Gewerkschaften für freien Personenverkehr
Die Schweizer Gewerkschaften unterstützen die Ausweitung des Abkommens mit der EU über den freien Verkehr von Arbeitnehmenden aus Ost-Europa.
Über das Abkommen werden die Schweizer an der Abstimmung vom 25. September entscheiden. In der jüngsten Umfrage lagen die Gegner der Vorlage vorne.
Es sei nicht vorstellbar, dass die Schweiz als einziges Land der Welt auf die Dauer unterscheide zwischen Erstklass- und Zweitklass-Europäern, sagte Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), an einer Medienkonferenz.
Dreieinhalb Monate vor der Abstimmung haben die grossen Arbeitnehmerorganisationen der Schweiz sich zum «Schweizerischen Komitee Arbeitnehmerorganisationen für die Personenfreizügigkeit mit Schutzmassnahmen» zusammengeschlossen.
Lohndruck bekämpfen
Laut Rechsteiner ist die Erweiterungsvorlage eine logische Folge der durch Volksabstimmungen bestätigten bilateralen Verträge mit der EU, hinter welche die Schweiz schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht zurück könne.
Die Gefahr des Lohndumpings und Druck auf die Arbeitsbedingungen seien eine Realität. Aber dieser Druck könne bekämpft werden. Wer den Leuten vormache, ihre Löhne würden in Zukunft sinken, verkaufe sie für dumm, sagte der sozialdemokratische Nationalrat Rechsteiner weiter.
Explodierende Löhne für die Reichen und stagnierende oder sinkende Löhne für die anderen seien kein Naturgesetz, sondern eine neoliberale Fehlentwicklung. Jedenfalls könne die Gefahr des Lohndrucks mit einem Ja am 25. September besser bekämpft werden als mit einem Nein.
Ein Ja bringe zusammen mit der Erweiterung des freien Personenverkehrs auf die neuen EU-Länder eine substanzielle Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes: durch allgemein verbindliche Gesamt-Arbeitsverträge (GAV), durch die Möglichkeit, notfalls gesetzliche Mindestlöhne einzuführen und durch die Kontrolle der Arbeitsbedingungen durch Arbeitsinspektoren.
Flankierende Massnahmen
Ein Ja verstärke die flankierenden Massnahmen, sagte der Freiburger Hugo Fasel, Präsident von Travail.Suisse und Nationalrat der Christlich-sozialen Partei (CSP): Es werde mehr Inspektoren geben, die Verstösse gegen das Entsendegesetz aufdecken und die Einhaltung der üblichen Löhne kontrollieren würden.
Die wichtigsten Punkte des Arbeitsvertrags, vor allem Lohn und Arbeitszeit, müssten dem Arbeitnehmer schriftlich mitgeteilt werden. Diese schriftliche Information sei für die Kontrolle sehr wichtig. Die Verbesserungen reichten angesichts des durch die neuen osteuropäischen Arbeitskräfte erhöhten Dumpingrisikos aus.
Im Ausland Erfahrungen sammeln
Für Alexander Tschäppät, Präsident des Kaufmännischen Verbandes Schweiz, würde ein Nein am 25. September alles in Frage stellen, was bisher auf bilateralem Weg erreicht wurde. Offene Arbeitsmärkte ermöglichten es auch Schweizerinnen und Schweizern, im Ausland Berufs- und Lebenserfahrungen zu sammeln, sagte der Stadtpräsident von Bern weiter.
Die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten schaffe keine grundsätzlich neuen Probleme, sagte Beat Zemp, Präsident der Allianz der Arbeitnehmenden (Ebenrain-Konferenz) und Präsident des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer. Es gebe auch in Ländern der «alten EU» viele Arbeitslose, ohne dass es zu einer Masseneinwanderung in die Schweiz gekommen sei.
swissinfo und Agenturen
Das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zum freien Personenverkehr ist seit dem 1. Juni 2002 in Kraft.
Das Freizügigkeitsabkommen erleichtert Bürgern der Schweiz und der EU, sich in einem anderen Land niederzulassen und dort zu arbeiten.
Nun soll das Abkommen auf die 10 Staaten, die am 1. Mai 2004 der EU beitraten, ausgedehnt werden: Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakische Republik, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn, Zypern und Malta.
Die Schweizer Demokraten haben gegen das Abkommen das Referendum ergriffen und auf diese Weise eine Volksabstimmung erzwungen. Sie findet am 25. September statt.
Das «Schweizerische Komitee Arbeitnehmerorganisationen für die Personenfreizügigkeit mit Schutzmassnahmen» vertritt insgesamt 850’000 Arbeitnehmende.
Zum Komitee gehören der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), Travail.Suisse, KV Schweiz und die Ebenrain-Konferenz, die 12 Personalorganisationen aus dem öffentlichen und privaten Sektor unter sich vereinigt.
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