aus 150 Kandidatinnen und Kandidaten 10 Männer und 4 Frauen berücksichtigt.
Aussenministerin Calmy-Rey hat schlussendlich 4 Frauen und 4 Männer ausgewählt. Die 6 nicht berücksichtigten Männer können sich noch einmal (vereinfacht) bewerben.
Im März 2000 haben die Schweizer Stimmberechtigten mit 82% Ja eine Volksinitiative angenommen, welche den Frauen eine «gerechte Vertretung in den Bundesbehörden» garantiert.
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